Zwei Stunden nach Neujahr fiel die Entscheidung: Nach dem Senat billigte auch das US-Repräsentantenhaus den Kompromiss von Demokraten und Republikanern. Der Sturz der USA von der fiscal cliff, der "Haushaltsklippe", ist vorerst abgewendet. Die befürchteten Steuererhöhungen bleiben aus. Ist damit alles gut? Nein, schon in zwei Monaten wird weiter verhandelt. Und richtig freuen können sich in Washington auch nur jene, die als Gewinner aus der Debatte gehen.
Gewinner: Joe Biden
Er war der Held in den Verhandlungen. Sein Eingreifen in buchstäblich letzter Minute hat Amerika vor dem Sturz von der Haushaltsklippe bewahrt. Zumindest sah es so aus: Joe Biden fuhr in der Silvesternacht persönlich auf den Washingtoner Kapitolshügel. Nach langen, bangen Momenten des Wartens tauchte er dann aus den Bürofluchten des Senats auf und reckte breit grinsend beide Daumen nach oben. Da war offensichtlich, dass er, nur er, alles klar gemacht hatte. Ohne die Vermittlung des Vizepräsidenten hätten sich die Streithähne im Senat wohl tatsächlich kaum zum Kompromiss durchgerungen. Dabei kam Biden zugute, dass er den Verhandlungsführer der Republikaner, Mitch McConnell, seit Jahrzehnten aus dem Senat kennt. Die beiden lieben sich nicht. Aber sie schätzen sich.
Gewinner: Mitch McConnell
Der Vormann der Republikaner im Senat ist nicht der Mann großer Worte und Gesten. Mitch McConnell bleibt lieber im Hintergrund. So war es auch im Streit um die Haushaltsklippe. Den ließ er zunächst andere ausfechten - seinen Kollegen John Boehner im Repräsentantenhaus zum Beispiel. Erst als der sich gründlich blamiert hatte, machte sich McConnell ans Werk.
Als alter Hase in der Washingtoner Politik weiß er, dass in Fällen, in denen es eine Einigung nicht geben kann, nur eine Lösung bleibt: den Streit vertagen. Nach dieser Devise ist McConnell auch diesmal verfahren: Wo der Streit schon verloren war - bei den Steuern für die Schwerreichen etwa -, hat er zähneknirschend klein beigegeben. Ansonsten hat er sich nicht bewegt, und die kniffligen Punkte auf die Verhandlungen um Amerikas Schuldengrenze vertagt. Die beginnen Ende Februar/Anfang März. Und da wird er sicherlich nicht gleich wieder in der ersten Reihe sein.
Gewinner: Average Joe
Der Durchschnittsamerikaner zählt ohne Zweifel zu den Gewinnern des Washingtoner Geschachers. Für ihn geht die Einkommenssteuer nicht hoch auf die alten Sätze, wie sie noch zu Zeiten von Präsident Bill Clinton galten (eine Ära, die viele Amerikaner übrigens inzwischen als eine goldene Zeit verklären). "Average Joe", wie Otto Normalverbraucher in den USA genannt wird, spart 2013 also Geld.
Ein bisschen getrübt wird die Freude allerdings doch: Die Lohnsteuerermäßigung, die Präsident Barack Obama noch im letzten Jahr verteidigt hatte, blieb in den Verhandlungen auf der Strecke. Aber was zählt das schon, wenn im Großen und Ganzen unterm Strich mehr bleibt.
Gewinner: Barack Obama
Der Präsident hat sein populäres (und populistisches) Wahlversprechen eingelöst. So halbwegs jedenfalls. Amerikas Superreiche müssen endlich mehr zur Sanierung des maroden Bundeshaushaltes beitragen. Zwar nicht die Besserverdienenden mit einem Jahreseinkommen von mehr als einer Viertelmillion, wie er es ursprünglich wollte. Die Grenze liegt nun bei 400.000 Dollar (450.000 für Ehepaare).
Aber immerhin. In allen vorherigen Schachereien mit den Republikanern um Schulden, Steuern und Einsparungen war Obama am Ende als Verlierer dagestanden. Das ist diesmal anders. Zudem konnte er jetzt nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen noch für ein paar Tage zum Entspannen zurück zur Familie auf Hawaii. Aloha!
Verlierer: Mitt Romney (und alle Ein-Prozent-Amerikaner)
Sie müssen in diesem Jahr mehr zahlen. Dem oberen Einkommens-Hundertstel der USA wird es 2013 gewiss nicht schlecht gehen. Aber ein paar Abstriche müssen die Ein-Prozent-Amerikaner nun doch hinnehmen. Auf ihre Jahreseinkünfte, die oberhalb der Grenze von 400.000 Dollar liegen (bei Verheirateten oberhalb von 450.000 Dollar), müssen sie deutlich mehr Einkommenssteuer zahlen als bisher.
Auch bei der Kapitalertragssteuer sind die Super-Niedrigsätze der Bush-Ära, die Romney so geschickt auszunutzen verstand, endgültig Geschichte. Und sollte es im neuen Jahr zu Todesfällen kommen, müssen die Bestverdienenden auch bei der Erbschaftssteuer Abstriche hinnehmen.
Verlierer: Grover Norquist (und alle Defizit-Falken)
Der Mann ist die graue Eminenz der Republikaner in Washington. Kaum ein republikanischer Kongressabgeordneter oder Senator hat nicht den Treueschwur seiner Organisation, Americans for Tax Reform, unterschrieben. Damit verpflichteten sie sich, nie, nie, niemals einer Steuererhöhung zuzustimmen. Und keiner wagte gegen das Steuerdiktat aufzumucken.
Das ist nun im großen Stil und mit ausdrücklicher Billigung der Parteigranden geschehen. Grover Norquist versuchte den Schaden zu begrenzen, indem er sich an die Spitze der Bewegung setzte und den Deal zur Umgehung der Haushaltsklippe als Ausnahme billigte. Dennoch dürfte künftig sein Bann gebrochen sein.
Verlierer: Tim Geithner
Obamas Finanzminister zählt ganz klar zu den großen Verlierern. Nicht politisch. Aber persönlich. Er will eigentlich raus aus der Regierung, ein bisschen Geld verdienen. Doch nun wird Tim Geithner wohl oder übel bleiben müssen, bis die Verhandlungen über die neue Schuldenobergrenze für die US-Regierung abgeschlossen sind. Das soll er seinem Boss Barack Obama versprochen haben.
Der wollte die Frage einer höheren Grenze für Amerikas Neuverschuldung schon jetzt als Teil der Vereinbarung zur Haushaltsklippe geregelt sehen. Doch da haben die Republikaner nicht mitgemacht. Jetzt wird Geithner wohl bis mindestens März in seinem Ministerbüro in direkter Nachbarschaft des Weißen Hauses ausharren müssen.
Verlierer: John Boehner
So ganz weiß man nicht, ob er nun verloren oder gewonnen hat. Das wird sich an diesem Donnerstag erweisen. Denn dann werden die Republikaner ihren neuen Vormann küren. Das ist bislang John Boehner. Er will es wieder werden. Allerdings hat er die Rechten in seiner Partei massiv verärgert: Sie fanden ihn in seinen Verhandlungen mit dem Weißen Haus um die Haushaltsklippe viel zu nachgiebig. Sie könnten ihn dafür abstrafen.
Verloren hat der stets braungebrannte Boehner in einer Hinsicht aber schon jetzt: Er wollte eigentlich mit dem Präsidenten Geschichte schreiben und den ganz großen Deal abschließen, um die Haushaltsprobleme Amerikas auf lange Sicht in den Griff zu bekommen. Mit dem Eintrag ins Geschichtsbuch ist es jetzt nichts geworden.