Getötete palästinensische Jugendliche:Schwerwiegender Verdacht

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Er sei "ernsthaft beunruhigt, dass die beiden Jugendlichen getötet wurden, obwohl sie nach ersten Informationen unbewaffnet waren und keine direkte Bedrohung darstellten", sagt der stellvertretende UN-Generalsekretär Oscar Fernandez-Taranco. (Foto: AP)

Menschenrechtler werfen Israels Sicherheitskräften vor, zwei palästinensische Jugendliche erschossen zu haben. Der Vorfall könnte die Regierung in Jerusalem noch in Bedrängnis bringen. Denn auch die Vereinten Nationen und die USA fordern nun Aufklärung.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Es sind düstere Bilder, grob gepixelt, kurze Videosequenzen nur - und doch scheinen sie eine erschreckende Klarheit zu vermitteln: Zu sehen ist ein junger Bursche mit Rucksack, der von links her ins Bild schlendert und dann plötzlich, von einem Schuss getroffen, vornüber kippt. Im zweiten Fall verhält es sich ganz ähnlich, ein Mensch bricht wie vom Blitz getroffen zusammen, andere eilen herbei, gestikulieren wild, tragen ihn fort. Gezeigt wird laut der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem die Erschießung zweier palästinensischer Jugendlicher durch israelische Sicherheitskräfte bei einer Demonstration im Westjordanland. Und diese Bilder könnten Israels Regierung noch in Bedrängnis bringen. Denn Aufklärung über diesen Vorfall fordern nun auch die Vereinten Nationen und die USA.

Die Aufnahmen stammen von privaten Überwachungskameras, die ein palästinensischer Händler aus Beitunia eigenen Angaben nach zum Schutz seines Warenlagers auf dem Dach angebracht hat. Die Kameras liefen auch am vorigen Donnerstag, als es vor dem nahegelegenen Ofer-Gefängnis am sogenannten Nakba-Tag, an dem die Palästinenser der Flucht und Vertreibung nach der israelischen Staatsgründung 1948 gedenken, zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis kam. Steine flogen und Molotow-Cocktails, Israels Armee versuchte der Krawalle Herr zu werden - und am Ende mussten zwei junge Palästinenser zu Grabe getragen werden: Nadim Nawara, 17 Jahre alt, und ein weiterer Jugendlicher, dessen Name Muhammed lautet. Als Nachname wird in den verschiedenen Quellen mal Odeh genannt, mal Salameh, mal Abu Thar oder Abu Thahir. Mal ist er 22, mal 15 oder 17.

Keinerlei Kampfhandlungen zum Zeitpunkt der Schüsse

Manche Unklarheit also umgibt noch diesen Fall, doch die nun veröffentlichten Videobilder zumindest zeigen klar, dass zum Zeitpunkt der Schüsse die beiden Getöteten in keinerlei Kampfhandlungen verwickelt waren. Die Palästinenser-Führung spricht deshalb von einem kaltblütigen Mord. "Wir verurteilen auf das Schärfste diese willkürliche Hinrichtung zweier Jugendlicher, die mit scharfer Munition erschossen wurden", erklärte Hanan Aschrawi, die sonst nicht unbedingt zu den Falken in Ramallah zählt. Von einem "Kriegsverbrechen und einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit" spricht sie gar - und sieht sich dabei unter anderem auch von Amnesty International unterstützt.

Amnesty hatte bereits am Donnerstag protestiert, dass "die israelische Armee und Grenzpolizei exzessive, auch tödliche Gewalt gegen Steine werfende Demonstranten eingesetzt hat". Das passt zu einer im Frühjahr von der Organisation veröffentlichten Studie, die unter dem Titel "Trigger happy" (schießwütig) der israelischen Armee "unnötige, willkürliche und brutale Gewalt gegen Palästinenser" vorwirft. Allein im vergangenen Jahr seien 22 palästinensische Zivilisten im Westjordanland getötet worden, die meisten davon junge Erwachsene unter 25 Jahren.

Den Vorwurf unverhältnismäßiger Gewalt weist die Armee auch nun wieder zurück und bestreit überdies den Einsatz scharfer Munition. Es seien lediglich "Anti-Aufruhrmittel und Gummigeschosse gegen 150 gewalttätige Demonstranten eingesetzt" worden. B'Tselem dagegen beruft sich auf den Bericht palästinensischer Ärzte, die bei den beiden Toten Schussverletzungen in der Brust beziehungsweise im Rücken festgestellt hatten. Überdies äußerte die Armee Zweifel am Video. "Der Film wurde bearbeitet und spiegelt nicht wider, was an diesem Tag wirklich an Gewalt passiert ist", sagte ein Sprecher. Und Verteidigungsminister Mosche Jaalon erklärte, er habe das Video zwar noch nicht gesehen, vermute aber eine Manipulation.

Aufklärung kann nur eine intensive Untersuchung bringen

Vorsicht ist tatsächlich wie immer angebracht, wenn zwei Konfliktparteien mit aller Gewalt die alleinige Wahrheit beanspruchen. Auch im israelisch-palästinensischen Konflikt gibt es genügend Beispiele von Vertuschungen und Fälschungen in Wort und Bild. Aufklärung kann da nur in jedem einzelnen Fall eine intensive Untersuchung bringen - und genau dazu wird Israel nun von den Vereinten Nationen und der US- Regierung gedrängt.

Er sei "ernsthaft beunruhigt, dass die beiden Jugendlichen getötet wurden, obwohl sie nach ersten Informationen unbewaffnet waren und keine direkte Bedrohung darstellten", sagt der stellvertretende UN-Generalsekretär Oscar Fernandez-Taranco. Und von der Sprecherin des US-Außenministeriums wird die Jerusalemer Regierung in distanzierter Deutlichkeit zu einer "gründlichen und transparenten" Klärung aufgefordert, inklusive der Frage, ob die Schüsse verhältnismäßig waren.

B'Tselem will das gesamte Material zu diesem Fall an die Militärpolizei weitergeben. Die Armee hat bereits eine "begrenzte Untersuchung" angekündigt. Beim Besitzer der Kameras aber hat sich, so bekannte er am Mittwochmorgen im israelischen Radio, bislang noch kein Offizieller aus Jerusalem gemeldet.

© SZ vom 22.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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