Grüne:Kretschmanns zögerliche Mitstreiter

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Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigt sich offen für strengere Asylgesetze. Doch die große Koalition müsste weitere Grüne in den Ländern erst noch überzeugen.

Von Bernd Dörries, Susanne Höll und Peter Burghardt, Frankfurt

Wenn nach der Sommerpause die Regierungsspitzen von Bund und Ländern über die schwierige Flüchtlingslage beraten, wird es auch um das politisch delikate Thema weiterer sicherer Herkunftsstaaten gehen. Die Union in Bund und Ländern sowie die SPD-Bundesspitze mitsamt einiger Regierungschefs verlangen, Kosovo, Albanien und Montenegro zu solchen sicheren Staaten zu erklären, mit der Begründung, fast alle Asylanträge von Bürgern jener Staaten würden abgelehnt, Schutzsuchende vom Balkan nähmen Kriegsflüchtlingen und anderweitig Verfolgten die Unterbringungsplätze in Deutschland weg.

Die Entscheidung, welches Land offiziell als sicher gilt, trifft aber nicht die Bundesregierung, sondern der Bundesrat. Dort haben SPD und Union aber keine Mehrheit, sie sind angewiesen auf die Grünen, die entweder mit der SPD, der CDU, der Linkspartei und in Kiel zusammen mit dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) an etlichen Landesregierungen beteiligt sind. Die Grünen aber sind in dieser Frage tief gespalten und stehen vor einem Konflikt, der die Partei zerreißen könnte. Im Mittelpunkt des Konflikts: der Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, der kommendes Jahr eine Landtagswahl zu bestehen hat.

Kretschmanns grün-rote Koalition hatte, zur Empörung der Bundes-Grünen und anderer Landesverbände, im September 2014 für die Asylreform der großen Koalition gestimmt. In der wurden drei andere Balkanstaaten - Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien - zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Im Gegenzug wurden Grünen-Forderungen nach besseren Lebensbedingungen für Flüchtlinge erfüllt. Kretschmann musste herbe Kritik von seiner Bundes-Partei einstecken. Nun zieht er wieder Kritik auf sich. Denn Kretschmann hat sich offen gezeigt für weitere sichere Staaten, unter zwei Voraussetzungen: Man müsse beweisen, dass eine solche Einstufung die Zahl der Asylbewerber aus der Region reduziere. Zudem müsse man Migranten vom Balkan die Zuwanderung erleichtern, wenn sie in Berufen arbeiten wollen, für die Bewerber dringend gesucht werden, etwa in der Pflege.

Von den Bundes-Grünen wurde Kretschmann bereits gerügt. Man brauche keine Symbolpolitik, hieß es. Und auch die Kollegen und Kolleginnen aus anderen Ländern sind unentschieden oder, wie etwa die in Rheinland-Pfalz, dagegen.

Die Machtverhältnisse im Bundesrat haben sich seit 2014 geändert. Das Ja von Baden-Württemberg reicht zusammen mit den Stimmen von Union und SPD für die Mehrheit nicht mehr aus, es müssen mindestens zwei weitere Länder mit Grünen-Beteiligung zustimmen. Bislang hat Kretschmann kaum Mitstreiter, alle aber sind sich der heiklen Lage bewusst. Die grüne Vize-Ministerpräsidentin von Nordrhein Westfalen und Bildungsministerin, Sylvia Löhrmann, etwa lässt mitteilen, ihre Partei befürworte Maßnahmen, die tatsächlich wirkungsvoll seien. Und darin sei man sich "erfreulicherweise" mit SPD und Kretschmann einig. Im Übrigen würden alle regierenden Grünen eine gemeinsame Haltung erarbeiten.

Noch sind vielerorts Sommerferien, Treffen gab es noch nicht, dafür angeblich einige Telefonate, über die niemand im Detail berichten will. Unter den Länder-Grünen gelten die pragmatischen Hessen, Juniorpartner der CDU, als die potenziell aussichtsreichsten Kretschmann-Mitstreiter. Sie hätten, wenn ihre Stimme nötig gewesen wäre, vielleicht schon 2014 mit Baden-Württemberg für die Asylrechtsänderung gestimmt. Derzeit sind alle Verantwortlichen im Urlaub, verlässliche Auskunft gibt es nicht, nur die Ansage, dass man sich absprechen werde.

Die Skepsis freilich ist allerorten groß. Der Hamburger Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks sagt: "Wir sind von sicheren Herkunftsländern nicht überzeugt, weil wir eine Wirkung nicht feststellen können." Seine Kieler Kollegin Eka von Kalben ist ähnlicher Meinung: "Wir sehen das sehr kritisch, wir halten das für falsch." Die niedersächsische Landesvorsitzende Meta Janssen-Kucz meint, für die Grünen sei das Thema "sehr, sehr klar" - sichere Herkunftsländer lösten keine Probleme. Diese Einstufung stoppe die Flüchtlingsströme genauso wenig wie ein ungarischer Zaun.

Also keine Chance für den Vorschlag neuer sicherer Herkunftsstaaten? Nein, die Tür steht, wenn man die Dinge recht versteht, offen, wenn der Preis stimmt, den die Bundesregierung zu zahlen bereit sein muss. Mehr Entscheider im Bundesamt für Flüchtlinge, mehr Geld für Länder und Kommunen sind Grundvoraussetzungen. Hinzu kommen das von SPD und Grünen favorisierte Einwanderungsgesetz mit zusätzlichen Öffnungen für Arbeitsmigranten und etliche andere Forderungen.

Die Grünen warten offenbar auf Angebote. Man sei in der "Findungsphase", sagt die Kieler Fraktionschefin von Kalben. Janssen-Kucz aus Niedersachsen spricht von einem "Austarierungsprozess". Und ein in Sachen Kompromisssuche geübter Realo-Grüner, der nicht genannt werden will, rät zu Geduld: "Noch gibt es nichts zu verhandeln. Das könnte aber vielleicht bald schon anders sein."

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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