Christchurch-Attentäter und Österreich:"Dass er den Identitären gespendet hat, überrascht keineswegs"

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Wien im Juni 2016: Eine Demonstration der Identitären Bewegung Österreichs (IBÖ), deren Führungskader beste Kontakte zu deutschen Rechtsextremisten haben. (Foto: imago/Eibner Europa)

Extremismusforscher Bernhard Weidinger erklärt, was die Identitäre Bewegung und der Massenmörder von Christchurch gemeinsam haben - und wie es um die Nähe der Rechtsextremisten zur FPÖ steht.

Interview von Oliver Das Gupta

Bernhard Weidinger ist einer der besten Kenner des Rechtsextremismus in Österreich. Der promovierte Politikwissenschaftler lehrt an der Uni Wien und gehört zum Mitarbeiterstab des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW).

Die Wiener Stiftung forscht seit Jahrzehnten zur Verfolgung und Vernichtung in der Nazi-Zeit, zu Antisemitismus, aber auch zu Schicksalen österreichischer Stalin-Opfer. Das DÖW wird neben dem Verein Dokumentationsarchiv von der Stadt Wien und der Republik Österreich getragen, auch staatliche Institutionen nahmen bislang seine Expertise in Anspruch.

Zur Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) bietet das DÖW im Internet eine eingehende Charakterisierung an, außerdem befasst sich eine aktuelle Analyse mit der Lage der rechtsextremen Gruppe nach dem Massaker im neuseeländischen Christchurch.

Die österreichische Bundesregierung lässt eine Auflösung der IBÖ prüfen, nachdem eine hohe Geldspende des Christchurch-Attentäters an den Kopf der österreichischen Rechtsextremisten bekannt geworden war. In einer Erklärung vor dem Parlament sagte Innenminister Herbert Kickl aber, der Attentäter habe keine persönlichen Beziehungen in die rechte Szene Österreichs gehabt. Es werde jedoch weiter ermittelt.

SZ: Herr Weidinger, die Identitären werden in Deutschland wie in Österreich als rechtsextrem eingestuft. "Die Distanzierung vom Neonazismus in öffentlichen Statements ist als taktisches Manöver zu werten", schreibt der österreichische Verfassungsschutz. Aber stehen die Identitären auch für Gewalt?

Bernhard Weidinger: Sicherlich nicht in dem extremen Ausmaß wie der Attentäter von Christchurch. In Österreich sind sie nicht durch Gewaltanwendung aufgefallen, mal abgesehen von einigen einzelnen Fällen. Es gehört auch zu ihrem Aktionskonsens, dass sie auf offensive Gewaltanwendung verzichten. Das haben sie in Österreich bislang weitgehend durchgehalten. Die Identitären in Deutschland zeigen ein höheres Gewaltpotenzial. Allerdings haben die Identitären in Österreich früher Strukturen gebildet und agieren als Aufbauhelfer für ihre deutschen Kameraden.

Inzwischen ist klar, dass sich der Attentäter von Christchurch vor wenigen Monaten in Österreich aufhielt, zuvor hat er dem IBÖ-Kopf Martin Sellner eine stattliche Summe Geld überwiesen. Warum wendet sich ein rassistischer Australier ausgerechnet an einen Gesinnungsgenossen im fernen, eher kleinen Österreich?

Dass sein Blick bis Östereich gereicht hat, verblüfft etwas. Aber dass er die Identitären für eine Spende ausgesucht haben soll, ist keineswegs überraschend. Das, was der Attentäter in seinem Manifest darlegt, überschneidet sich großflächig mit der Weltsicht der Identitären.

Welche Gemeinsamkeiten meinen Sie?

Es ist die grundsätzliche Forderung, dass sich Völker tunlichst nicht mischen sollen. Und wenn sie sich bereits vermischt haben, sollen sie sich nach dieser Ideologie wieder entmischen.

Klingt nach Fantasien von völkischer "Reinheit", wie sie Hitlers NSDAP propagiert hat. Gibt es auch rhetorische Gemeinsamkeiten zwischen den Identitären und dem Mann, der in Christchurch 50 Menschen ermordet hat?

Ja, die gibt es. Gleich beginnend beim Titel des Manifestes "The great replacement", zu Deutsch "Der große Austausch". Das ist ein zentraler Begriff in der Agitation der Identitären Bewegung, der ältere Begriffe wie "Umvolkung" oder "Überfremdung" abgelöst hat. Die Überschneidungen reichen noch weiter. Da ist etwa der Hypermaskulinismus, die Behauptung, dass die europäischen Männer schwach seien, soldatische Tugenden abgelegt hätten und sich deshalb nicht mehr wehren könnten.

Das erinnert an Björn Höcke. "Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken", fordert der AfD-Funktionär, denn "nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft".

Wehrhaftigkeit ist seit jeher eine der zentralen Tugenden im rechtsextremen Idealbild von Männlichkeit. Besonders plastisch zeigt sich dies beim Mensurritual der völkischen Studentenverbindungen, aus denen wiederum ein Großteil der Führungsriege der österreichischen Identitären sich rekrutiert.

Identitären-Anhänger tummeln sich auch in solchen deutschnationalen Männerbünden. Spenden-Empfänger Sellner etwa ist Mitglied in der Wiener Olympia, ebenso wie einige FPÖ-Politiker. Inzwischen beklagt sich Sellner bei Twitter über die FPÖ, weil sie gemeinsam mit der Kanzlerpartei ÖVP "ein Verbotsverfahren" gegen eine "patriotische NGO einleitet". Halten Sie einen solches Verfahren für sinnvoll, Herr Weidinger?

Beim derzeitigen Kenntnisstand sehe ich keine Grundlage für ein Verbot der Identitären in Österreich. Im vergangenen Jahr hat ein Prozess gegen führende IBÖ-Kader in Graz stattgefunden, der mit Freisprüchen endete. Wenn man die Sache nicht zu Ende denkt, geht so etwas oft nach hinten los. Wenn man ein Verbot in den Raum stellt und das kommt dann nicht, wirkt sich das als politischer Erfolg für Extremisten aus. Sie können dann das Gütesiegel der geprüften Legalität vor sich hertragen.

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Es gibt ein Foto, das den heutigen Vizekanzler und langjährigen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache 2015 in einem Wirtshaus mit Identitären zeigt. Gibt es weitere Berührungspunkte zwischen der Regierungspartei FPÖ und den Identitären?

Ja, es gibt viele Verbindungen. Es gibt Fälle von FPÖ-Mitgliedern, die zu den Identitären wechseln oder sich zuerst bei den Identitären engagiert haben und dann in der FPÖ auftauchten. Einzelne Personen haben sich zeitgleich hier wie dort betätigt. Es gibt auch Solidaritäts- und Sympathiebekundungen von teilweise hochrangigen FPÖ-Funktionären mit Identitären. Allerdings gab es in der Vergangenheit auch vereinzelt Distanzierungen wie vom heutigen Verkehrsminister Norbert Hofer: Der sagte als Präsidentschaftskandidat 2016 klar, dass er mit den Identitären nichts zu tun haben wolle.

Wie sieht es um Identitären-Kontakte des langjährigen FPÖ-Generalsekretärs Herbert Kickl aus, der seit 2017 als Innenminister amtiert?

Kickl ist 2016 auf einem rechtsextremen Kongress in Linz aufgetreten, den auch viele Identitäre, deutschnationale Burschenschaftler und auch mindestens ein NPD-Kader besucht haben. Dass hochrangige FPÖ-Funktionäre aktuell regelmäßigen Austausch mit Identitären pflegen, halte ich für unplausibel.

Wie erklären Sie diese uneinheitliche Linie der FPÖ, die ja die völkische Ausrichtung im Parteiprogramm verankert hat?

Es hat eine gewisse Logik: Einerseits haben Identitäre und FPÖ inhaltlich viele Gemeinsamkeiten. Auf der anderen Seite sind die Identitären aus der Sicht der FPÖ einer breiten Öffentlichkeit gegenüber nicht als Partner vermittelbar. Ein bisschen wiederholt sich damit etwas, das wir in Österreich in den 1990er Jahren erlebt haben: Die Parteien der Mitte haben sich damals von der FPÖ abgegrenzt, gleichzeitig aber haben sie deren Inhalte nach und nach übernommen.

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