EXKLUSIV:Internationale Großfahndung nach IS-Kämpfern

Syria

Die Führung des IS sowie bis zu 8000 Kämpfer werden aktuell im Euphrat-Tal zwischen der syrischen Stadt al-Mayadin und der irakischen Grenzstadt al-Qaim vermutet.

(Foto: picture alliance/AP Photo)
  • Internationale Spezialisten werten die Daten aus, die die Terrormiliz an den Orten ihrer Niederlagen hinterlässt.
  • Wichtige Erkenntnisse liefern Festplatten, Handy-Speicherkarten, Fingerdabdrücke und Fotos getöteter Kämpfer
  • Die Geheimdienste erhoffen sich davon Aufschluss, wer dem IS angehörte und was dieser aktuell plant.
  • Auch der Bundesnachrichtendienst ist an der Arbeit beteiligt.

Von Paul-Anton Krüger und Georg Mascolo, Kairo

Eine internationale Koalition aus Militär und Geheimdiensten wertet nach den militärischen Niederlagen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) systematisch deren Hinterlassenschaften aus. Wichtigste Ziele dieser Arbeit, an der auch der deutsche Bundesnachrichtendienst in erheblichem Umfang beteiligt ist: neue Anschläge zu verhindern sowie Identität und Verbleib möglichst aller Kämpfer zu ermitteln, die sich der Organisation angeschlossen haben. Allein aus Deutschland sollen 940 Menschen ins Kalifat gezogen sein.

Der IS hatte im Sommer in Mossul sein wichtigstes Zentrum verloren, zuletzt auch die Stadt Hawija und Umgebung, die letzte Hochburg im Irak. In Syrien steht das zur Hauptstadt ausgerufene Raqqa kurz vor dem Fall. Das dürfte viele neue Erkenntnisse bringen. Nach der Befreiung werden zurückeroberte Gebiete Haus für Haus durchsucht; dabei fallen riesige Datenmengen an. Gesichert und analysiert werden Dokumente der IS-Verwaltung, elektronische Medien, wie Festplatten oder Speicherkarten von Mobiltelefonen, die zurückgelassen wurden, und biometrische Daten: Fingerabdrücke und Fotos getöteter Kämpfer.

Die Geheimdienste erhoffen sich davon Aufschluss, wer dem IS angehörte und was die Organisation nach ihrer Niederlage plant. Derzeit haben sich die überlebenden Kader und laut westlichen Geheimdiensten etwa 6500 bis 8000 Kämpfer, unter ihnen viele Ausländer, in das Euphrat-Tal zwischen der syrischen Stadt al-Mayadin 165 Kilometer südöstlich von Raqqa und der irakischen Grenzstadt al-Qaim zurückgezogen. Auch der IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi wird dort vermutet.

Möglicherweise hat der IS Schläferzellen positioniert

Nicht gefunden wurden bislang Unterlagen oder Kader der sogenannten Abteilung für externe Operationen, die zeitweise für den IS zentral Anschläge plante und steuerte. Sie soll die Attentate in Paris und Brüssel mitorganisiert und in Auftrag gegeben haben. Auch IS-Attentäter in Deutschland könnten zu ihr in Kontakt gestanden haben, darunter Anis Amri, der einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz steuerte und insgesamt zwölf Menschen tötete.

Die Geheimdienste gehen zwar davon aus, dass die militärischen Befehlsstrukturen des IS nur noch lokal funktionieren. Es ist aber denkbar, dass der IS etwa Schläferzellen positioniert hat, die zu einem vereinbarten Zeitpunkt oder ausgelöst durch vorher definierte Ereignisse aktiv werden.

Viele Kämpfer gelten den Sicherheitsbehörden nach wie vor als überzeugte Dschihadisten und damit als potenzielle Attentäter. Mit der Auswertung soll verhindert werden, dass Überlebende unerkannt untertauchen. Von den 940 aus Deutschland ausgereisten Personen soll ein Drittel heimgekehrt sein; in Hamburg begann am Donnerstag ein Prozess gegen einen von ihnen.

Bei etwa 145 Kämpfern gibt es Hinweise darauf, dass sie getötet wurden. Vor allem Frauen, die beim IS waren, wurden in den vergangenen Monaten im Irak festgenommen oder haben sich teils über ihre Familien an die deutschen Behörden gewandt, insgesamt sind das aber nur etwa ein Dutzend Personen. Von den restlichen fehlt jede Spur.

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