International:Jetzt taut's: Eisschmelze, Meeresspiegel, Gletscherschwund

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Links: Luftaufnahme des damals noch existierenden Okjökull-Gletschers aus dem Jahr 1986. Rechts: Vom geschrumpften Gletscher ist im August 2019 nur ein kleiner Fleck aus Eis übrig. Foto: AP (Foto: dpa)

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Monaco (dpa) - Der menschengemachte Klimawandel hat auf die Eisschmelze und die Ozeane größere Auswirkungen als bisher angenommen. Bis 2100 könnte der Meeresspiegel um bis zu rund einen Meter steigen, falls nicht mehr Klimaschutz betrieben wird.

Das geht aus einem Report des Weltklimarates (IPCC) zu den Folgen der Erderhitzung auf Ozeane und Eismassen hervor, der am Mittwoch in Monaco veröffentlicht wurde. Zuvor war der IPCC von einem Anstieg um bis zu 82 Zentimeter von 1901 bis 2100 ausgegangen. Die neue Prognose bedeutet auch, dass Sturmfluten entsprechend höher werden. Bestimmte Küsten könnten unwiederbringlich verloren gehen.

Hauptgrund für den Anstieg: Die Eisschmelze in Antarktis und Grönland beschleunigt sich stärker als zuvor berechnet. Der Meeresspiegel steigt laut IPCC derzeit um 3,6 Millimeter pro Jahr und damit mehr als zweimal so schnell wie im Schnitt des vergangenen Jahrhunderts. Insbesondere in den Tropen könne der Meeresspiegel zusammen mit Wirbelstürmen die Zerstörungen verschärfen.

In Deutschland sind vor allem die Alpen betroffen: Die Gletscher in den Gebirgen von Mitteleuropa und anderen Regionen werden bis 2100 ohne stärkeren Klimaschutz im Schnitt 80 Prozent ihrer Eismasse verlieren. Viele sind dem IPCC zufolge selbst mit besten Klimaschutzbemühungen nicht mehr zu retten.

Ist Skifahren bald passé? "Dort, wo ich aufgewachsen bin, hatte früher jedes Dorf einen Skilift und heute gibt es dort selten mehr als fünf Tage Schnee pro Jahr", berichtet Glaziologe Matthias Huss von der ETH Zürich. Man sehe heute schon die Verschiebung der Skigebiete in mittlere und höhere Höhenlagen. Derzeitige Kunstschnee-Maschinen werden laut IPCC bei einer Erderwärmung um zwei Grad nicht mehr so effektiv sein wie heute.

Seit den 80er Jahren gebe es einen anhaltenden, sich sogar beschleunigenden Verlust der Gletscher in den Alpen, sagt Huss. Grundsätzlich könne man sagen, dass auch mit einer Erwärmung von 1,5 Grad und starkem Klimaschutz Veränderungen nicht zu vermeiden seien. "Aber sie wären einfach langsamer."

Vor allem im Sommer sind Gletscher wichtig, denn sie speisen dann Flüsse mit ihrem Schmelzwasser. Das Abschmelzen kann sich daher auch auf den Pegelstand des Rheins auswirken. Und es gleicht einer Spirale: Wenn eine gewisse kritische Masse geschmolzen ist und schon relativ viel Steinmaterial freiliegt, schmelzen die Gletscher verstärkt, wie Matthias Bernhardt von der Universität für Bodenkultur in Wien erläutert. Das liege etwa daran, dass die Steine sich erwärmen.

Während das Gletscherwasser unaufhaltsam in Meer fließt, hat Deutschland sich im Norden gegen den Meeresspiegelanstieg recht gut gewappnet und viel Geld in den Deichbau gesteckt. Für die Küste habe Deutschland gut vorgesorgt, insbesondere Schleswig-Holstein, sagt IPCC-Leitautorin Zita Sebesvari von der Universität der Vereinten Nationen in Bonn. Das Bundesland habe als eine der wenigen Regionen der Erde Klimadeiche gebaut. Die sind sehr breit, so dass sie später aufgestockt werden können. "Das ist ziemlich selten und wirklich innovativ", lobt die Forscherin aus Ungarn. Für Wattenmeer und Halligen sehe es jedoch bereits 2050 eher schlecht aus. "Eine Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad wäre für das Wattenmeer lebensnotwendig", sagt Sebesvari.

Mecklenburg-Vorpommern rechnet nach den Worten von Umweltminister Till Backhaus (SPD) mit höheren Kosten für den Schutz seiner Küste. Derzeit wende das Land jährlich rund 20 Millionen Euro dafür auf. "Das wird zukünftig nicht mehr reichen", so Backhaus am Mittwoch.

Weltweit wird es dem neuen Bericht zufolge häufiger Sturmfluten und Überschwemmungen geben. "Ich habe nicht erwartet, dass diese Extremereignisse schon vor 2050 an so vielen Orten der Erde so häufig vorkommen", sagt Sebesvari. Einiges, was bisher einmal in 100 Jahren geschah, werde vor 2050 jährlich vorkommen. Ursachen sei einerseits der Meeresspiegel, andererseits häufigere Wirbelstürme. "Wenn man in einer randvollen Badewanne Wellen verursacht, läuft sie über", sagt Sebesvari. Besonders gefährdet seien die pazifischen Inseln und die Westküste Mittelamerikas. "Mit dem jetzigen weltweiten Kurs können wir den Herausforderungen nicht begegnen", betont sie.

"Der Meeresspiegel steigt schneller als im vergangenen Weltklimareport 2013/2014 gedacht", so Sebesvari. Hauptursache des beschleunigten Meeresspiegelanstiegs sind die schmelzenden Eisschilde auf Grönland und der Antarktis, die derzeit zusammen über 400 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr verlieren.

Grönland und die Westantarktis haben dem Report zufolge im Zeitraum 2007 bis 2016 zwei- bis dreimal soviel Masse wie noch 1997 bis 2006 verloren. "Das kommt in vielen Bereichen durch ein Ausdünnen der schwimmenden Eismassen, der Schelfeise, so dass die Rückhaltekraft auf die Inlandeisgletscher geringer wird", sagt Glaziologin Angelika Humbert vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI). Die Schelfeise werden dünner, weil das Wasser, auf dem sie schwimmen, wärmer wird.

Der Meeresspiegel steigt, wenn wir weitermachen wie bisher, stärker als gedacht, weil der vergangene Report einige Faktoren noch nicht einbezogen hatte. "Der neue Report hat das erste Mal das Abschmelzen des antarktischen Eisschildes mit hineingenommen", erklärt Mitautor Thomas Frölicher von der Universität Bern. "Man ist immer vorsichtig gewesen." Es habe zuvor zu wenig gute Daten gegeben, um dies einzubeziehen. Auch jetzt gebe es noch große Unsicherheiten. "Sicher ist aber, der Meeresspiegel wird ansteigen", sagt Frölicher. Das geschehe lange Zeit selbst dann, wenn die Erdtemperatur gar nicht mehr ansteige, weil das System sehr langsam reagiere. "Das Ganze ist nur zu stoppen durch drastische Reduktion der Treibhausgase", sagt Hans-Otto Pörtner, Ko-Leiter des nächsten umfassenden IPCC-Berichts.

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