Gorleben-Ausschuss:Im Dunkel des Schachts

Lesezeit: 2 min

Handschriftliche Einschätzungen und Druck auf Wissenschaftler: Die Geschichte des Endlagers Gorleben ist undurchsichtig. Ein Ausschuss könnte nun unliebsame Relikte zutage fördern.

M. Bauchmüller und M. Kotynek

Es sind Geschichten aus einer fernen Zeit, mit denen sich 15 Abgeordnete des Bundestages von diesem Donnerstag an beschäftigen. Ein Untersuchungsausschuss soll klären, wie die alte Bundesrepublik eigentlich auf die Idee kam, im wendländischen Gorleben ein Endlager für Atommüll errichten zu wollen, auf welcher wissenschaftlichen Basis sie entschied, und inwieweit die Politik möglicherweise Entscheidungen gegen fachlichen Rat traf. Sprich: Ob Gorleben Endlager werden sollte, weil es technisch taugte - oder weil es bloß politisch ins Konzept passte.

Zum Vergrößern der SZ-Graphik bitte auf das Bild klicken. (Foto: SZ-Graphik)

Es ist ein neues Kapitel in der wechselvollen Geschichte des Salzstocks. Erwählt in den späten siebziger Jahren, sollte Gorleben nicht nur ein Endlager für alle Arten radioaktiven Abfalls beherbergen, sondern gleich ein ganzes "nukleares Entsorgungszentrum", samt Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe.

Die Anlage kam zwar nie zustande, die Endlagerpläne aber blieben. Ungeachtet eines wachsenden Widerstands im Wendland zog die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung von 1983 an das Projekt durch. "Voraussichtlich im Jahre 1992", so sah es der erste Betriebsplan für das Bergwerk vor, sollte die Erkundung beendet sein. Doch daraus wurde nichts. Erst verzögerten technische Probleme und ein Unfall die Erkundung, dann verhängte die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 ein Moratorium. Die heutige schwarz-gelbe Koalition will die Erkundung nun wieder aufnehmen, ganz "ergebnisoffen", wie es im Koalitionsvertrag heißt.

Gorleben war nicht in der Empfehlung

Doch der Untersuchungsausschuss könnte einige unliebsame Relikte zutage fördern. Schon jetzt gibt es Unterlagen, die Zweifel an den Verfahren zu Gorleben wecken. Als die Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft Kewa Mitte der siebziger Jahre im Auftrag des Bundes nach einem geeigneten Standort für das geplante Entsorgungszentrum suchte, empfahl sie drei niedersächsische Orte - Gorleben war nicht darunter.

Auch der TÜV verglich beinahe zur selben Zeit acht Standorte, Nieby in Schleswig-Holstein erhielt die meisten Punkte. Gorleben stand nicht einmal auf der Rangliste des TÜV - bis ein niedersächsischer Beamter den Standort handschriftlich ergänzte. Dann ging es schnell: Der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) favorisierte Gorleben - das Wendland war nur schwach besiedelt, der Ort lag dicht an der Grenze zur DDR.

Druck auf Wissenschaftler

Und nur wenige Wochen, nachdem Gorleben erstmals erwähnt worden war, entschied sich das Kabinett des Landes für den Standort. Fünf Jahre später übte dann die Regierung Helmut Kohl massiv Einfluss auf Wissenschaftler aus, die ein entscheidendes Gutachten verfassen sollten, ob der Salzstock auch untertage erkundet werden sollte. Die Ministerien für Forschung und Inneres drängten die Fachleute, kritische Passagen des Gutachtens umzuschreiben, wie aus einem Schriftverkehr hervorgeht.

"Gorleben ist ausgesucht worden, obwohl es schon nach damaligen Kriterien nicht der geeignetste Standort war", ist sich Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sicher. Der Ausschuss werde "sicher sehr spannend". Maria Flachsbarth, CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses, hofft hingegen, "dass der Ausschuss nicht für politischen Klamauk genutzt wird. Die Thematik ist ernst genug." Für die Zukunft ist Flachsbarth "der festen Überzeugung, dass die Frage der Eignung Gorlebens alleine von den Ergebnissen der weiteren geologischen Untersuchung des Salzstocks abhängen wird."

Wen sie als Zeugen laden wollen und welche Unterlagen sie anfordern werden, lassen die Fraktionen einstweilen offen. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte der Zeugenstand blühen. Als damalige Umweltministerin lag Gorleben in ihrer Zuständigkeit. Zu Merkels Zeit wurde auch der Zuschnitt des geplanten Endlagers verändert; dem Bund fehlten die nötigen Rechte an dem unterirdischen Salz, um die eigentlichen Planungen durchzuziehen. "Die damalige Ministerin wird eine sehr begehrte Zeugin", sagt Trittin süffisant. Es geht um mehr als nur um Gorleben.

© SZ vom 22.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: