Irak:Kampf um Kirkuk

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Einheiten der irakischen Armee rücken auf Ölfelder in Kirkuk vor. Einige Gebiete konnte das Militär bereits kampflos einnehmen. (Foto: Reuters)
  • Die irakische Armee will die Ölstadt von den kurdischen Peschmerga zurückerobern.
  • Es könnte der Beginn eines neuen Bürgerkriegs sein.
  • Die Bundeswehr hat Peschmerga trainiert und ihnen Waffen geliefert, die jetzt gegen irakische Panzer aus US-Produktion zum Einsatz kommen könnten.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Am Sonntag noch hatten Bewohner der umkämpften Ölstadt Kirkuk am Telefon berichtet, das Leben gehe seinen gewohnten Gang, auch wenn die Atmosphäre angespannt sei. Der Basar war offen, Menschen waren auf den Straßen. Am Tag danach: Chaos, Schießereien, Panzer der irakischen Armee auf wichtigen Einfallstraßen. Tausende kurdische Zivilisten versuchen, nach Erbil oder Sulaimaniyah zu fliehen, den beiden großen Städten im kurdischen Autonomiegebiet.

Iraks Premier Haidar al-Abadi hatte vergangenen Woche versprochen, die Armee werde "nicht gegen unsere kurdischen Mitbürger eingesetzt". In der Nacht zum Montag starteten irakische Einheiten doch eine große Operation, um Gebiete zurückzuerobern, die seit Sommer 2014 die kurdischen Peschmerga kontrollieren, die aber ebenso die Zentralregierung in Bagdad beansprucht. Es gibt erste Gefechte und Tote.

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Offiziell sind die Panzer zu Aufklärungszwecken auf dem Weg nach Idlib. Doch Staatspräsident Erdoğan spricht davon, an seiner Grenze keine Terroristen zu dulden. Wen er damit meint, ist nicht ganz klar.

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Die USA haben beide Seiten mit Waffen beliefert

Es könnte der Beginn eines neuen Bürgerkriegs im Irak sein, in dem auf beiden Seiten Alliierte der Amerikaner stehen, die in der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kämpfen, nur Tage nachdem die letzte Hochburg der Dschihadisten gefallen ist. Die USA haben beide Seiten mit Waffen beliefert und gegen den IS unterstützt.

Auch für die Bundesregierung könnten die Auseinandersetzungen zu einem ernsten politischen Problem werden: Die Bundeswehr hat Tausende Peschmerga trainiert, ihnen Dingo-Panzerfahrzeuge geliefert, Maschinen- und Sturmgewehre und Milan-Panzerabwehrraketen - die jetzt gegen irakische Panzer aus US-Produktion zum Einsatz kommen könnten. Die Kurden haben zugesagt, diese Waffen nur im Kampf gegen den IS zu verwenden. Ob sie sich daran halten, sollte der Konflikt eskalieren, muss sich erst noch zeigen.

Die Ausbildungsmission für die Peschmerga hat die Bundeswehr wegen der Lage bereits am Freitag unterbrochen, teilte Bundesverteidigungsministerium am Montag mit.

Doch bekommt die Offensive eine unerwartete Wendung: Kampflos nehmen irakische Einheiten den K-1-Luftwaffenstützpunkt westlich Kirkuks ein, das Baba-Gurgur-Ölfeld, eine Raffinerie und das Hauptquartier der Northern Oil Company. Dazu Gasanlagen und ein Kraftwerk, in Kirkuk fallen Strom und Mobilfunk aus.

Die Kurden hatten ihre Positionen offenbar aufgegeben. Ein irakischer Kommandeur sagte, es gebe eine Vereinbarung, die Ölanlagen aus Kämpfen herauszuhalten. Am Nachmittag kontrollieren irakische Einheiten aber auch den Flughafen an der westlichen Stadtgrenze. Die Bundespolizei holt am Sitz des Gouverneurs die kurdische Flagge ein und besetzt Regierungsgebäude.

Die US-geführte Koalition im Irak bezeichnet die Gefechte der Nacht als "Missverständnis". Die Koalition beobachte Militärfahrzeuge beider Seiten und glaube, es handele sich um "koordinierte Bewegungen, nicht um Angriffe", hieß es.

Die irakischen Verbände machen sich offenbar einen Streit zwischen den Kurden zu Nutze, der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) von Regionalpräsident Massud Barzani und Teilen der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Sie ist in Kirkukdominierende Kraft, viele lokale Funktionäre lehnten es Ende September ab, das Unabhängigkeitsreferendum in ihrer Stadt abzuhalten. Nun entscheiden sie sich offenbar dagegen zu kämpfen - was der Stadt vielleicht ein schlimmes Schicksal erspart, aber eine schwere politische Niederlage für die Kurden ist, hatten sie doch Kirkuk zum "Jerusalem Kurdistans" erklärt.

Auch sie hatten die Stadt im Sommer 2014 nahezu kampflos übernommen. Damals waren ganze Divisionen der irakischen Armee vor dem IS geflohen. Diesmal, scheint es, lief es umgekehrt. Eine maßgeblich Rolle dürften enge Kontakte zwischen PUK und Iran gespielt haben. Qassim Soleimani, Chef der für Auslandsoperationen zuständigen Quds-Brigaden der Revolutionsgarden, drohte den Kurden mit Angriff, sollten sie das Referendum auch in Kirkuk abhalten. Iran schloss nun die Grenze zu den Kurdengebieten. Den größeren Teil der irakischen Truppen stellen Schiiten-Milizen - die großteils auf Befehle Soleimanis hören. Eingebunden waren auch reguläre irakische Verbände: eine Panzerdivision, eine Anti-Terror-Einheit, die Premier Abadi untersteht, sowie Einheiten der Bundespolizei.

Die Türkei intervenierte nicht; sie versteht sich als Schutzherr der Turkmenen in Kirkuk, die nicht zu Kurdistan gehören wollen. Zugleich sprach Ankara von PKK-Verbänden in der Stadt, wohl ein Bezug auf eine gewisse ideologische Nähe der PUK zur als Terror-Organisation verbotenen türkischen Kurden-Organisation. Offen ist, wie die irakischen Kurden und Präsident Barzani reagieren. Das Generalkommando der Peschmerga sprach von einer "Kriegserklärung".

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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