Internationale Ordnung:Den Worst Case will niemand zu Ende denken

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Wie sehr wird Donald Trump vom Weißen Haus aus die Welt verändern? (Foto: dpa)
  • Wie wird US-Präsident Trump die Welt verändern?
  • In Brüssel konkurrieren zwei Szenarien: Trump kommt zur Vernunft, oder er bleibt so, wie die Welt ihn kennt - mit unabsehbaren Folgen.
  • Europa, die Nato und Russland sehen sich mit neuen Ängsten konfrontiert.

Von Stefan Braun, Daniel Brössler und Julian Hans

Der Neubau schießt nicht wirklich hoch hinaus, wirkt aber dynamisch. "Das Design schafft einen flexiblen Raum, der unterschiedlichen Anforderungen gerecht wird sowie modere Informations- und Kommunikationstechnologie integriert", steht im Prospekt. Herausgegeben hat ihn nicht ein Immobilienentwickler, sondern die mächtigste militärische Allianz der Gegenwart. Gebaut worden sei, heißt es da, "mit der Zukunft im Sinn". Das neue Hauptquartier wartet fast bezugsfertig im Osten Brüssels auf die feierliche Eröffnung Ende Mai. Dann kommt Donald Trump zum Nato-Gipfel ins "Höllenloch", wie der neue US-Präsident die Stadt genannt hat. Über die Zukunft der Nato wird man dann mehr wissen. Vielleicht.

Nach Trumps Wahlsieg konkurrierten im diplomatischen Nervenzentrum Europas zwei Szenarien. In Szenario Nummer eins kommt Trump zu relativer Vernunft. In Szenario zwei bleibt er so wie die Welt ihn kennt - mit unabsehbaren Folgen für die internationale Ordnung und die Sicherheit Europas. Auch im Auswärtigen Amt in Berlin sind für beide Szenarien Was-wäre-wenn-Listen ausgearbeitet worden. Ganz zu Ende gedacht worden ist der Ernstfall aber nirgendwo. "Die Konsequenzen wären so dramatisch, dass niemand das vollständig denken mag", sagt der Nato- und EU-Experte Jan Techau von der American Academy in Berlin. Nicht nur sei ein Europa ohne amerikanischen Schutz nuklear erpressbar; das "strukturell instabile Gebilde" EU habe ohne die Sicherheitsgarantien der USA vermutlich keinen Bestand.

Von der Gegenwart aber ergreift vorerst ein drittes Szenario Besitz: Trump ist immer noch Trump. Er twittert mal dies, mal das. Und er hat den Weltenbrand-Ideologen Stephen Bannon zum vielleicht zweitmächtigsten Mann im Staat gemacht. Einerseits. Andererseits klingen Außenminister Rex Tillerson und Verteidigungsminister James Mattis ganz so, als müsse sich niemand Sorgen machen. Außenminister Sigmar Gabriel, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sind mit beruhigenden Beteuerungen aus Washington zurückgekehrt. Mattis präsentierte sich beim ersten Treffen mit den Nato-Kollegen in Brüssel als guter Alliierter. Der best case und der worst case scheinen verschmolzen zu sein. Aber zu was?

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Die Leaks aus seiner Regierung seien "kriminell" und von seinem Vorgänger habe er "ein Chaos geerbt", sagt Trump bei einer Pressekonferenz. Und kündigt an, bald eine neue Version des Einreiseverbots zu präsentieren.

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Eine Antwort könnte das Duo Trump-Putin geben. Seit seinem Wahlkampf hat Trump so ziemlich jede Regierung kritisiert, wenn nicht gar beleidigt - von guten Nachbarn wie Mexiko bis zu alten Verbündeten wie Australien oder Deutschland. Nicht kritisiert hat er: Wladimir Putin. Das russische Staatsfernsehen präsentiert Trump als Hoffnungsträger. Auch im Kreml hat man aber die Widersprüche zwischen den schmeichelnden Worten des neuen US-Präsidenten und den eher der Tradition republikanischer Falken folgenden Aussagen seiner Minister und Berater registriert.

Man müsse abwarten, welche konkreten Schritte Trump jetzt unternehme, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Dass er die Absicht äußerte, sich in die Ukraine-Frage erst einzuarbeiten, wertete der Chefdiplomat etwas von oben herab als "großen Fortschritt". Wie der Rest der Welt muss sich Russlands Führung aber erst einmal auf haarsträubende Kenntnislosigkeit des neuen US-Präsidenten einstellen. Als Putin Trump telefonisch die Ausweitung des Start-Abrüstungsvertrages angeboten haben soll, hat Trump offenbar nicht gewusst, wovon überhaupt die Rede ist.

Seit Flynns Rücktritt werden Moskaus Töne schärfer

Seit dem Rücktritt des Sicherheitsberaters Michael Flynn werden die Töne aus Moskau schon wieder schärfer. Entweder Trump sei doch nicht so souverän wie er vorgebe, "oder die Russophobie hat jetzt auch schon die neue Regierung voll erfasst", ätzte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im russischen Föderationsrat, Konstantin Kossatschow.

Zumindest in dieser Hinsicht sitzen bei ziemlich hohem Wellengang alle im selben Boot: Sie wissen immer noch nicht, was dieser amerikanische Präsident will und wozu er in der Lage ist. Daraus folgt zunächst ein praktisches Problem: Wie soll man reden mit dieser neuen Regierung, um die Stimmen der Vernunft zu stärken? In Absprache mit dem Kanzleramt wurde im Auswärtigen Amt eine kleine Sprachregelung entworfen - sieben Punkte in englischer Sprache, die fürs Erste als Leitlinien für alle Gespräche mit Partnern aus der neuen US-Regierung gelten sollen.

"Let's do Russia together", ist so ein Satz. "Lasst uns gemeinsam um Russland kümmern." Dahinter steht die Hoffnung, Alleingänge verhindern zu können. Nachdem vor allem Pence und Tillerson in ersten Gesprächen mit Gabriel signalisiert haben sollen, dass die Sanktionen wegen der russischen Aggression gegen die Ukraine erst mal nicht einseitig gelockert werden, herrscht zaghafter Optimismus. Noch so ein Satz ist: "Do everything to save the nuclear deal." Tu alles, um das Nuklearabkommen mit Iran zu retten. Auch hier lebt die Hoffnung noch. Wegen des iranischen Raketentests haben die USA zwar kleinere Sanktionen verhängt, aber die neue Regierung hat nichts getan, um das von Trump so giftig kritisierte Abkommen zu zerstören. So sieht es auch Helga Schmid, die Generalsekretärin des Auswärtigen Dienstes der EU. Die Deutsche hatte jahrelang die Fäden der Verhandlungen mit Teheran zusammengehalten. Das multilaterale Abkommen sei "nicht verhandelbar", sagt sie. Es ist dies auch die Botschaft, welche die EU-Außenbeauftragte Mogherini in Washington hinterlegt hat.

"Eines Tages kommt der Test"

"Es gibt viele Dossiers, in denen die EU und die USA ein Interesse an enger Zusammenarbeit verbindet", verkündete sie nach einem Treffen mit Tillerson. Dies ist die pragmatische Formel, an der sich viele in Europa, übrigens auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, festhalten. Die Prämisse ist, dass Trumps Amerika ein berechenbarer, wenn auch schwieriger Partner wird. Auf fast verzweifelte Weise verkörpert Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg diesen Glauben. Er sei "absolut sicher, dass der neue Präsident und die neue Regierung vollständig zur Nato, zur transatlantischen Partnerschaft und zur Bedeutung von Sicherheitsgarantien stehen werden", sagte er.

Im Wahlkampf hatte Trump die Beistandsklausel in Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages wie eine Versicherungspolice behandelt - gültig nur nach bezahlten Beiträgen. Würde er das als Präsident wiederholen, wäre die Nato tot. Um das zu verhindern, muss der reizbare Milliardär milde gestimmt werden. Zum einen mit Geld, also höheren Verteidigungsausgaben. Zum anderen durch eine stärkere Hinwendung zum Anti-Terrorkampf, auf dass Trump die Nato nicht mehr "obsolet" schimpfe. Selbst im Best-case-Szenario ist also mit größeren Verschiebungen zu rechnen. Deutsche Diplomaten im Nato-Hauptquartier bekommen schon zu spüren, dass es für den hinhaltenden Widerstand gegen mehr Nato im Kampf gegen den Terror des "Islamischen Staates" kaum noch Verbündete gibt. Probleme sind das, aber keine unlösbaren.

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Geschäftig verdrängt wird bereits, dass die Unsicherheit immer noch da ist - die "Wackelsituation", wie Techau es nennt. "Doch eines Tages kommt der Test", warnt er, "der Moment der Wahrheit". Dann werde Putin irgendwo eine Grenze überschreiten. Und wissen wollen, was Artikel 5 noch wert ist.

© SZ vom 16.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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