Gauck als Bundespräsident vereidigt:"Ich bitte Sie um ein Geschenk: um Vertrauen"

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Joachim Gaucks großes Lebensthema ist die Freiheit, das wird auch in seiner Rede zur Vereidigung im Reichstag deutlich. Aber er legt auch ein überraschend deutliches Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit ab und lobt die 68er für ihre Verdienste um die deutsche Demokratie. Auch für Rechtsextremisten hat er eine kurze Botschaft: "Ihr werdet Vergangenheit sein."

"Ich erlaube mir, um ein Geschenk zu bitten: um Vertrauen". Ob es eine zarte Anspielung ist auf den Amtsvorgänger Christian Wulff, der wegen der Kredit- und Medienaffäre zurücktreten musste und eben dieses Vertrauen am Ende nicht mehr hatte, wird nicht ganz klar. Denn Joachim Gauck wirbt zum Ende seiner Rede nicht nur um Vertrauen für sich als Bundespräsidenten, sondern fordert alle Bürger auf, Selbstvertrauen zu haben.

"Ich bitte Sie alle, mutig und immer wieder damit zu beginnen, Vertrauen in sich selbst zu setzen", sagt Gauck und erinnert damit an ein Zitat des indischen Pazifisten Mahatma Gandhi. "Ob wir den Kindern und Enkeln dieses Landes Geld oder Gut vererben werden, das wissen wir nicht. Aber dass es möglich ist, nicht den Ängsten zu folgen, sondern den Mut zu wählen, davon haben wir nicht nur geträumt. Das haben wir gelebt und gezeigt."

Mut hat Gauck in der Tat gezeigt im Laufe seines Lebens. Als DDR-Oppositioneller. Als Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Jetzt ist er das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland, vereidigt bei einer gemeinsamen Sitzung von Bundesrat und Bundestag im Berliner Reichstag und im Anschluss mit militärischen Ehren im Schloss Bellevue empfangen. Er ist der erste parteilose Bundespräsident - und der erste, der aus der ehemaligen DDR stammt.

"Beispiellose Verdienste" der 68er

Letzteres zeige "den unaufhaltsamen Fortschritt der inneren Einheit unseres Landes", sagt Bundestagspräsident Norbert Lammert vor der Vereidigung. Lammert spricht die hohen Erwartungen an den neuen Präsidenten an. An Gauck gewandt sagt er: "Sie werden getragen von einer Woge der Sympathie. Es ist Ihnen zu wünschen, dass dies so bleibt."

Gaucks Lebensthema ist die Freiheit und sie ist auch ein großes Thema in seiner Rede: Er spricht davon, wie nach dem Zweiten Weltkrieg die freiheitliche Demokratie aufgebaut wurde, er würdigt die Achtundsechziger-Generation als beispielhaft für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und er nennt Deutschland "das Land des Demokratie-Wunders".

Aber das Thema Freiheit steht heute nicht alleine bei Gauck: Es ist verbunden mit einem zweiten großen Thema, über das Gauck bisher nicht so viele Worte verloren hat: die soziale Gerechtigkeit. Beides müsse verbunden sein. Niemand dürfe den Eindruck haben, kein Teil der Gesellschaft zu sein, weil er "arm, alt oder behindert" ist. Es müsse "Teilhabe und Aufstiegschancen" geben.

"Freiheit ist eine notwendige Bedingung von Gerechtigkeit", stellt Gauck fest. Aber soziale Gerechtigkeit lasse sich nicht paternalistisch anordnen. Es brauche einen Sozialstaat, der "versorgt und ermächtigt". Ermächtigung ist ein klassisches Gauck-Wort. Übersetzt heißt das: Hilfe zur Selbsthilfe.

Der neue Bundespräsident wirbt in seiner Rede für eine offene Gesellschaft: "Wir leben inzwischen in einem Staat, in dem neben die ganz selbstverständliche deutschsprachige und christliche Tradition Religionen wie der Islam getreten sind, auch andere Sprachen, andere Traditionen und Kulturen", so Gauck. Der Staat definiere sich immer mehr durch die Zugehörigkeit seiner Bürger zu einer politischen und ethischen Wertegemeinschaft.

Würdigung an Wulff

Das ist die Stelle in seiner Rede, die Gauck nutzt, um die Verdienste seines Vorgängers zu würdigen. Der habe entscheidende Impulse zur Integration der Muslime in Deutschland gesetzt: "Sehr geehrter Herr Bundespräsident Wulff, dieses Ihr Anliegen wird auch mir beständig am Herzen liegen", betont Gauck in Anwesenheit seines Vorgängers.

Klar bekennt sich Gauck zum europäischen Gedanken. Das "Ja zu Europa" gelte es zu bewahren. In Krisenzeiten sei jedoch die Gefahr, sich auf die Ebene des Nationalstaates zu flüchten, besonders ausgeprägt. "Gerade in der Krise heißt es deshalb: Wir wollen mehr Europa wagen", sagt Gauck und spielt dabei auf den ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt an, der in seiner Regierungserklärung 1969 gesagt hatte: "Wir wollen mehr Demokratie wagen."

Aber Gauck übt auch Kritik am schwindenden Vertrauen der Bürger in demokratische Institutionen, an der geringen Wahlbeteiligung und am politischen Desinteresse vieler Bürger.

Der Bundespräsident ruft außerdem zur entschlossenen Abwehr des Rechtsextremismus auf. "Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich", sagt er unter großem Beifall. Und die Rechtsextremisten lässt er wissen: "Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben."

Sigmar Gabriel euphorisiert

"Es war eine sehr ermutigende, eine sehr optimistische Rede", sagt später Peter Altmaier, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion. Er sei überzeugt, dass Gauck "ein politischer Präsident" sein werde.

Euphorisch äußert sich SPD-Chef Sigmar Gabriel: "Das war die beste Rede, die ich bislang hier im Deutschen Bundestag gehört habe. Ich kann mich nicht an jemanden erinnern, der mal so klar und deutlich dem Land Mut gemacht hat, aber auch Ziel und Richtung unseres Landes gewürdigt hat", sagte er. Die Sozialdemokraten seien "ein bisschen stolz, dass wir geholfen haben, ihn durchzusetzen"

Lobende Worte findet auch FDP-Chef Philipp Rösler: "Eine großartige Rede". Gauck sei ein Mann der Freiheit und "jetzt ein Präsident der Freiheit". Darüber könne sich ganz Deutschland freuen. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle ergänzt, die Rede sei beeindruckend gewesen. "Ich verspreche mir von seiner Arbeit, dass er die Menschen ermuntert, dabei zu sein, mitzumachen und sich einzubringen."

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi hebt vor allem das Bekenntnis von Gauck zur sozialen Gerechtigkeit hervor. "Ich fand seine Rede in mancher Hinsicht bemerkenswert. Er hat der Frage der sozialen Gerechtigkeit eine Aufmerksamkeit geschenkt, wie bisher noch nie". Schade sei nur, dass sich Gauck nicht mit einen Satz zur Linken-Gegenkandidatin Beate Klarsfeld geäußert habe.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast zeigt sich erfreut, dass Gauck einen großen Rahmen für die kommenden fünf Jahre seiner Amtszeit abgesteckt habe. "Er redet nicht nur über das, was schon gelungen ist, sondern hilft uns auch, dass wir noch weitere Erfolge haben", sagt sie. Ko-Fraktionschef Jürgen Trittin fügt hinzu: "Ich habe am heutigen Tag festgestellt, wir haben einen guten Bundespräsidenten."

© Süddeutsche.de/dpa/dapd/olkl/kat - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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