Interview mit Hitler-Leibwächter Rochus Misch (I):"Heß war ja eine Nummer null"

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Versichert mit 100.000 Reichsmark, falls etwas passiert: Leibwächter Rochus Misch auf Hitlers Berghof in den 40er-Jahren (Foto: Misch/Das Gupta)

Fünf Jahre war Rochus Misch Bodyguard und Telefonist von Adolf Hitler. Im ersten Teil eines SZ-Interviews von 2005 spricht der ehemalige SS-Mann über seine Jahre mit dem Diktator.

Von Oliver Das Gupta, Berlin

SZ: Herr Misch, Sie arbeiteten von 1940 bis 1945 für Adolf Hitler und hatten direkten Kontakt zu ihm. Was waren ihre Aufgaben?

Rochus Misch: Wir waren seine Leibwächter. Aber wir saßen nicht herum und warteten darauf, dass er sich bewegt.

Wir mussten auch Telefondienst machen, immer zu zweit, jeweils acht Stunden. Dann, Gästeempfang: Höflich und nett sein, den Gast zum Führer geleiten. Wir waren zwar seine Nächsten, aber seine Gesprächspartner waren wir nicht, dafür gab es die Adjutanten. Wenn Hitler was wollte, sagte er denen es, und wir waren dann die Ausführenden.

SZ: Was für Aufträge waren das?

Misch: Ein Beispiel: Hitler hatte erfahren, dass ein Jugendheim eröffnet wird. Der Adjutant kam zu mir und sagte: "Misch, besorg` schnell ein paar Fußbälle. Der Chef will zum Jugendheim." Ich bin dann ins Sportgeschäft in die Friedrichstraße gegangen und habe Fußbälle gekauft. Oder Blumen besorgen für den Wolfgang Wagner, der jetzt in Bayreuth Boss ist. Zur Verlobung hat er einen großen Strauß roter Rosen bekommen, das weiß ich noch.

SZ: Sie erwähnten ihre Tätigkeit als Telefonist. Griff Hitler oft zum Hörer?

Misch: Wenig. Die rote Lampe leuchtete selten. Wir haben nicht mehr gestöpselt, wir hatten eine ganz moderne Siemens-Anlage. Da gab es weiße, grüne und gelbe Tasten. Und Hitler hatte rot. Wir sahen so immer, wenn er telefonierte. Es lief ja alles über uns. Hitler sagte einmal, wir seien besser und schneller informiert als er selbst.

Die Befreiung von Auschwitz
:Das Ende des Holocaust

Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Etwa 7000 Menschen befanden sich noch in dem Lager - für immer gezeichnet von den Gräueltaten der Nazis. Bilder von damals und heute.

SZ: Mit wem telefonierte er häufig?

Misch: Ach, das weiß ich nicht. Wir konnten zwar alles mithören, aber es hat mich nicht interessiert. Wir kontrollierten nur ab und zu, ob das Gespräch klar ist. Das konnte man regulieren wie bei einem Radio.

SZ: Sie kamen 1940 in Hitlers Umgebung. Wie war der erste Kontakt mit ihm?

Misch: Mensch, hatte ich Schiss. Das war doch der Führer für mich. Obwohl ich in dieser Richtung nichts zu tun hatte. Ich war Soldat, das andere interessierte mich auch nicht. Sie sagten mir: "Das hier ist die Führerwohnung. Der Führer bewegt sich hier, wenn du ihn triffst, gehst du zur Seite. Er wird dich ansprechen oder auch nicht." Hitler war inzwischen bestimmt informiert worden von den Adjutanten, dass sich ein fremdes Gesicht hier bewegt. Der Chefadjutant (Wilhelm) Brückner, der ehemalige Regimentskommandeur von Hitler im Ersten Weltkrieg, hat mich dann nach etwa zwölf Tagen interviewt. Ich habe alles von mir erzählt, von Oma und Opa, von meinen Eltern, wie sie meinen toten Vater aus der Wohnung getragen haben und ich zweieinhalb Stunden später geboren wurde.

Dann stand Brückner auf und ging Richtung Türe, ich - als strammer Soldat - reiße natürlich die Türe auf. Dahinter stand Hitler. Er hatte alles mitgehört. Hitler fragte: Wo kommt denn der junge Mann her? Aus Schlesien, nicht wahr?" Ich antwortete: "Jawohl, ich komme aus Oberschlesien." Dann sagte Hitler: "Dann kann der junge Mann gleich mal was für mich tun." Er gab er mir einen Brief und sagte: "Bringen Sie den zu meiner Schwester nach Wien."

Das war die erste Begegnung mit Hitler. Ich hatte vorher solche Angst vor Hitler. Und dann stehe ich einen Meter von dem entfernt. Da war er für mich kein Übermensch mehr, sondern ein ganz normaler Mensch.

"Mensch, hatte ich Schiss. Das war doch der Führer für mich" - Hitler in der Wolfsschanze (Foto: Misch/Das Gupta)

SZ: Welche Erinnerungen haben Sie an andere NS-Größen und Militärs, die Hitler besucht haben?

Misch: Die waren alle etwas zurückhaltend. Himmler sagte: "Passt mir gut auf den Führer auf, sonst sperre ich euch alle ein." Er kam äußerst selten, Goebbels dagegen öfter. Der war immer in guter Stimmung. "Guten Tag, meine Herren", sagte er. Goebbels war derjenige, der Hitler auch mal die Meinung sagte, das haben wir schon mitbekommen. (Martin) Bormann hätte das niemals getan. Göring fragte ab und zu auf dem Weg zu Hitler, ob der Führer noch andere Gäste hätte. Mit Rommel saß ich in der Garderobe auf dem Tisch. Er zeigte mir einen Stapel Fotos von seinem Afrika-Korps bis der Adjutant kam. Einmal kam die (Filmemacherin Leni) Riefenstahl vorbei. Ich rief den Chefadjutanten (Julius Gregor) Schaub an: "Frau Riefenstahl ist da." Der Schaub sagte: "Die will wohl Geld haben."

Hitler hat Frau Riefenstahl nicht empfangen, obwohl er sich 20 Meter entfernt in seinem Arbeitszimmer befand. Und die Presse schreibt, das sei seine Freundin gewesen. Ein Team von Riefenstahl hat in der neuen Reichskanzlei übrigens alles gefilmt, jedes Stuhlbein, jede Türklinke. Sie selbst machte das nicht, sondern ihre Leute.

SZ: Was kam bei Hitler auf den Esstisch?

Misch: Er aß ganz einfach, ganz primitiv. Zum Frühstück Knäckebrot, zwei Scheiben Butter und ein bisschen Honig. Dazu hat er Kakao oder Tee getrunken. Jeden Tag dasselbe.

SZ: Der Flug von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß nach Großbritannien. Erinnern sie sich?

Misch: Das lief anders, als offiziell behauptet wird.

SZ: Wie meinen Sie das?

Misch: Also: Mit wem Hitler gegessen hat, war auch unsere Aufgabe. Die Adjutanten oder Diener sagten: Laden Sie Gäste ein. Ich weiß nicht mehr wann es war, aber einmal, auf dem Berghof, hieß es: Der Heß ist in seinem (nahe gelegenen) Haus. Da dachten wir uns, der soll sich mal hier sehen lassen. Heß ist natürlich gekommen.

Ziemlich zum Schluss des Essens brachte eine Ordonanz eine Depesche für (Reichspressechef Dr. Otto) Dietrich. Er las sie und gab sie Hitler über den Tisch. Hitler schaut sie an und sagte: "Aber was soll ich denn noch tun? Ich kann doch nicht hinfliegen und mich auf die Knie werfen." Und da hat der Heß sich gedacht: Das kann er nicht, aber ich kann es.

SZ: Woher wollen Sie denn das wissen?

Misch: Ich weiß das vom Sepp Platzer, seinem Diener. Mit dem war ich sehr gut befreundet. Er hat alles vorbereitet, alles besorgt, alles erledigt.

SZ: Sie behaupten also: Hitler war also nicht informiert.

Misch: Nein. Keiner hat etwas gemerkt, auch die Frau Heß nicht. Heß war ja eine Nummer null. Er war nicht Stellvertreter des Führers in der Regierung, sondern nur in der Partei. Heß war geknickt, weil er keine Aufgabe hatte. Es klappte mit dem Bormann auch nicht, die konnten nicht miteinander arbeiten. Als Heß einmal unangefordert ins Hauptquartier kam, sagte Hitler: "Ja Heß, was wollen Sie denn hier? Da wollte Heß die Genehmigung haben, als Kurierpilot tätig zu werden. Hitler sagte: "Sie haben ab sofort Flugverbot."

"Mit der Eva kam ich auch ganz gut zurecht" - Braun auf dem Berghof (Foto: Misch/Das Gupta)

SZ: Heß flog dann schließlich doch. Wie reagierte Hitler?

Misch: Er ist drei Tage nicht aus seinem Wohn- und Arbeitsbereich im ersten Stock gekommen, nicht einmal zur Lagebesprechung.

SZ: Ein anderes Thema, Stichwort Tagebücher. Haben sie jemals mitbekommen, dass Hitler eines führte?

Misch: Nein. Aber Hitler sprach irgendwann kein Wort mehr ohne Stenographen, und wenn Schütze Arsch von der Front kam: Da wurde stenographiert ( klopft mit den Fingerknöcheln auf den Tisch). Während Stalingrad waren vier Stenographen anwesend, die jedes Wort festhielten.

SZ: Und was passierte mit all diesen Aufzeichnungen?

Misch: Der Reichssicherheitsdienst hat sie abgeholt, alle zwei Monate ungefähr, so genau kam es ja nicht drauf an. Die kamen nach Berchtesgaden ins stillgelegte Salzbergwerk.

SZ: Sie waren ja Leibwächter von Hitler. Hatten Sie persönlich Angst vor Attentaten?

Misch: Nein, eigentlich nicht. Hitler hat uns hoch versichert, für den Fall, dass uns etwas passiert. Mit 100.000 Mark, verdammt viel Geld.

Rochus Misch im April 2005 (Foto: Das Gupta)

SZ: Sie haben das Kriegsgeschehen mitverfolgt. Auch die Niederlagen in Stalingrad und El-Alamein. Ab wann war für sie der Krieg verloren?

Misch: Eigentlich ziemlich früh schon. Ich bekam ja die ganzen Meldungen. Und ich habe mich mit meinem Schwiegervater - er war ein hundertprozentiger SPD-Mann - manchmal darüber unterhalten, dass das nicht gut gehen kann. Aber wann das genau war, kann ich nicht mehr sagen.

SZ: Wenn Ihr Schwiegervater Sozialdemokrat war, gab es dann keine Probleme? Schließlich hatten Sie direkten Zugang zu Hitler.

Misch: Er war sogar ein Ur-SPDler, schon vor dem Ersten Weltkrieg. Das interessierte keinen Menschen. Ich wurde nie gefragt. Meine Frau war nicht einmal im BDM (Bund deutscher Mädel). Sie hatte sogar einen Ausweis für die Führerwohnung, da hatte ich doch ein Zimmer gehabt.

SZ: Sie machten private Fotos auf dem Berghof, sogar Hitler und Eva Braun lichteten Sie ab. Haben Sie um Erlaubnis gefragt?

Misch: Ach wo, ich hab da einfach überall herum fotografiert. Sehen Sie ( zeigt auf Foto mit Hitler und Eva Braun). Wer solche Aufnahmen macht, gehörte zum engsten Kreis. Mit der Eva kam ich auch ganz gut zurecht. Einer von uns war immer in der Nähe von Hitler, einer war immer ansprechbar für ihn. Tag und Nacht, Hitler war nie ohne uns. Auf dem Berghof habe ich mit den traurigsten Hitler gesehen. Er saß versunken am Tisch und hörte wunderschöne Musik. Ich fragte den Diener: "Was ist denn das für Musik?" Der Diener sagte, das sei das Lied "Dein ist mein ganzes Herz" von Joseph Schmidt, einem Juden. Ob das Hitler bekannt war, weiß ich aber nicht.

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