Helmut Kohl kritisiert Bundesregierung:"Merkels Außenpolitik ist ohne Kompass"

Lesezeit: 2 min

Unzuverlässiger Bündnispartner, keine berechenbare Größe mehr, fehlerhafte Innenpolitik: Schonungslos kritisiert Altkanzler Kohl die Bundesregierung und wird damit wohl vor allem die Debatte über die außenpolitischen Grundlagen Deutschlands verstärken. Jetzt reagiert auch Kanzlerin Merkel auf die Worte ihres einstigen Förderers.

Daniel Brössler und Nico Fried

Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hat die Außen- und Europapolitik seiner Nachfolger mit scharfen Worten kritisiert. Kohl sagte, Deutschland sei "keine berechenbare Größe mehr - weder nach innen noch nach außen". Während er Fehler der rot-grünen Koalition für die Euro-Krise verantwortlich machte, bemängelte er an der jetzigen Regierung eine unzureichende Bündnispolitik.

Kohl nannte seine Parteifreundin, Regierungschefin Angela Merkel, nicht namentlich, ließ aber erkennen, dass die Kritik auch ihr gelte: Der Altbundeskanzler rügte, dass ein außenpolitischer "Kompass" fehle. Jahrelang sei ein verlässlicher Kurs der Westbindung ein Grundsatz der deutschen Außenpolitik gewesen. Wenn er dagegen die Entwicklung der vergangenen Jahre betrachte, "dann frage ich mich schon, wo Deutschland heute eigentlich steht und wo es hin will".

Dies habe auch im Ausland zu Verunsicherung geführt. In seine Kritik schloss Kohl die deutsche Enthaltung bei der Abstimmung über eine Libyen-Resolution im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein. Auch die Abschaffung der Wehrpflicht bezeichnete er als Fehler. Das Interview gewährte er der Fachzeitschrift Internationale Politik.

Merkel reagierte vorsichtig auf die Kritik ihres Vorgängers. "Die Verdienste Helmut Kohls als Kanzler der deutschen Einheit und der europäischen Einigung sind nicht hoch genug einzuschätzen", sagte sie am Mittwoch der Süddeutschen Zeitung. Sie fügte hinzu: "Jede Zeit hat ihre spezifischen Herausforderungen. Die christlich-liberale Bundesregierung arbeitet daran, die Herausforderungen unserer Zeit zusammen mit unseren Partnern in Europa und der Welt entschlossen zu meistern."

Die Wirkung der Äußerungen Kohls war zunächst noch schwer absehbar: Einerseits gilt Kohls Wort in Teilen der Union durchaus noch etwas; andererseits sind seine Einlassungen in der derzeit in der Union umstrittenen Frage der Euro-Rettung so allgemein formuliert, dass sie von den Kritikern des Regierungskurses kaum als Argument verwendet werden können.

Es dürfe nun "keine Frage sein, dass wir in der Europäischen Union und in der Euro-Zone solidarisch zu Griechenland stehen", sagte Kohl. Europa und der Euro benötigten nun ein "beherztes Paket klug gewogener und unideologischer Maßnahmen". Für die Ursachen der Euro-Krise machte er an erster Stelle die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder verantwortlich. Einer Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone hätte er ohne "durchgreifende strukturelle Veränderungen im Land" nicht zugestimmt, behauptete Kohl. Erst mit dem Machtwechsel im Jahr 1998 sei die harte Position Deutschlands aufgegeben worden, auch bei den Stabilitätskriterien.

Verstärken dürften Kohls Äußerungen indes eine Debatte über die außenpolitischen Grundlagen und die transatlantischen Beziehungen, da die Kritik mit dem Ende des Krieges in Libyen zusammenfällt. Auch in der Union war die Entscheidung Deutschlands, sich im UN-Sicherheitsrat zu enthalten, umstritten. Als deutlichster Hinweis auf Versäumnisse von Merkel im Verhältnis zu den USA ist Kohls Interpretation der Europareise von Präsident Barack Obama im Mai zu verstehen.

Obama hatte damals mehrere europäische Länder besucht - nicht aber Deutschland. Kohl sagte, er habe sich "nicht träumen lassen, dass ich einmal erleben muss, dass ein amtierender amerikanischer Präsident nach Europa kommt und über die Bundesrepublik hinwegfliegt, ich könnte auch sagen, über sie hinweggeht".

© SZ vom 25.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: