Wahl in Brasilien:Warum Schwarze einen Rassisten wählen

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Obwohl er Afrobrasilianern unterstellt, sie seien zu faul, um sich fortzupflanzen, haben viele Schwarze Jair Bolsonaro ihre Stimme gegeben. (Foto: REUTERS)

Der Rechtsextremist Jair Bolsonaro ist der große Favorit auf das Präsidentenamt in Brasilien. Er hetzt gegen Schwarze und gegen Frauen - und wird trotzdem von ihnen gewählt. Die Gründe erklärt eine Wissenschaftlerin.

Interview von Benedikt Peters

Im Jahr 2009 veröffentlichte der britische Economist ein Cover, das die Christusstatue von Rio de Janeiro als Mondrakete zeigt. "Brazil takes off", stand darunter, "Brasilien hebt ab". Die Wirtschaft wuchs mit gigantischen Raten, mehr als 30 Millionen Brasilianer schafften den Aufstieg in die Mittelschicht. An den traditionell von Weißen dominierten Universitäten waren plötzlich auch viele Afrobrasilianer zu sehen, weil die Regierung Stipendienprogramme aufgelegt hatte. Neun Jahre später aber ist alles anders: Der einst für den Aufstieg gefeierte Ex-Präsident Lula da Silva sitzt wegen Korruptionsvorwürfen im Gefängnis, seine linke Nachfolgerin wurde aus dem Amt gedrängt - und nun schickt sich ein Rechtsextremist an, Präsident Brasiliens zu werden. Jair Bolsonaro hetzt gegen Homosexuelle und Indigene. Er beschimpft auch Frauen und Schwarze - die ihm dennoch in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am vergangenen Wochenende millionenfach ihre Stimme gaben. Die Politikwissenschaftlerin und Brasilien-Expertin Mariana Llanos spricht über das Phänomen.

SZ: Brasilien, die viertgrößte Demokratie der Welt, steht kurz davor, einen Rechtsextremisten zum Präsidenten zu machen. Jair Bolsonaro ist der große Favorit für die Stichwahl am 28. Oktober. Wie konnte es so weit kommen?

Mariana Llanos: Seit 2013 sind viele Dinge in der brasilianischen Gesellschaft passiert, auf die die etablierten Parteien keine überzeugenden Antworten hatten. Einerseits gab es gigantische Korruptionsskandale, etwa um den staatlichen Ölkonzern Petrobras, in den viele Politiker verstrickt waren. Weder die linksgerichtete Arbeiterpartei noch die konservativen Kräfte sind damit vernünftig umgegangen. Hinzu kam, dass die Etablierten es nicht mehr geschafft haben, die ganz alltäglichen Probleme der meisten Brasilianer zu lösen.

Welche sind das?

Viele Brasilianer haben ganz einfach Angst. Vor dem gesellschaftlichen Abstieg etwa, weil sie fürchten, durch die noch immer nicht bewältigte Wirtschaftskrise ihren Job zu verlieren. Vielleicht haben sie ihn auch schon verloren. Andere fürchten schlicht um ihr Leben, seitdem die Gewalt in den Großstädten wie Rio de Janeiro stark angestiegen ist.

Solche Ängste sind nachvollziehbar. Aber warum glauben offenbar so viele Menschen in Brasilien, dass ausgerechnet ein Rechtsextremist helfen könnte?

Bolsonaro hat es geschafft, sich als Saubermann zu inszenieren, als eine Art Outsider, der anders als alle anderen nicht korrupt ist. Das ist schon deswegen interessant, weil er seit Anfang der 1990er Jahre im brasilianischen Parlament sitzt und damit durchaus zu den Etablierten gehört. Zudem sind seine Söhne so wie er in die Politik gegangen, was an Clanstrukturen erinnert. Das aber steht nicht im Vordergrund - sondern, dass Bolsonaro bisher kein Korruptionsskandal angehängt werden konnte. Hinzu kommt, dass er sehr einfache Lösungen anbietet. Beim Thema Gewalt vertritt er das Prinzip der mano dura, der harten Hand: Die Polizei soll zurückschießen, noch mehr als jetzt, da bereits sehr viele Menschen von Polizisten getötet werden. Solche Vorschläge mögen unheilvoll sein, aber sie bleiben hängen. Bolsonaro wird wahrgenommen als derjenige, der sich kümmert.

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Der Mann hat immer wieder Hass verbreitet. Er hat einer Politikerin zugerufen, sie sei es nicht wert, von ihm vergewaltigt zu werden. Afrobrasilianern hat er unterstellt, sie seien zu faul, um sich fortzupflanzen. Trotzdem haben Millionen Frauen und Schwarze in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen für ihn gestimmt. Wie ist das zu erklären?

Zuschreibungen wie "Afrobrasilianer" helfen hier nicht weiter. Bei der Wahlentscheidung geht es darum, welche Konflikte die Menschen am meisten interessieren. Stellen Sie sich vor, Sie sind schwarz und leben in einer Favela in Rio. Ihre Nachbarn sind Drogendealer und Sie halten es für möglich, dass die jederzeit ihren 14-jährigen Sohn zum Dealen zwingen oder ihn sogar erschießen. Dann wollen Sie unbedingt das Leben Ihres Sohnes retten. Dann scheint vielleicht Bolsonaros Lösung, auf Gewalt mit Gewalt zu reagieren, die überzeugendste zu sein und Sie wählen ihn. Bei Frauen ist es das gleiche: Angehörige der oberen Mittelschicht etwa fühlen sich von linken Ideen bedroht. Sie verachten Ex-Präsident Lula da Silva und dessen Arbeiterpartei, weil er ihnen seinerzeit viele Privilegien genommen hat. Sie stimmen für seinen Gegner, komme, was wolle.

Die Politikwissenschaftlerin und Brasilien-Expertin Mariana Llanos (Foto: Boris Rostami-Rabet)

Ist Bolsonaro eine Gefahr für die brasilianische Demokratie?

Ja. Die Lage ist äußerst heikel, da gibt es nichts zu beschönigen. Bolsonaro hat im Wahlkampf keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Demokratie verachtet. Das ist der größte und zugleich beunruhigendste Unterschied zu anderen rechten Politikern in Lateinamerika. In Argentinien zum Beispiel ist mit Mauricio Macri ein rechter Präsident an die Macht gekommen, der versprochen hat, die tatsächlichen oder angeblichen Schäden zu reparieren, die die linke Vorgängerregierung angerichtet hatte. Aber Macri spielt innerhalb der demokratischen Regeln.

Bolsonaro hingegen verherrlicht die brasilianische Militärdiktatur und sagt, er werde eine Niederlage in der Stichwahl nicht akzeptieren.

Genau. Solche Äußerungen bereiten vielen Menschen große Sorgen. Bolsonaro mag gute Chancen haben, in den Präsidentenpalast einzuziehen, eine Mehrheit im Kongress aber wird er wohl nicht bekommen. Was tut er, wenn die Abgeordneten ein Gesetz von ihm kippen wollen? Was, wenn sich ihm der Oberste Gerichtshof in den Weg stellt? Es ist fraglich, ob er dann bei den demokratischen Spielregeln bleibt. Zumal sein designierter Vizepräsident, der Reservegeneral Hamilton Mourão, die Demokratie noch mehr verachtet als Bolsonaro selbst.

Noch hat das Duo ja nicht gewonnen, für die linke Arbeiterpartei hat es Fernando Haddad in die Stichwahl geschafft. Was sollte er tun, um den Rückstand noch aufzuholen?

Die Arbeiterpartei hat in diesem Wahlkampf bisher selbst sehr stark polarisiert, sie hat im insgesamt eher konservativen Brasilien sehr viel über Identitätspolitik gesprochen und damit Bolsonaro eine Angriffsfläche geboten. Sie hat sich zudem als Opfer dargestellt, nachdem ihr ursprünglicher Kandidat Lula wegen Korruptionsvorwürfen ins Gefängnis musste. Auch jetzt, nach der ersten Runde, ist Haddad ins Gefängnis gefahren, um sich dort mit Lula zu beraten. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Haddad muss jetzt zeigen, dass er selbst das Zeug zum politischen Anführer hat. Er muss Vorschläge machen, mit denen es gelingt, die politische Mitte zu erobern. Er muss den Brasilianern signalisieren: Ich habe eure Sorgen verstanden.

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