Integration:Für viele Deutschtürken geht Religion vor Gesetz

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Teilnehmerinnen einer protürkischen Demonstration im September 2015 in Berlin. (Foto: dpa)

Mehr als die Hälfte der Befragten fühlen sich in Deutschland als Bürger zweiter Klasse.

Von Jan Bielicki, München

Unter den in Deutschland lebenden Menschen mit Wurzeln in der Türkei sind dogmatische und fundamentalistische Auslegungen des Islam weit verbreitet. In einer Umfrage für eine Studie der Universität Münster gab fast die Hälfte der Befragten an, für sie sei die Befolgung der Gebote ihrer Religion "wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe". Fast jeder Vierte meinte, Muslime sollten es vermeiden, die Hand von Menschen anderen Geschlechts zu schütteln. Und jeder Fünfte stimmte der Aussage zu, die Bedrohung des Islam durch die westliche Welt rechtfertige es, "dass Muslime sich mit Gewalt verteidigen".

Allerdings sind solche fundamentalistischen Haltungen unter den in Deutschland geborenen Türkeistämmigen der zweiten und dritten Generation weniger populär als bei Einwanderern der ersten Generation. Die Jüngeren beten auch nicht so oft und gehen seltener in die Moschee als ihre Eltern und Großeltern, auch tragen weniger jüngere als ältere Frauen ein Kopftuch. Dennoch schätzen sich drei Viertel der Deutschtürken zweiter und dritter Generation als "tief", "sehr" oder "eher" religiös ein.

Mehr als die Hälfte fühlt sich als Bürger zweiter Klasse

Dabei fühlen sich neun von zehn der befragten Türkeistämmigen hier wohl und Deutschland eng verbunden. Fast ebenso viele fühlen aber auch enge Bindungen zur Türkei. Die Zuwendung vieler Deutschtürken zum Islam habe auch damit zu tun, dass vielen von ihnen das Gefühl fehle, "willkommen geheißen und anerkannt zu sein", sagte der Religionssoziologe Detlef Pollack bei der Vorstellung der Untersuchung am Donnerstag in Berlin.

Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, sich als Bürger zweiter Klasse zu fühlen. Vier von fünf erklärten, es mache sie wütend, "wenn nach einem Terroranschlag als Erstes die Muslime verdächtigt werden". Das hängt damit zusammen, dass eine große Mehrheit der türkeistämmigen Muslime ein positives Bild vom Islam hat - ganz anders als die Gesamtbevölkerung. Aber auch im Christentum sehen viele der befragten Türkeistämmigen vor allem positive Werte.

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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