Nahrungsmittelknappheit:"Eine Kampfführung, die uns in mittelalterliche Zustände zurückführt"

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In Somalia flüchten Menschen vor der Dürre in die Hauptstadt Mogadischu, wo sie mit Lebensmitteln versorgt werden. (Foto: Farah Abdi Warsameh/dpa)

Russland setzt Hunger als Kriegswaffe ein, warnen Entwicklungsministerin Schulze und die Welthungerhilfe. Doch der Ukraine-Krieg ist längst nicht der einzige Grund dafür, dass weltweit immer mehr Menschen nicht genug zu essen haben.

Von Sophie Kobel, Berlin

Ein Weckruf an die ganze Welt - das seien die neuesten Zahlen der Deutschen Welthungerhilfe, sagte deren Präsidentin Marlehn Thieme am Dienstagvormittag in Berlin bei der Vorstellung ihres Jahresberichts. Mit großer Sorge sehe man, dass seit Ausbruch der Corona-Pandemie 150 Millionen Menschen mehr unter Hunger leiden als in den Jahren zuvor - während zugleich die Preise für Nahrungsmittel und deren Transport explodieren. Bis zu 828 Millionen Menschen sind laut einem aktuellen UN-Bericht mittlerweile chronisch unterernährt, das ist etwa jeder zehnte Mensch. Das vereinbarte Ziel, den globalen Hunger bis 2030 beseitigt zu haben, ist aus Sicht der Welthungerhilfe außer Reichweite geraten.

Die Pandemie und die Folgen des Klimawandels sind zwei der Hauptgründe, aber auch der Angriff Russlands auf die Ukraine ist einer der größten weltweiten Hungertreiber. Zum einen, weil Russland einen großen Teil der Weizenausfuhr aus der Ukraine blockiert, dem bisher viertgrößten Exporteur der Welt. Zum anderen, weil als indirekte Folge des Krieges auch die Preise für andere Lebensmittel weltweit gestiegen sind - noch mehr, als das durch die Pandemie ohnehin der Fall war.

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"Der Krieg gegen die Ukraine wirkt wie ein Brandbeschleuniger der bereits existierenden Krisen", sagt Thieme. Besonders problematisch sei, dass viele Länder mit Exportstopps auf die Nahrungsmittelknappheit reagieren. Die Welthungerhilfe appelliert: Die Märkte müssten offen bleiben.

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Auch stimme man Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) zu, die am Dienstag im RBB sagte, der russische Präsident setze Hunger als Kriegswaffe ein. Welthungerhilfe-Chefin Thieme sagte, das betreffe auch gezielte Angriffe auf Lager oder Häfen. Sie sehe das in den vergangenen Jahren immer häufiger, nicht nur in der Ukraine, man habe dazu auch Studien im Südsudan durchgeführt. "Das ist eine Kampfführung, die uns in mittelalterliche Zustände zurückführt."

Die Nichtregierungsorganisation erreicht derzeit Verzweiflung aus allen Ländern, in denen sie Hilfe leistet, von Afghanistan bis Simbabwe. Die Menschen dort kämpfen mit Preissteigerungen für Brot, Getreide oder Obst von bis zu 60 Prozent. "Für jemanden, der nur drei Dollar pro Tag zum Leben hat, ist es eine Katastrophe, wenn der Brotpreis sich verdoppelt", sagt Präsidentin Thieme. Besonders schlimm habe sich die Lage am Horn von Afrika zugespitzt. In Somalia, Kenia und Äthiopien herrscht die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Wasserquellen sind versiegt, Getreideflächen verdorrt und das Vieh verhungert.

"Der Krieg gegen die Ukraine wirkt wie ein Brandbeschleuniger der bereits existierenden Krisen", sagt Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe. (Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Gestiegen ist im vergangenen Jahr aber auch die Summe der Spendengelder. Noch nie habe die Welthungerhilfe so viel finanzielle Unterstützung erhalten. Um die 310 Millionen Euro konnte man 2021 im Kampf gegen den Hunger ausgeben, das sind elf Prozent mehr als im Jahr zuvor. Neben der Bundesregierung und anderen öffentlichen Geldgebern spendeten Privatpersonen 77,5 Millionen Euro - trotz Pandemie und Krieg.

Bei der Welthungerhilfe sieht man es als positives Signal, dass die globale Politik die Priorität der Einsätze begriffen habe. So wurde etwa beim G7-Gipfel in Elmau ein Bündnis für Ernährungssicherung geschlossen und zugesichert, zusätzliche 4,5 Milliarden US-Dollar dafür bereitzustellen. Laut Welthungerhilfe aber sind weitere 14 Milliarden US-Dollar nötig, um - wie von den G7 geplant - 500 Millionen Menschen bis 2030 aus dem Hunger zu holen.

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