Spektakulär inszenierte Verhaftung Anfang Dezember
Die Polizei kam nicht alleine, die Demütigung war minutiös geplant. Als die Beamten das Badehaus im Kairoer Stadtteil Asbakeja stürmten, war eine Reporterin des regimenahen Privatsenders al-Kahera wal-Nas schon mit einem Kamerateam vor Ort. Sie hatte offenbar die Männer, die das Hamam besuchten, selbst bei der Staatsmacht denunziert: Sie würden dort homosexuelle Orgien feiern.
"Mit Bildern haben wir die schlimmste Höhle der Gruppen-Perversion im Herzen von Kairo ausgehoben", brüstete sich Mona al-Iraqi auf ihrer Facebook-Seite. Die Männer seien "alle auf frischer Tat ertappt und verhaftet worden". Einen Beleg für strafbares Verhalten konnte sie nicht vorweisen. Dennoch trieben die Polizisten die angeblichen Delinquenten halb nackt auf die Straße und in einen LKW - die Kamera hielt drauf, und die Bilder wurden gesendet, ohne die Männer unkenntlich zu machen.
Ein Paragraf von 1961 verbietet "sexuelle Ausschweifungen"
Homosexualität ist an sich in Ägypten nicht verboten, wohl aber gibt es einen Gummiparagrafen in einem Sittlichkeitsgesetz aus dem Jahr 1961, der "sexuelle Ausschweifungen" unter Strafe stellt. Der Staatsanwalt fackelte dann auch nicht lange und klagte 26 der 31 Verdächtigen an - es ist nur der letzte Fall eines breiter angelegten Kampagne gegen schwule Männer, die nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär im August 2013 noch an Schärfe zugenommen hat. An diesem Sonntag soll ihnen der Prozess gemacht werden, nur zwei Wochen nach der Razzia.
"Dem Besitzer der Badeanstalt wird vorgeworfen, die Einrichtung in einen Ort für unmoralisches und unzüchtiges Verhalten und Gruppen-Homosexualität verwandelt zu haben", erklärte der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft in Asbakeja, Mohammed Hetta. Den anderen Angeklagten wird die Teilnahme zur Last gelegt sowie "unziemliche Akte in der Öffentlichkeit", sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Ihnen allen drohen langjährige Haftstrafen - und im Gefängnis Misshandlungen bis hin zur Vergewaltigung.
"Eine Beleidigung Gottes"
Erst im November hatte ein Gericht acht Männer wegen "Anstachelung zu Ausschweifungen" und "Verbreitung unsittlicher Bilder" zu jeweils drei Jahren Haft verurteilt. Sie waren auf einem Video zu sehen, das über YouTube verbreitet wurde und angeblich eine Schwulenhochzeit auf einem der Ausflugsboote auf dem Nil zeigt. Sie waren im September angeklagt worden, nachdem der Staatsanwalt befunden hatte, dass die Bilder einer "Beleidigung Gottes" gleichkämen und eine kriminelle Handlung darstellten.
Als Teil der Ermittlungen wurden die Männer, wie andere vor ihnen, einer demütigenden körperlichen Untersuchung unterzogen, die von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) als klare Verletzung gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und ein Verstoß gegen das Folterverbot angeprangert wird. Dabei wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft keine Belege für homosexuelle Handlungen gefunden, aber das ersparte den Männern ebenso wenig das Gefängnis, wie die Beteuerung, dass es sich um einen Spaß gehandelt habe.
Hand in Hand: Regimetreue Medien und Sicherheitskräfte
Gesellschaftlich ist Homosexualität in Ägypten noch immer geächtet, die muslimische Mehrheit ist dabei in großen Teilen genauso konservativ wie viele der koptischen Christen, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Eine US-Umfrage ergab im Jahr 2013, dass lediglich drei Prozent der Ägypter der Meinung sind, dass Homosexualität von der Gesellschaft akzeptiert werden sollte. Das Vorgehen gegen Homosexuelle, aber jüngst auch gegen Atheisten, ist Teil einer Kampagne, die nicht nur Opposition zum Regime zu unterdrücken und kriminalisieren versucht, sondern jegliches abweichendes Verhalten. Regimenahe Medien und die Sicherheitskräfte arbeiten dabei Hand in Hand.
Schwule Aktivisten sagen inzwischen, die Situation sei schlimmer als zu den dunkelsten Zeiten der Mubarak-Ära. 2001 waren mehr als 50 Schwule in einer Diskothek auf einem Boot auf dem Nil verhaftet und später abgeurteilt worden. Doch hatten viele Homosexuelle nach dem Sturz des Langzeit-Diktators auf ein liberaleres Klima und mehr gesellschaftliche Akzeptanz gehofft. Heute aber leben sie mehr in Angst denn je. Dazu beigetragen haben auch Berichte, dass die Polizei gezielt soziale Medien und Dating-Apps für Schwule nutzt, um ihnen nachzustellen. Mindestens 85 Männer wurden seit der Machtübernahme des Militärs verhaftet, 70 von ihnen sind nach Angaben von Aktivisten noch immer hinter Gittern. Die ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte (EIPR) geht sogar davon aus, dass seit vergangenem Sommer mehr als 150 verhaftet worden sind.
Betroffene haben Probleme, einen Anwalt zu finden
Wegen der Schande, mit der eine Verhaftung wegen solcher Delikte in Ägypten behaftet ist, trauen sich viele Homosexuelle nicht, Freunde oder Familie zu kontaktieren. Sie können oft nicht einmal einen Anwalt finden, der bereit ist, sie vor Gericht zu verteidigen. Oftmals veröffentlichen ägyptische Medien den vollen Namen, Alter, Fotos und Wohnort von Beschuldigten, was in der Regel dazu führt, dass ihr soziales Umfeld und ihr Leben zerstört ist.
Die Regierung sieht dem zu und versucht politisch Gewinn daraus zu schlagen, indem sie vermeintlich für Ordnung sorgt. Islamisten, wie Sympathisanten der verbotenen Muslimbruderschaft, heizen das Klima noch an, indem sie die Verhaftungen als Beleg für den Verfall der Moral nach der Machtergreifung des Militärs werten.
Die Sicherheitskräfte nutzen die Verhaftungen und Übergriffe, um in diesem ohnehin schon feindlichen Klima auf Kosten der Schwächsten in der Gesellschaft ihre eigene Popularität rücksichtslos zu stärken. Zugleich sind solche spektakulär inszenierten Verhaftungen den Regierenden eine willkommene Ablenkung von den wirklichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen des Landes.
Zumindest unter jüngeren Menschen und manchen Journalisten hat die Reporterin Mona al-Iraqi mit ihrer Bloßstellung Empörung ausgelöst. Ihr Bild werde alle Abhandlungen über den Niedergang der journalistischen Ethik in Ägypten illustrieren, schrieb angewidert eine Kollegin auf Facebook. Als al-Iraqi auf ihrer Seite fragte, ob man solche "Sündenhöhlen" schließen solle, posteten empörte Menschen, man solle stattdessen lieber ihre TV-Sendung dichtmachen.