Generaldebatte im Bundestag:Merkel kämpft für Stuttgart 21

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Ein angriffslustiger SPD-Chef Gabriel kritisiert die "Klientelpolitik" der Regierung. Die Kanzlerin verweist auf wirtschaftliche Erfolge - und will die Wahl in Baden-Württemberg zu einer Bürgerbefragung über das Bahnhofprojekt in Stuttgart machen.

W. Jaschensky

Den stärksten Moment hat die Bundeskanzlerin gleich zu Beginn ihrer Rede. Als Merkel ans Pult tritt, da hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel eine gute halbe Stunde gegen Schwarz-Gelb vom Leder gezogen, hatte die Regierung als "heruntergekommen" beschimpft und genüsslich Beispiele für den "Wahnsinn ihrer Regierungspolitik" gegeben.

Generaldebatte im Bundestag
:"Handlanger von Großkonzernen"

Sigmar Gabriel attackiert die Regierung und verwechselt Norbert Röttgen mit Norbert Blüm, Angela Merkel spottet vor allem über die Grünen und Gregor Gysi kennt den Grund für die neuen Kämpfer-Eigenschaften der Kanzlerin.

Die besten Zitate der Generaldebatte.

Merkel tritt also ans Pult, legt ihr Manuskript ab, holt Luft - und wünscht dem SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gute Besserung. Da müssen natürlich die Parteifreunde Steinmeiers von der Oppositionsbank für die Regierungschefin klatschen. Die Krawallstimmung, die Steinmeier-Ersatz Gabriel aufgebaut hat, ist in Sekundenbruchteilen verpufft und Merkel kann in Ruhe ihre Rede bei der Generalaussprache im Bundestag beginnen.

Wenig überraschend berichtet Merkel zunächst von den vermeintlichen Erfolgen ihrer Regierung. Und so erinnert die Kanzlerin an die Pleite von Lehman Brothers vor zwei Jahren. Dass das Land so gut aus der Krise komme, das habe kaum jemand erwartet, sagt die Kanzlerin - und darf sich gleich über den zweiten rhetorischen Treffer freuen. Die Damen und Herren Abgeordneten von FDP und Union klatschen pflichtschuldig. Dann merken auch einige Sozialdemokraten, dass sie damals mitregiert haben. Merkel greift das auf und sagt: "Sie können gerne partiell mitklatschen."

Weitere Überraschungen gelingen der Kanzlerin dann aber nicht. Merkel referiert die wirtschaftlichen Erfolge und verteidigt kämpferisch den ersten Haushalt ihrer schwarz-gelben Regierung. Ihr Fazit: "Wir haben Grund zur Zuversicht."

Ausdrücklich stellt Merkel die Haushaltskonsolidierung ins Zentrum ihrer Politik. "Nicht Einzelne haben über die Verhältnisse gelebt. Die Politik hat in den vergangenen Jahren nicht die Kraft aufgebracht, für die Zukunft Vorsorge zu tragen", sagt Merkel. Wer möchte, kann das als Selbstkritik auslegen - immerhin führt sie seit fünf Jahren die Regierungsgeschäfte.

Landtagswahl im März als Bürgerbefragung zu Stuttgart 21

Dann kommt die Kanzlerin auf das umstrittene Projekt "Stuttgart 21" zu sprechen. Der SPD hält sie vor, immer dafür gewesen zu sein und beim ersten Gegenwind einzuknicken. Den Grünen wirft sie vor, immer für die Schiene zu sein, aber wenn es um den Bau eines neuen Bahnhofs gehe, den Aufstand zu proben.

Dann aber macht sie etwas, was an Mut grenzt. Sie sagt: "Die Landtagswahl wird die Bürgerbefragung über 'Stuttgart 21' sein." Da klatscht das ganze Haus. Auch Grüne und Linke und SPD. Da "werden wir eine große Debatte über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands führen", sagt Merkel weiter. Und wieder gibt es großen Beifall. Im nächsten Frühjahr wird sich also zeigen, ob das so eine gute Idee war, die Wahl zum Volksentscheid hochzustilisieren.

In der Energiepolitik verteidigt Merkel den Atomkompromiss, der den Übergang ins Zeitalter der erneuerbaren Energien zu bezahlbaren Preisen für die Verbraucher erst möglich mache. Das sieht die Opposition allerdings ganz anders. SPD, Linke und Grüne geißeln den Atomkompromiss in seltener Einigkeit als "Klientelpolitik".

"Deutschland möchte nicht von RWE und BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie, Anm. d. Red.) regiert werden", ruft Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Noch nie habe eine Bundesregierung sich so "zum Handlanger von Großkonzernen" degradiert, schimpft SPD-Chef Gabriel. Und Linken-Fraktionschef Gregor Gysi macht die große Atomrechnung auf. Unter dem Strich kommt heraus: Die vier Energieriesen tanzten der Regierung auf der Nase herum und die Bürger würden "abgezockt".

Nach Ansicht der Opposition hat sich die Regierung aber nicht nur bei ihrem Energiekonzept kaufen lassen. Heftige Kritik muss Gesundheitsminister Philipp Rösler auch für seine Gesundheitspläne einstecken. Rösler sei den Wünschen der privaten Krankenversicherung und der Pharmaindustrie gefolgt, so der Vorwurf von Trittin. "Das ist bezahlte Lobbypolitik zum eigenen und zum Teil ganz persönlichen Vorteil."

Bei der Neuregelung der Nutzenbewertung von Arzneimitteln habe die Koalition von einem Vorschlag des Verbands forschender Arzneimittelhersteller abgeschrieben. "Jeder Studierende, der damit erwischt wird, fliegt durch die Prüfung - und Sie sagen: Das ist Regierungshandeln", ätzt Trittin.

Linken-Fraktionschef Gysi fasst am Ende zusammen: "Sie sind die Kanzlerin der Bankenlobbyisten, der Pharmalobbyisten und der Atomlobbyisten."

Am Nachmittag stehen die Beratungen über die Einzelpläne für Auswärtiges und für Verteidigung auf der Tagesordnung. Im November sollen der Haushalt 2011 und das 80 Milliarden Euro schwere Sparpaket endgültig verabschiedet werden.

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