Indien:Sturm auf das Rote Fort

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Indische Bauern vor aufmarschierten Sicherheitskräften am Rand von Delhi, am Tag nach der Gewalt. (Foto: Money Shrarma/AFP)

Die Bauernproteste, die Delhi schon seit Wochen fordern, sind nun eskaliert. Berufsverbände bedauern die Gewalt. Doch wie könnten Verhandlungen zum Erfolg führen?

Von David Pfeifer, Bangkok

Es ist wie so häufig, wenn ein Konflikt aus dem Ruder läuft, gar nicht mehr so einfach zu sagen, wer wann womit angefangen hat. Am Dienstag waren die indischen Bauern, die seit Monaten gegen neue Agrar-Gesetze der Regierung protestieren, jedenfalls mit Traktoren und Pferden in die Hauptstadt gezogen, um im Rahmen der Festlichkeiten zum Nationalfeiertag in Delhi friedlich für ihre Sache zu demonstrieren. Doch statt auf der zugewiesenen Route zu bleiben, überwanden einige von ihnen stattdessen gewaltsam die Barrikaden des Roten Forts, einer Festungsanlage aus der Zeit der Moguln.

Während Premierminister Narendra Modi also zusah, wie Soldaten zur Militärparade antraten, und Jets über die Köpfe der Regierenden flogen, ging die Polizei mit Schlagstöcken und Tränengas auf die Protestierenden los, es gab viele Verletzte, vor allem unter den Polizisten, und einen toten Bauern.

Es ist nicht der erste Tote dieses Konfliktes, der sich seit November hinzieht. Drei neue Gesetze sollten dafür sorgen, dass die Preise für Agrarprodukte frei verhandelt werden können, bislang hatte der Staat quasi als Zwischenhändler reguliert. Die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) hat gute Gründe, den Markt zu liberalisieren, weil die Regelungen aus überkommenen Zeiten stammen. Die Bauern aber fürchten, Großhändlern ausgesetzt zu werden.

Die Landwirtschaft sorgt für etwa 15 Prozent der Wirtschaftsleistung Indiens. Für viele der 150 Millionen Bauern geht es ums nackte Überleben, unter ihnen sind einige, die nur ein paar Quadratmeter Land bewirtschaften. Die Selbstmord-Rate ist hoch.

Bollywood-Stars schickten Botschaften der Solidarität

So campieren die protestierenden Bauern also seit November zu Hunderttausenden an den Zufahrtsstraßen nach Delhi und auf einem zugewiesenen Feld in der Stadt, einige starben dort bei Unfällen, an der Kälte oder einem Herzinfarkt. Der Streit wurde politisch, die oppositionelle Kongresspartei stellte sich auf die Seite der Bauern, auch Bollywood-Größen schickten Solidaritätsbekundungen per Social Media. 150 Millionen Menschen sind sogar im Riesenstaat Indien, mit 1,3 Milliarden Einwohnern, eine beeindruckende Wähler- und Zielgruppe.

Eine Wende nahm der Protest, als der Oberste Gerichtshof in Delhi die Gesetzesvorlagen im Januar stoppte und anordnete, es müsse neu verhandelt werden. Eine Schlappe für die BJP-Regierung. Seitdem hat es einige ergebnislose Runden gegeben. Ein Schlichtungs-Komitee wurde einberufen, das den Bauern-Vertretern aber zu sehr pro Modi zu sein schien. Nach drei Monaten der Proteste wollen sie nicht ohne einen Sieg vom Verhandlungstisch gehen.

Während am Dienstag also der Jahrestag des Inkrafttretens der indischen Verfassung gefeiert werden sollte, kaperten einige Bauern mit der Stürmung der Festungsanlage die Aufmerksamkeit für ihre Sache. Von den Bauern wiederum sind viele Sikhs. All das erinnerte an die religiösen Konflikte, die Indien seit 1947 bis heute beschäftigen. Viele Politiker äußerten sich empört. Amarinder Singh, Ministerpräsident der großen Punjab-Provinz mit viel Agrarwirtschaft, forderte die Bauern "nach den schockierenden Szenen" dazu auf, die Hauptstadt zu verlassen.

Auch die "Samyukta Kisan Morcha", eine Dachorganisation, unter der sich die etwa 40 Bauernverbände versammeln, um über die Agrar-Gesetze zu verhandeln, verkündete in einem Statement, sich von den "anti-sozialen Elementen" im Roten Fort zu distanzieren: "Wir verurteilen und bedauern diese ungewollten und inakzeptablen Ereignisse."

Die Polizei von Delhi gab sich am Tag nach den entgleisten Protesten hart: die Hindustan Times berichtete, dass durch Überwachungskameras viele Randalierer identifiziert werden konnten, die unter anderem Polizisten von den Barrikaden gestoßen hatten. Es soll zu Anklagen wegen krimineller Verschwörung und versuchten Mordes kommen.

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