Flüchtlingspolitik:Wie die Grünen ihren Ton verschärfen

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Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann will "junge Männerhorden" aus den Städten verbannen. (Foto: dpa)

Immer öfter finden sich in Stellungnahmen grüner Spitzenpolitiker ein rigoroser Sprachgebrauch, wie man ihn bisher nur von rechten Parteien kennt.

Kommentar von Heribert Prantl

Kaum hatten die Grünen vor 20 Jahren mit der Schröder-SPD die rot-grüne Bundesregierung gebildet, hängten sie ihren Pazifismus an den Nagel, zogen den Flecktarn aus dem Spind und stimmten dem Kampfeinsatz der Bundeswehr im Kosovo-Krieg zu. Regieren essen Seele auf - so lautete daher die Kritik an den Grünen vor zwei Jahrzehnten. Die Befürworter der Bombardements sprachen dagegen von der grünen Anpassung an die Realität.

So ähnlich mag die grüne Parteispitze heute eine schleichende Veränderung der grünen Flüchtlingspolitik begründen. Ist es also derzeit so, dass schon das bloße Regierenwollen im Bund die Seele auffrisst? Immer öfter finden sich jedenfalls in Stellungnahmen von grünen Spitzenpolitikern ein Sprachgebrauch und ein Argumentationsduktus, wie man ihn auch von den anderen Parteien kennt: Winfried Kretschmann will "junge Männerhorden" aus den Städten verbannen. Und Grünen-Chefin Annalena Baerbock, die diese Äußerung noch kritisiert hatte, will jetzt "konsequent durchgreifen" und rigoros abschieben, wenn es um straffällige Flüchtlinge geht.

Wird aus dem moralischen Rigorismus, mit dem die Grünen groß geworden sind, nun ein grüner Anpassungsrigorismus? Anpassung an den Mainstream, Anpassung an die breiter gewordene Wählerbasis. Die Frage, die man den Grünen stellen muss, lautet deshalb: Was hilft es, wenn man noch einmal schnell drei Prozent gewinnt, damit aber auf Dauer Glaubwürdigkeit verspielt?

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"Da muss man konsequent durchgreifen." Annalena Baerbock möchte abgelehnte Asylbewerber, die straffällig werden, außer Landes schaffen - insbesondere nach Sexualdelikten.

Von Constanze von Bullion

Baebock will "den Rechtsstaat durchsetzen"

Man muss nun der Grünen-Co-Chefin keine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik unterstellen. Ihre Äußerungen im SZ-Interview vom Mittwoch offenbaren aber eine seltsame Unschärferelation. Es zeigt sich ein Haschen nach den in Flüchtlingsabwehrdebatten gängigen Formeln. Wem soll hier nach dem Munde geredet werden? Es wird ja derzeit schon in Kriegsgebiete abgeschoben, nach Afghanistan und in den Irak. Ist es da gut, wenn nun auch die Grünen noch mehr und noch schnellere Abschiebungen fordern?

"Den Rechtsstaat durchsetzen" will Baerbock. Auch den Spruch kennt man aus vielen Verschärfungsdebatten. Dem Rechtsstaat hilft man aber nicht mit allgemeinem Durchsetzungsgerede. Denn das kaschiert meist die Forderung, Entscheidungen schnell übers Knie zu brechen. Dem Rechtsstaat hilft man vielmehr dadurch, dass man den Gerichten vertraut und ihnen Zeit gibt für die Einzelfallprüfung, auf die ein Rechtsstaat auch bei Flüchtlingen nicht verzichten darf. Das ist mit einem Zack-zack-Abschiebungsrigorismus nicht zu vereinbaren. Baerbock spricht richtigerweise davon, dass es die Stärke des Rechtsstaats sei, dass er differenziere. Sie selbst tut das aber leider nicht in ausreichendem Maß.

Man erinnert sich an die grüne Biegsamkeit vor einem guten Jahr in den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition. Damals war es so, dass die Verhandler der Grünen fast alle Zumutungen der Union zu schlucken bereit waren: Rückführungszentren, massive Einschränkungen des Familiennachzugs; Algerien, Marokko und Tunesien als weitere sichere Herkunftsstaaten; und sogar eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen, die bei 200 000 Menschen pro Jahr liegen sollte - als "atmender Rahmen", wie man sich rechtfertigte. Bei so viel Anpasserei könnte es passieren, dass den Grünen der Atem ausgeht.

© SZ vom 20.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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