Es flogen Steine, mit Eisenstangen und Stuhlbeinen gingen junge Männer aufeinander los, auf Sicherheitsleute und auf ein Kamerateam des MDR. 120 Polizeibeamte eilten auf den Friedberg am Rande der südthüringischen Stadt Suhl, um die Krawalle zu beenden, die am Mittwochabend in der Landesaufnahmestelle für Asylbewerber ausgebrochen waren. Sechs Polizisten und elf Bewohner des Heimes wurden verletzt. Es sei eine "rote Linie überschritten worden", sagte Thüringens Integrationsminister Dieter Lauinger, als er am Donnerstag auf die Scherben der Gewaltnacht blickte. Auch Thomas de Maizière (CDU) kritisierte die Ausschreitungen scharf. "Menschen, die hier aufgenommen werden, haben sich an deutsches Recht und Gesetz zu halten", sagte der Bundesinnenminister am Donnerstagabend in Berlin. Auch hiergegen müsse hart vorgegangen werden - ebenso wie gegen Angriffe auf Flüchtlinge. Begonnen hatten die Tumulte nach Erkenntnissen der Polizei am Vorabend damit, dass ein Heimbewohner von mehreren muslimischen Mitbewohnern attackiert wurde. Angeblich hatte er zuvor Seiten aus einem Koran gerissen und die Toilette hinuntergespült. Er rettete sich in den Wachraum des Sicherheitsdienstes, den seine Verfolger daraufhin zu stürmen versuchten.
Die Sicherheitsleute setzten Tränengas ein, eintreffende Polizisten wurden von den Randalierern mit Steinen beworfen, andere Flüchtlinge versuchten, die Gewalttäter zu stoppen. Insgesamt waren 100 Heimbewohner an den Auseinandersetzungen beteiligt. Erst gegen zwei Uhr nachts beruhigte sich die Lage wieder.
Einrichtung beinahe wegen gravierender Baumängel geschlossen
Bereits in den Wochen zuvor war es in der Suhler Landesaufnahmestelle zu Schlägereien gekommen. In den Plattenbauten, als Offiziersschule der DDR-Grenztruppen errichtet, waren nach Angaben der Flüchtlingsrats Thüringen 1579 Asylsuchende untergebracht, obwohl das Heim nur für 1200 ausgelegt ist.
Flüchtlingsrats-Sprecherin Ellen Könneker zeigte sich "schockiert" über das Ausmaß der Gewalt. Die "desolaten Zustände" im Heim hätten jedoch "den Boden für die Eskalation bereitet", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Suhls parteiloser Oberbürgermeister Jens Triebel hatte erst vor zwei Wochen damit gedroht, die Einrichtung wegen Baumängeln zu schließen. Der Eigentümer soll die schlimmsten Mängel seither beseitigt haben.
Ramelow schlägt vor, Flüchtlinge nach Ethnien getrennt unterzubringen
Der Zuzug von Flüchtlingen stellt die Bundesländer vor große Probleme. Allein in den ersten 17 Tagen des August kamen nach Angaben des Bundesinnenministeriums 50 000 Flüchtlinge nach Deutschland. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte am Mittwoch die bisherige Asyl-Prognose seines Hauses deutlich nach oben korrigiert. Er erwartet nun im Jahr 2015 bis zu 800 000 Flüchtlinge. "In diesem Jahr müssen und werden wir das verkraften", sagte er am Donnerstag im ZDF, auf Dauer sei das jedoch "zu viel".
Täglich kommen derzeit 3000 Flüchtlinge ins Land und werden auf die Bundesländer verteilt. Thüringen muss jeden Tag etwa 80 Neuankömmlinge aufnehmen. Ministerpräsident Bodo Ramelow plädierte dafür, Flüchtlinge verschiedener Ethnien in getrennten Unterkünften unterzubringen. Nur so ließen sich Gewaltausbrüche verhindern, sagte der Linken-Politiker im MDR. Nach Schätzungen des Deutschen Landkreistages wird die Versorgung der Asylsuchenden in diesem Jahr acht Milliarden Euro kosten. SPD-Chef Gabriel sprach sich beim Besuch einer Erstaufnahmestelle im hessischen Gießen dafür aus, die finanzielle Hilfe des Bundes für die Kommunen auf drei Milliarden Euro anzuheben.
Rechtsextremisten versuchen unterdessen den Gewaltausbruch für sich zu nutzen. Die von Neonazis beherrschte "Thügida"-Bewegung versammelte am Donnerstagabend 600 Menschen in Suhl, um gegen das Flüchtlingsheim zu demonstrieren. An der Gegenveranstaltung beteiligten sich laut Polizei 75 Menschen.