Der Fall Lisa in Berlin zeigt, dass ein Migrationshintergrund nicht vor Ressentiments gegenüber Flüchtlingen schützt. Eine Befragung im Auftrag der Welt am Sonntag ergab, dass Zuwanderer im gleichen Maße wie Deutsche Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen haben. Ist das schon ein Zeichen für Integration? Verbessert die Flüchtlingskrise den Ruf der bereits hier lebenden Bevölkerung mit Migrationshintergrund? Gülistan Gürbey ist Privatdozentin an der Freien Universität Berlin und hat sich unter anderem auf die Türkei spezialisiert.
SZ.de: Sind die Türken die neuen Italiener?
Gülistan Gürbey: Vorlieben für bestimmte Migranten hat es immer gegeben, aus vielerlei Gründen. Was sich abzeichnet, ist, dass das überwiegend negative Bild von Migranten aus der Türkei in den Hintergrund rückt. Bislang wurde vor allem diese Gruppe negativ wahrgenommen. Nun scheint es so, dass vor allem "arabische" Flüchtlinge in diese Rolle rücken.
Woran liegt das?
Es ist vor allem die große Anzahl der Flüchtlinge und ihr kulturell-religiöser, muslimischer Background, aber auch dass sie in so kurzer Zeit nach Deutschland gekommen sind. Es wirkt auf die Bevölkerung plötzlich, unerwartet und ungeplant. Ereignisse, wie wir sie an Silvester in Köln erlebt haben, beschleunigen negative Prozesse in der öffentlichen Wahrnehmung und die Zuordnungen zu bestimmten Gruppen.
Warum stehen alteingesessene Migranten besser da, nur weil Flüchtlinge schlecht dastehen?
Angesicht der Flüchtlingskrise treten die Unterschiede deutlicher hervor. Plötzlich fühlt man sich den "Türken" viel näher, die man vor allem aufgrund ihres kulturell-religiösen Backgrounds als fremd und anders wahrgenommen hat. Man fühlt sich näher, weil man sie bereits länger kennt, weil man weiß, dass sie seit Jahren und bereits in mehreren Generationen hier leben und sie sich längst an das Leben in Deutschland gewöhnt beziehungsweise integriert haben. Kurzum, Krisensituationen können vorhandene negative Wahrnehmungsprozesse beeinflussen. Mit anderen Worten: Sie in das Gegenteil umkehren.
Wie sehen sich alteingesessene Migranten denn selbst? Verändert sich ihr Selbstbild durch die Flüchtlinge?
Migranten aus der Türkei standen lange Zeit im Mittelpunkt der öffentlichen Diskurse über Integration. Dies scheint sich zu ändern. Diese Gruppe rückt zunehmend in den Hintergrund und das hat einen entscheidenden Effekt. Migranten aus der Türkei merken selbst, dass sie nicht mehr auf der Agenda stehen. Sie nehmen das wohlwollend auf, weil sie nicht mehr als Problem in den öffentlichen Diskursen thematisiert werden.
Dann müssten sich die Türken in Deutschland ja freuen über die Flüchtlinge.
Viele Migranten sind in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Vielen sind die Tragödien, die zum Beispiel syrische Flüchtlinge erlebt haben, nicht fremd, weil sie möglicherweise selbst wegen Verfolgung oder Folter nach Deutschland flüchteten. Man kommt vielleicht aus ähnlichen Gebieten, hat eine gemeinsame Landesgrenze wie etwa Türken und Syrer. Kulturelle, religiöse oder geografische Nähe erzeugt Empathie. Auf der anderen Seite ist Konkurrenz nicht ausgeschlossen, wenn es um Teilhabe an Beschäftigung, Bildung und Ausbildung geht. Dies betrifft vor allem diejenigen Migranten, die keine Arbeit oder keine Ausbildung haben und möglicherweise mit Flüchtlingen jetzt in einen Wettbewerb eintreten.
Nariman Reinke:"Ich bin deutsche Soldatin, mehr Integration geht doch gar nicht"
Nariman Reinke ist Tochter marokkanischer Einwanderer. Seit den Übergriffen in Köln wird sie mit geschmacklosen Witzen bedacht.
Warum gibt es unter Einwanderern überhaupt diese Hackordnung? Warum halten die nicht zusammen?
Die echten Möglichkeiten, die sie haben, sich zu integrieren und gesellschaftlich aufzusteigen, sind Bildung, Ausbildung und Beschäftigung. Das erzeugt Konkurrenz unter ihnen. Und Konkurrenz ist etwas, das trennt.
In Deutschland weht seit Beginn der Flüchtlingskrise auch ein ziemlich rechtspopulistischer Wind. Erst kürzlich schockierte die AfD mit der Forderung, Flüchtlinge an der Grenze mit Waffengewalt abzuwehren. Wie muss das auf Migranten wirken?
Wenn in Deutschland Flüchtlingsheime brennen, dann löst das auch bei Migranten, die schon lange hier leben, Angst aus. Sie erinnern sich noch an Solingen und Hoyerswerda. Sie wissen, dass es auch sie treffen kann, wenn diese Gewaltakte ansteigen.
Dann müssen Pegida und AfD, aber auch die CSU, die Stimmung gegen Flüchtlinge machen, für die bereits ansässigen Migranten und ihre Integration ja eine Katastrophe sein.
Negativ besetzte öffentliche Diskurse verunsichern die Migranten, die längst hier integriert sind. Bewegungen wie Pegida schüren Ängste. Deshalb ist es so wichtig, dass die Politik diesem entschieden entgegenwirkt. Und dazu gehört vor allem auch, dass die Politik kontinuierlich positive Signale setzt, um Ängste zu nehmen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern, aber auch stärker öffentlich kommuniziert, dass Flüchtlinge auch eine große Chance sind.