Grundgesetz-Jubiläum:Dieser seltsame Planet Deutschland

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Gauck und Kermani, der ostdeutsche Protestant und der in Westdeutschland geborene Sohn iranischer Exilanten - das sind zwei von verschiedenen Planeten. Der Bundespräsident und der Schriftsteller schenken der Republik zwei glänzende Reden. Sie markieren eine überfällige Wende in der Debatte um Einwanderung.

Ein Kommentar von Constanze von Bullion, Berlin

Der Bundespräsident Joachim Gauck und der Schriftsteller Navid Kermani, das sind zwei Männer, deren Lebenswege unterschiedlicher kaum sein könnten. Der eine ist ostdeutscher Protestant, er wurde durch Krieg und Diktatur geprägt und 1989 über Nacht in einen pluralistischen, von vielen Ethnien bewohnten Orbit geschleudert. Für Navid Kermani ist dieser Orbit seine Heimat, er ist im westdeutschen Siegen geboren, als Sohn iranischer Exilanten, wurde promovierter Orientalist und ein Weltengänger zwischen deutscher und persischer Kultur. Gauck und Kermani - das sind zwei von verschiedenen Planeten. Jetzt haben sie ihrem Land zum Geburtstag des Grundgesetzes zwei Reden geschenkt, die es so schnell nicht vergessen wird.

Was macht eigentlich das Deutschsein aus, haben die beiden sich aus Anlass des Verfassungsjubiläums gefragt. Um dann dorthin zu fassen, wo es am meisten wehtut: in die Herzkammer einer Einwanderungsgesellschaft, die keine sein will. Deutschland ist nach den USA inzwischen weltweit das attraktivste Land für Immigranten. Im vergangenen Jahr kamen so viele Menschen wie seit 20 Jahren nicht mehr, und neben denen, die vor Not und Kriegen flüchten, sind es zunehmend auch Exilanten aus Euro-Krisenländern, nicht selten gerade die Ambitionierten, gut Qualifizierten, die für ihr Talent in Deutschland ein neues Zuhause suchen. Zum Leidwesen ihrer Herkunftsländer übrigens.

Eine überfällige Wende: die Reden Gaucks und des Autors Kermani

Was die Neuen hier vorfinden, ist eine reiche Nation, deren wachsendes Selbstbewusstsein in sonderbarem Kontrast zur inneren Verfasstheit steht. Was in Ländern wie Großbritannien selbstverständlich ist, das Miteinander vieler Kulturen, ist hier: Krampf. Gauck, selbst noch Lehrling in Sachen Vielfalt, hat zum Grundgesetztag treffend beschrieben, wie Deutsche mit vietnamesischen Vorfahren gern mal höflich gefragt werden, wo sie "eigentlich" her sind. Was impliziert: Ihr gehört nicht dazu.

Es sind eben auch die "Alt-Deutschen", wie Gauck das nennt, die endlich in der Einwanderungsgesellschaft ankommen und ihre Angst ums Eingemachte im Keller besiegen müssen. Klar, der deutsche Wohlstand weckt Begehrlichkeiten. Und klar, es gibt Immigranten, die Mist bauen hier. Es hätte Gaucks Rede auch nicht geschadet, die sozialen und kulturellen Ursachen solchen Mists schärfer zu trennen. Sein Plädoyer für die "Einheit der Verschiedenen" aber markiert eine überfällige Wende in der Einwanderungsdebatte.

Kritik am deutschen Asylrecht
:Kermani stößt Debatte im Bundestag an

Der deutsch-iranische Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani hat zum 65. Jahrestag der Verkündigung des Grundgesetzes eine Rede im Bundestag gehalten. Darin kritisiert er das deutsche Asylrecht scharf und erhält reichlich Lob.

Nur einen Tag später hat Navid Kermani Gaucks Vision mit Leben gefüllt. Er hat in einer glänzenden Rede im Parlament seinem Deutschland eine Liebeserklärung gemacht. Es ist das Land des Kniefalls von Willy Brandt in Warschau, der einer mörderischen Nation die Würde zurückgab. Mit seiner Kritik an den Asyl-Gesetzen hat Kermani gezeigt, dass die Verfassung Eingewanderte nicht nur verpflichtet, sondern auch berechtigt, das Versprechen der offenen Gesellschaft einzufordern. Das Grundgesetz hätte sich zum Geburtstag kein schöneres Geschenk wünschen können.

© SZ vom 24.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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