Generalstaatsanwalt unter Verdacht:Verdächtige werden zu Beschuldigten

Wer für diesen fortgesetzten Aktenausriss und Aktenmissbrauch verantwortlich ist, das ist nun Gegenstand der Ermittlungen. Die zuständige Staatsanwaltschaft Göttingen hat zunächst monatelang unter einem U-Js-Aktenzeichen ermittelt - also gegen unbekannt.

Sobald sich in einem solchen Verfahren ein Tatverdacht gegen bestimmte Verdächtige konkretisiert, werden diese zu Beschuldigten - und das U-Js- wird in ein Js-Aktenzeichen umgeschrieben. Wann man das macht, liegt im Ermessen. In heiklen Fällen wie dem von Lüttig macht man das angesichts der Tragweite üblicherweise erst, wenn der Verdacht handfest wurde.

"Die objektivste Behörde der Welt"

Es ist kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, darauf hinzuweisen, dass sich Generalstaatsanwalt Lüttig während des Strafprozesses gegen Wulff immer wieder befremdlich parteiisch geäußert hat. Damit hat er Zweifel an seiner Unbefangenheit und Lauterkeit geweckt; das ist nicht strafbar, aber verwerflich. Man darf darauf hinweisen, dass Lüttig Abteilungsleiter für Strafrecht bei Justizminister Bernd Busemann war, bevor er von diesem zum Generalstaatsanwalt ernannt wurde; Busemann ist seit jeher innerparteilicher Gegenspieler von Wulff.

Das ist das politische Koordinatensystem der Causa. Dieses Koordinatensystem lag unter und über den Ermittlungen gegen Wulff. Es liegt nun auch unter und über den Ermittlungen gegen Lüttig.

Staatsanwälte sind, anders als Richter, nicht unabhängig; auch der Generalstaatsanwalt ist es nicht. Staatsanwälte haben "dienstlichen Weisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen"; so steht es im Gerichtsverfassungsgesetz. Gleichwohl ist die deutsche Staatsanwaltschaft, so lernen es die Juristen im Studium, "die objektivste Behörde der Welt" - weil die Staatsanwälte zulasten und zugunsten eines Beschuldigten ermitteln und so den Richter in seiner Wahrheitsfindung unterstützen.

Der Superlativ ist über hundert Jahre alt und stammt von Hugo Isenbiel, weiland Generalstaatsanwalt am Berliner Kammergericht. Das schöne Bild der Objektivität hat freilich - bei allem Respekt, den die Staatsanwaltschaft zu Recht genießt - Risse und Brüche. Es kann sein, dass aus dem Ermittlungsverfahren gegen Generalstaatsanwalt Lüttig ein Verfahren zur Vermessung dieser Risse wird.

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