Homosexuelle in Deutschland:Von den Sittengesetzen bis zur Ehe für alle

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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im Oktober 1951. (Foto: dpa)

Der Umgang mit Homosexualität hat atemberaubende Fortschritte gemacht. Noch 1957 fällte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil, an das es sich heute mit Scham erinnert. Eine Zeitreise.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Manchmal, so scheint es, steht die Geschichte längst vor der Tür, nur hat es noch keiner bemerkt. Dann genügen ein paar verstolperte Sätze, wie 1989 bei Günter Schabowskis Pressekonferenz, oder ein Tausende Kilometer entfernter Reaktorunfall, wie 2011 in Fukushima-1. Und es öffnet sich eine unüberwindbar geglaubte Grenze, oder eine Technologie, der soeben noch die Zukunft gehören sollte, wird zur Vergangenheit erklärt.

So war es diese Woche: Die Bundeskanzlerin brauchte nur ein einziges Wort - "Gewissensentscheidung" -, um die scheinbar so feste Bastion der konservativen Gralshüter gegen eine "Ehe für alle" wie eine Burg aus Bauklötzchen zusammenstürzen zu lassen.

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Wie ist die Geschichte in diesen Aggregatszustand gelangt, in dem ein winziger Anlass genügt, um den Paradigmenwechsel zu vollziehen? Betrachtet man den Umgang mit Homosexualität auf der Zeitleiste der Bundesrepublik, dann mutet der Fortschritt schon atemberaubend an. Die tiefen Ressentiments, die menschenverachtenden Haltungen, die diskriminierenden Witze gegen Schwule und Lesben - all das ist innerhalb der Lebensspanne von Menschen geschehen, die heute vielleicht 70 Jahre alt sind.

Bis 1971 strafbar

Sexuelle Handlungen selbst zwischen erwachsenen Männern waren bis 1971 strafbar. Und in einem Urteil von 1957, an das man sich in Karlsruhe heute mit Scham erinnert, befand ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht, das Jahrzehnte später eine so entscheidende Rolle für den Abbau der Diskriminierung spielen sollte: "Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz."

Die Rechtfertigung der Bestrafung gleichgeschlechtlicher Unzucht habe sich stets auf die sittlichen Anschauungen des Volkes berufen, schrieben die Richter. Das war eine Zeit offener Diskriminierung und allgemein konsentierter Homophobie.

"Lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder", faselte der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß noch 1970. Er konnte sich der dröhnenden Lacher vom Stammtisch gewiss sein.

Doch nach und nach wagten es Schwule und Lesben, ihre Rechte öffentlich einzufordern. 1979 fanden in Bremen und Berlin die ersten Christopher Street Days statt. Die schrillen Paraden passten in eine Zeit, in der die frühbundesrepublikanische Biederkeit allmählich im Schwinden begriffen war. Vor allem aber eroberten sich die Homosexuellen den öffentlichen Raum. Sie wurden sichtbar - und damit auch ihre gesellschaftliche Benachteiligung.

Nun mag der grell-bunte Auftritt der Gay-Paraden gewiss auch Ressentiments gegen Homosexuelle verstärkt haben, schließlich steckte Deutschland noch mitten in der auch habituell konservativen Helmut-Kohl-Ära. Aber in den 90er Jahren kam beim öffentlichen Protest ein neuer Akzent hinzu. 1992 beantragten etwa 250 lesbische und schwule Paare bei einer "Aktion Standesamt" in ganz Deutschland das Aufgebot, darunter Hella von Sinnen und Cornelia Scheel als prominentes Aushängeschild.

Schwule und Lesben - ganz normale Menschen mit sehr bürgerlichen Wünschen

Natürlich wurden die Anträge abgelehnt, aber die Aktion rückte einen im Grunde banalen Umstand ins Bewusstsein, der auf dem Weg zur gesellschaftlichen Vorbereitung der "Ehe für alle" bahnbrechend gewesen sein dürfte: Schwule und Lesben waren ganz normale Menschen mit sehr bürgerlichen Wünschen nach Bindung und Geborgenheit. Sie wollten das, was Heteropaare auch wollten, ein Familienleben in geordneten Verhältnissen und mit rechtlicher Absicherung.

Deshalb war das entscheidende Datum auf dem Weg zur Ehe für alle der 1. August 2001. Damals trat das Lebenspartnerschaftsgesetz in Kraft. Die Verbürgerlichung der Homosexuellen hatte Gesetzesform erlangt und damit auch für das konservative Bürgertum an Schrecken verloren.

Die CDU, angeführt übrigens von Angela Merkel, hatte im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens auf eine aggressive Straßenkampagne verzichtet. Und das Gesetz fiel in eine Zeit, in der die öffentliche Sichtbarkeit Homosexueller in ein neues Zeitalter eingetreten war. "Ich bin schwul - und das ist auch gut so": Es war im Juni 2001, als Klaus Wowereit auf dem Berliner SPD-Parteitag mit diesem Satz um seine Nominierung als Spitzenkandidat fürs Bürgermeisteramt geworben hatte.

Eine Vorentscheidung für die "Ehe für alle" war das Gesetz aber noch aus einem anderen Grund. Gewiss, homosexuelle Paare konnten sich endlich eintragen lassen - das war ein Zugewinn an Rechten. Zugleich aber war damit die Benachteiligung gegenüber der Ehe manifest. Es gab ein paar rechtliche Annäherungen an die Ehe, aber es blieb ein juristischer Abstand. Ein anderes Wort dafür ist Diskriminierung. Und zur Beseitigung von Diskriminierungen ist an oberster Stelle eine Instanz aufgerufen: das Bundesverfassungsgericht.

Das Gesetz war also eine Einladung an das Karlsruher Gericht, sich mit dem sehr effektiven Instrument des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Sache anzunehmen. Darin hatte das Gericht Übung, das hatte es etwa bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau demonstriert. Die stand zwar seit 1949 im Grundgesetz, trotzdem war es erst das Verfassungsgericht, das die Vorrechte der Männer über Jahrzehnte hinweg in vielen Urteilen wegräumte.

So ähnlich vollzog sich das nun bei der Lebenspartnerschaft. Schon im ersten Urteil im Jahr 2002 fand sich der Satz, aus dem besonderen Schutz der Ehe im Grundgesetz lasse sich kein Gebot herleiten, andere Lebensformen gegenüber der Ehe zu benachteiligen.

"Es ist verfassungsrechtlich auch nicht begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass solche anderen Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen sind."

Bundesverfassungsgericht: Lebensbünde mit einer gleich starken Verbindlichkeit

Den entscheidenden Schritt vollzog das Gericht aber erst im Jahr 2009 - es ging um die Benachteiligung homosexueller Paare bei der Hinterbliebenenversorgung. Die Richter verglichen die Ehe mit der Lebenspartnerschaft und kamen zu dem Ergebnis, dass beides Lebensbünde mit einer gleich starken Verbindlichkeit seien. Womit sich die Frage aufdrängte, warum eigentlich die "Homo-Ehe" mit weniger Rechten ausgestattet sein sollte.

Die Antwort des Gerichts: "Geht die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Ziele der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht."

Kompliziert ausgedrückt, aber letztlich unmissverständlich: Ein Lebensbund darf nicht diskriminiert werden, nur weil er zwischen Partnern gleichen Geschlechts geschlossen wurde.

Danach kippte das Gericht die Benachteiligungen fast im Jahresrhythmus: bei der Erbschaftsteuer (2010), bei Grunderwerbsteuer und Familienzuschlag (2012), beim Ehegattensplitting (2013). Und schließlich im Adoptionsrecht: 2013 erlaubte Karlsruhe gleichgeschlechtlichen Paaren die sogenannte Sukzessivadoption - ein Partner durfte fortan das zuvor vom Lebensgefährten adoptierte Kind annehmen. Dafür ist das Gericht von CDU und CSU besonders heftig gescholten worden, weil damit gleichsam der Weg zur Familiengründung mit Kindern geebnet war.

In der Tat war die Anerkennung einer rechtlichen Elternschaft zweier gleichgeschlechtlicher Partner eine Revolution - allerdings eine, die der Gesetzgeber schon Jahre zuvor vollzogen hatte. Seit 2005 war Homosexuellen nämlich die Adoption der leiblichen Kinder erlaubt. Der Schritt des Gerichts zur Billigung der Sukzessivadoption war - Stichwort Diskriminierung - damit gleichsam vorgezeichnet. Homosexuelle Paare hatten also, wenigstens in rechtlicher Hinsicht, schon vor dieser turbulenten Woche fast alles erreicht.

Die Geschichte stand wirklich vor der Tür. Die "Ehe für alle" ist damit juristisch gar kein großer Schritt mehr - gesellschaftlich aber sehr wohl. Vielleich schon deshalb, weil Homosexuelle ihren Lebensbund nun nicht mehr mit dem unschönen Wort "verpartnert" umschreiben müssen. Nun dürfen sie einfach verheiratet sein.

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