Es gibt zwei Worte, die gemeinsam ausgesprochen größte Beunruhigung unter Regierungen in Europa auslösen: Iran und Staatsterrorismus. Wie kein anderes Land zuvor und danach schickten die Mullahs in den vergangenen Jahrzehnten Mordkommandos los, um Regimegegner überall zu ermorden. Mehr als 60 versuchte und vollendete Anschläge, etliche davon in Europa, zählte die CIA zwischen 1979 und 1994.
Lange schien dies wie ein düsteres Kapitel aus dem Geschichtsbuch zu sein, denn kurz darauf endete die Mordserie. Ein Attentat auf vier iranisch-kurdische Exilpolitiker im Berliner Lokal "Mykonos" 1992 führte fast zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Iran und Deutschland. Teheran erkannte, dass der Preis für solche Terrortaten zu hoch ist.
Inzwischen stellt sich die Frage, ob diese Lehre so noch gilt. Bis hinauf ins Kanzleramt existiert die Sorge, dass Iran wieder Mordkommandos losgeschickt hat. Und überall in Europa stellen sich die Geheimdienste die Frage, ob dies nur der Anfang ist. Droht bei einer weiteren Zuspitzung des Konflikts zwischen Teheran und Washington also eine neue Welle iranischer Anschläge? An der Antwort hängt viel: Die Europäer versuchen ja trotz des enormen Drucks der USA, am Atomdeal festzuhalten. "Wenn das Regime aber zu solchen Methoden greift, wird das sehr, sehr schwer", sagt ein deutscher Spitzenbeamter.
In Frankreich und Dänemark sollen erst vor Kurzem Attentate verhindert worden sein. In den Niederlanden nehmen Ermittler sogar an, dass Kommandos bereits zugeschlagen haben. Und in Deutschland sind offenbar Spione auf der Suche nach Zielen. Anfangs überwog in den Behörden noch die Skepsis: Eine Rückkehr zu solchen Methoden mache eigentlich für das Regime keinen Sinn - warum sollte man gerade die Europäer wieder gegen sich aufbringen? Und Teheran dementiert vehement eine Verwicklung in die Terrorakte.
Doch inzwischen haben Europas Geheimdienste Dossiers zusammengetragen: Darin geht es um geplante Sprengstoffanschläge, um Exekutionen auf offener Straße, die Bespitzelung von Politikern und um Hackerangriffe auf Hochschulen, Forschungszentren und Firmen. Oft, so die These der Ermittler, gehe es den Iranern wohl darum, Personen oder Einrichtungen ausfindig zu machen, die angegriffen werden können - sollte es beispielsweise zu einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Israel oder den USA kommen.
Reinhold Robbe war wohl ein solches Ziel. Monatelang wurde der SPD-Politiker, Ex-Wehrbeauftragter und Ex-Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft von dem Pakistaner Syed Mustafa H. bespitzelt. Der Agent, der 2017 in Berlin zu vier Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde, hatte für den iranischen Geheimdienst Informationen über Robbe gesammelt, heimlich Fotos gemacht und Power-Point-Präsentationen angefertigt.
Mögliche Ziele ausgespäht haben sollen auch zehn Männer aus Afghanistan, Pakistan und der Türkei, gegen die die Bundesanwaltschaft ermittelt. Sie sollen im Auftrag der Al-Quds-Force, der Spezialeinheit der iranischen Revolutionsgarden, unterwegs gewesen sein. Im Frühjahr 2018 durchsuchten Polizeibeamte in mehreren Bundesländern deshalb Wohnung und Restaurants. Die Ermittlungen dauern an.
Wie konkret eine solche Gefahr tatsächlich ist, verdeutlicht ein anderer Fall, der ebenfalls die Bundesanwaltschaft beschäftigt hat: Assadollah A. war seit 2014 als sogenannter Dritter Botschaftsrat an der iranischen Botschaft in Wien akkreditiert. Tatsächlich aber soll der 46-Jährige für den iranischen Geheimdienst gearbeitet haben. Im Juli 2018 nahmen Polizisten ihn im Landkreis Aschaffenburg fest. A. war gerade auf dem Weg zurück nach Österreich. Nach Erkenntnissen belgischer Ermittler hatte Assadollah A. ein belgisches Ehepaar mit iranischen Wurzeln in Antwerpen als Spitzel angeworben und damit beauftragt, im Juni 2018 einen Anschlag auf eine Großveranstaltung der Oppositionsgruppe der "Volksmudschahedin" im Pariser Vorort Villepinte zu verüben. Dazu soll A., der inzwischen nach Belgien ausgeliefert wurde, dem Paar bei einem Treffen in Luxemburg 500 Milligramm des hochexplosiven Sprengstoffs TATP und eine Zündvorrichtung übergeben haben.
Einer der Gastredner beim Event der "Volksmudschahedin", einer Organisation, die sich selbst immer wieder dem Vorwurf des Terrorismus ausgesetzt sieht, war der Anwalt von Donald Trump, New Yorks Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani. Ein weiterer Unterstützer dieser Exil-Organisation ist John Bolton, Sicherheitsberater des US-Präsidenten. Mehrmals war Bolton gegen Honorar bei den "Volksmudschahedin" aufgetreten und hatte sich für eine schärfere Iran-Politik ausgesprochen: "Das Verhalten und die Grundsätze des iranischen Regimes werden sich nicht ändern. Deshalb ist die einzige Lösung, das Regime selbst zu verändern."
In Frankreich wurde offenbar ein schweres Attentat verhindert. Ebenso wohl in Dänemark, wo im Herbst ein norwegischer Staatsbürger festgenommen wurde, der einen Exil-Aktivisten ausspioniert haben soll. Andernorts haben iranische Mordkommandos vermutlich bereits zugeschlagen. Der niederländische Außenminister Stef Blok erklärte im Januar, man untersuche derzeit zwei Morde von 2015 und 2017. Es gebe "starke Indizien, dass Iran in die Ermordung zweier niederländischer Staatsbürger mit iranischen Wurzeln involviert ist", sagte Blok. Im Dezember 2015 war der 56-jährige Mohammad Reza Kolahi Samadi in der Stadt Almere von zwei Personen aus kurzer Distanz mit Schüssen in den Kopf getötet worden. Die Täter waren in einem dunkelblauen BMW unterwegs, der später ausgebrannt aufgefunden wurde.
Samadi, der mit Frau und Sohn unter einem Aliasnamen in den Niederlanden als Elektrotechniker arbeitete, war in Iran in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Er soll 1981 in ein Bombenattentat verwickelt gewesen sein, bei dem 73 Menschen starben, darunter Ayatollah Mohammad Besheshti, der damals zweitmächtigste Mann des Landes nach Revolutionsführer Khomeini.
Zwei Jahre nach Samadi starb Ahmad Mola Nissi. Er war Gründer der Separatistengruppe "Bewegung Arabischer Kampf für die Befreiung von Ahwaz" (ASMLA), die einen unabhängigen Staat für die arabische Minderheit in der iranischen Provinz Chuzestan kämpft. Nissi wurde im November 2017 in Den Haag auf offener Straße, unweit des Außenministeriums, mit fünf Schüssen in den Kopf getötet. Sein Mörder konnte nicht gefasst werden.
Angesichts der Indizien geht es für die US-Regierung schon nicht mehr bloß um einen Verdacht. Vor wenigen Wochen erklärte sie die Revolutionsgarden und deren Spezialeinheit, die Al-Quds-Force, offiziell zur "ausländischen terroristischen Organisation". Es wurden Konten eingefroren, Militärs und Geheimdienstler, Firmen und Banken mit Sanktionen belegt. Erstmals stuften die USA einen Teil einer anderen Regierung als Terrororganisation ein, sagte Außenminister Mike Pompeo. "Wir tun dies, weil sich das Regime von anderen Regierungen durch seine Verwendung von Terrorismus als Werkzeug staatlichen Handelns grundlegend unterscheidet."
So eindeutig allerdings die kriminalistischen Befunde zu sein scheinen, so unklar bleibt das Motiv. Unter europäischen Diplomaten wird debattiert, was hinter den Vorgängen stecken könnte: eine Warnung des Regimes? Vali Nasr, Politologe und einer der besten amerikanischen Iran-Kenner, glaubt, dass Teheran den Europäern "einen Vorgeschmack darauf geben wollte, was geschieht, wenn das Atomabkommen platzt und es richtig übel wird". In deutschen Sicherheitskreisen kursiert dagegen die Theorie, dass es auch Aktionen von Scharfmachern in den eigenen Reihen gewesen sein könnten. Die Vermutung, dass Präsident Hassan Rohani seine Widersacher nicht mehr im Griff hat, gibt es schon lange. Nach Angaben der "Volksmudschahedin" sollen die Angriffe allerdings im Obersten Nationalen Sicherheitsrat, unter Leitung von Rohani, abgesegnet worden sein: Angesichts der mächtiger werdenden Opposition sei das Regime längst wieder bereit, Gegner auch im Ausland zu töten. Egal, zu welchen Problemen dies führe.
Die Europäer haben Teheran inzwischen gleich mehrmals eine unmissverständliche Botschaft gesandt: Im Januar wurden unter ausdrücklichem Hinweis auf die Geheimdienst-Aktivitäten erstmals wieder Sanktionen verhängt, wenn auch eher symbolischer Art. In einem ungewöhnlichen Schritt protestierten sechs Botschafter - darunter der deutsche - im Außenministerium in Teheran. Man habe eine klare Warnung überbringen wollen, heißt es in der Bundesregierung.