Bündnis 90/Die Grünen:Das Trauma von 1999

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In der einstigen Friedenspartei ist ein interner Disput über Waffen und militärische Optionen entbrannt. Viele denken dabei zurück an den Nato-Einsatz in Kosovo - und was dabei alles auf der Strecke blieb.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es ist wie ein böser Traum, der die Grünen einholt. Er handelt nicht nur von Krieg und der Verwüstung der europäischen Friedensordnung. Mit der russischen Invasion in der Ukraine treiben die Partei auch wieder Fragen um, die schon frühere Grünen-Generationen bewegten, auch gegeneinander aufbrachten: Geht das wirklich, Frieden schaffen ohne Waffen? Wo wird aus Friedfertigkeit Verantwortungslosigkeit? Und: War der Widerstand der Grünen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ein Fehler?

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist bei den Grünen ein interner Disput über Waffen und militärische Optionen losgerollt. Zu erkennen geben wollte die Parteiführung davon zunächst möglichst wenig, man möchte nicht zerstritten wirken. Parteichef Omid Nouripour, ein ausgewiesener Außenpolitiker, äußerte sich am Donnerstag nur zu Wirtschaftssanktionen. In militärischen Fragen, so war zu hören, folge die Partei Außenministerin Annalena Baerbock; Vielstimmigkeit schade nur.

Farbbeutelwurf auf Joschka Fischer

Tatsächlich aber ist der Konflikt längst da, und er geht einher mit einem grünen Trauma. In der Partei werden jetzt Erinnerungen wach an den Farbbeutelwurf auf Außenminister Joschka Fischer und die Auseinandersetzungen um den Nato-Einsatz in Kosovo 1999. "Nie wieder Krieg, nie wieder Völkermord, nie wieder Auschwitz" - mit diesem Appell sicherte Fischer dem Bundeswehreinsatz damals Zustimmung auf einem Grünen-Parteitag. Die junge rot-grüne Koalition war gerettet, der Start in die Regierung aber nachhaltig vermasselt.

Der Pazifismus von einst ist bei den Grünen längst einer menschenrechtsgeleiteten grünen Außenpolitik gewichen, die auch vor militärischen Einsätzen nicht haltmacht. Wie 1999 aber erleben die Grünen jetzt erneut Stillstand im Regierungshandeln, wegen eines Krieges. Wer etwas genauer hinhört, kann auch Dissonanzen zwischen Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck hören.

Die Außenministerin hat sich im Ukraine-Konflikt für Deeskalation eingesetzt, bei hartem Tonfall gegen Wladimir Putin. Seinen Angriff nannte sie am Donnerstag "kriminell". Gleichzeitig hat Baerbock Waffenlieferungen an die Ukraine stets abgelehnt. Habeck hingegen, jetzt Wirtschaftsminister, hatte 2021 bei einem Ukraine-Besuch gefordert, den Ukrainern Waffen zur Verfügung zu stellen. Das gab Ärger, Habeck ruderte zurück. Geändert hat er seine Meinung wohl nicht.

"Wir sind alle zu naiv gewesen"

Als Habeck am Donnerstag Wirtschaftssanktionen gegen Russland ankündigte, erwähnte er zweimal seine Ukraine-Reise: "Sie wissen, dass ich an der Kontaktlinie war, an der jetzt Menschen sterben." Den Rest konnte man sich dazudenken: dass das Land mangels Waffen nun wehrlos dasteht. "Wir sind alle zu naiv gewesen", sagte Habeck am Mittwoch in der ARD mit Blick auf Putin. Das ist auch als Manöverkritik an Annalena Baerbock zu verstehen.

Und auch aus Brüssel kamen erste kritische Stimmen. Der grüne Europapolitiker Reinhard Bütikofer forderte die Bundesregierung im Spiegel auf, der Ukraine "Mittel zu ihrer Selbstverteidigung" zur Verfügung zu stellen. Die grüne Osteuropaexpertin im Europaparlament, Viola von Cramon, wünschte einen humanitären Korridor für die Flüchtlinge und eine Flugverbotszone über der Ukraine, "am liebsten mit Beschluss des UN-Sicherheitsrats, aber zur Not auch ohne". Es geht jetzt ans grüne Eingemachte.

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