Friedrich Wilhelm von Brandenburg:Preußens Schöpfer

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Er gründete eine Kolonie in Afrika, ließ Hugenotten und Juden einwandern - und machte Berlin zu einer europäischen Macht. Rückblick auf den "Großen Kurfürsten", der vor 400 Jahren zur Welt kam.

Von Jens Bisky

Er hält den Feldherrenstab in der rechten Hand, in der linken die Zügel. Der füllige Leib sitzt sicher im Sattel, an der Seite hängt das Kurschwert. Das Pferd, scheint es, würde auf sein Geheiß sofort losstürmen. In Mähne und Schweif spielt der Wind ebenso wie in der Allongeperücke des Reiters, der in die Ferne schaut, als habe er ein Ziel vor Augen. Er strahlt Dynamik und Ruhe zugleich aus, die Energie des Feldherrn und die Klugheit des Herrschers.

So hat Andreas Schlüter den Großen Kurfürsten in dem Reiterdenkmal dargestellt, das von 1703 bis 1943 auf der Langen Brücke in Berlin stand, am Übergang zwischen Stadt und Schloss. So hatten ihn Generationen vor Augen und glaubten gern, dass er die Fundamente des preußischen Staates gelegt habe.

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Friedrich II. vertraute seinem Kammerdiener Fredersdorf blind bei Geld, Spionen und Hämorrhoidenleiden. Der Briefwechsel zeigt den Preußen-König ohne Legende - dafür voller Liebe.

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In den Geschichtsinszenierungen der Hohenzollern kam ihm eine bedeutende Rolle zu, die meisten Herrscher dieser Dynastie werden den Namen Friedrich Wilhelm tragen. Sein Sohn, der sich 1701 die Königskrone aufs Haupt setzte, gab das Reiterstandbild in Auftrag. Ein halbes Jahrhundert später ließ Friedrich II., der dafür sorgte, dass man auch ihn "den Großen" nannte, im Potsdamer Stadtschloss den Marmorsaal ihm zu Ehren gestalten. Und als unter Wilhelm II. zum Ruhme der Dynastie das Kaiser-Friedrich-Museum erbaut wurde, kam in die Mitte der großen Kuppelhalle eine Kopie des Schlüterschen Reiterstandbilds. Mit ihm, dem Großen Kurfürsten, hieß das, habe alles begonnen. Der spätere Glanz, oder das, was man dafür hielt, wurde auf frühere Zeiten zurückgespiegelt, sodass diese strahlender erschienen, als sie je gewesen waren.

Er selbst war ungeduldig, aber auch ein Zauderer

Heute ist es leicht, derlei Mythisierungen zu kritisieren. Friedrich Wilhelm, 1620 im Schloss zu Berlin, genauer: auf der Cöllner Spreeinsel, geboren, hatte nicht ein Staatsgebilde vor Augen, wie es im 18. Jahrhundert unter dem Soldatenkönig und Friedrich dem Großen entstand. Die deutsche Frage, die später entscheidend für Preußen wurde, stellte sich zu seiner Zeit nicht. Er selbst war ungeduldig, leicht aufbrausend, aber auch ein Zauderer, "unsicher, misstrauisch und wankelmütig", so nennt ihn Jürgen Luh in seiner gerade erschienenen Lebensbeschreibung.

Ludwig XIV., Karl XI. in Schweden, der polnische König Jan III. Sobieski und Wilhelm III. von Oranien waren seine Zeitgenossen, wie auch Oliver Cromwell, Mazarin und Richelieu. Dass unter all diesen ausgerechnet er, der Brandenburger, den Beinamen "der Große" erhielt, überrascht bis heute. Aber gemessen an den brandenburgischen Kurfürsten vor ihm scheint es einleuchtend zu sein. Größe sprach man ihm nach dem Sieg über die Schweden in der Schlacht von Fehrbellin 1675 zu, und das Attribut blieb haften, freilich nicht an seinem Namen. Friedrich Wilhelm habe, schreibt der Historiker Christopher Clark, die Rolle des Kurfürsten neu erfunden.

Er hatte dafür mehr Zeit als alle anderen Hohenzollernherrscher, er regierte achtundvierzig Jahre lang, von 1640 bis 1688. Und wenn man sich auch davor hüten sollte, ihm einen großen Plan zu unterstellen, so hat in seinen Regierungsjahren doch vieles begonnen, was später wichtig geworden ist für die preußische Geschichte, vieles, was fortwirkte. Und seien es Nebensächlichkeiten wie die Allee, die er in Berlin zwischen dem Lust- und dem Tiergarten anlegen ließ - die heutige Straße Unter den Linden; sei es die Tatsache, dass mit ihm der Ausbau Potsdams zur Residenzlandschaft begann oder dass er in Cölln eine Bibliothek anlegen ließ, den Vorläufer der heutigen Staatsbibliothek zu Berlin.

Vier Momente seiner Herrschaft sind besonders interessant. Er richtete ein stehendes Heer ein, das an seinem Lebensende etwa zwanzig- bis dreißigtausend Soldaten stark war, bei etwa anderthalb Millionen Menschen, die in seinen Territorien lebten. Er versuchte, Brandenburg zu einer Seemacht zu entwickeln, indem er zäh und letztlich erfolglos um den Besitz Vorpommerns rang und mit der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie eine Kolonie in Westafrika begründete. Während die Mehrheit seiner Untertanen gute Lutheraner waren, förderte er seine eigene Konfession, die Reformierten. Sein Großvater, Johann Sigismund, war zu Weihnachten 1613 zum reformierten Bekenntnis übergetreten, was in Berlin Tumulte und in Königsberg Entsetzen ausgelöst hatte. Er setzte, viertens, seine Lande einem Modernisierungs- und Pluralisierungsstress aus, indem er ständische Rechte beschnitt und, oft gegen den Widerstand der Einheimischen, Zuwanderer ins Land holte.

Die Ausgangsbedingungen waren elend. Der Dreißigjährige Krieg (1618 - 1648) verheerte die Länder, vor allem Kurbrandenburg. Die Bevölkerung ging im Durchschnitt um etwa fünfzig Prozent zurück, Dörfer verfielen, lagen wüst, die Äcker blieben unbestellt, es fehlte an Vieh. Kurfürst Georg Wilhelm hatte zwischen dem Kaiser und dem Schwedenkönig geschwankt, schwanken müssen. Sein Sohn gewann zwar durch den Friedensschluss einiges hinzu, etwa Hinterpommern oder Halberstadt und Minden, auch einen Anspruch auf Magdeburg, aber schwedische Truppen lagen weiter im Land. Und er musste auf die großen Mächte Rücksicht nehmen, vor allem auf den Kaiser in Wien, auf Frankreich und Schweden, aber auch auf Polen, war doch das Herzogtum Preußen ein Lehen des polnischen Königs.

Zu den Kriegsfolgen kam ein strukturelles Problem. Die Länder des Kurfürsten lagen weit auseinander, nur die Person des Herrschers verband Preußen im Osten, Brandenburg und die Besitztümer im Westen, die Grafschaften Kleve und Mark, das Fürstentum Minden, die Grafschaft Ravensberg. Für sie lag es eigentlich näher, sich an den Vereinigten Niederlanden und Frankreich zu orientieren als an Berlin. Und was ging die Königsberger Kaufleute das Elend der Bauern in den Marken an? Warum sollten sie zahlen, wenn der Kurfürst am Niederrhein Truppen brauchte?

Der junge Kronprinz Friedrich Wilhelm kannte die pommerschen Seestädte gut und bekam in der Republik der Vereinigten Niederlande, wo er von 1634 bis 1638 so etwas wie Lehrjahre absolvierte, einen Eindruck von der großen Welt. Die Tochter des Statthalters, Luise Henriette von Oranien, heiratete er sechs Jahre nach seinem Regierungsantritt. Im Norden Berlins, in Bötzow, dem heutigen Oranienburg, richtete sie eine Musterwirtschaft nach niederländischem Vorbild ein, das auch in Architektur und Kunst bestimmend wurde. Wichtiger war, dass sich der Kurfürst als gelehriger Schüler der oranischen Heeresreform erwies. Er adaptierte sie und beendete damit das Zeitalter der selbständigen Kriegsunternehmer und Söldner, die den Dreißigjährigen Krieg so grausam, blutig, verheerend hatten werden lassen. Stattdessen: ein stehendes Heer, aus Steuern bezahlt, dem Landesherren verpflichtet, strenger Disziplin unterworfen.

Einen Kritiker ließ der Kurfürst sogar aus Warschau entführen

Das trat nicht von einem Tag auf den anderen ins Leben, die adligen Offiziere haderten bis ins 18. Jahrhundert mit ihrer Rolle. Das preußische Offizierskorps wird erst vom Enkel, von Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig, geschaffen. Aber die Anfänge reichen zurück in die Zeit des Großen Kurfürsten. Der Sieg über die polnische Armee in der Schlacht von Warschau 1656, im Bündnis mit Schweden errungen, gilt als erster großer Erfolg in der Geschichte des preußischen Heeres. Wenig später schloss Friedrich Wilhelm ein Bündnis mit Polen gegen die Schweden, was ihm die Souveränität über das Herzogtum Preußen einbrachte, ein Territorium außerhalb des Reiches. Ohne diese Souveränität hätte sein Sohn sich nicht zum König in Preußen krönen lassen können.

Um das kostspielige Heer zu finanzieren, mussten die Einnahmen verstetigt werden. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen wurde in den Städten die Akzise eingeführt, eine Verbrauchssteuer für fast alle, während das Land weiter Kontributionen zahlte. Die noch bescheidene Finanzverwaltung und das Militär wurden, ohne dass dies in der Absicht des Kurfürsten gelegen hätte, zu entscheidenden Momenten der Entwicklung des preußischen Staates.

Außerhalb Kurbrandenburgs musste Friedrich Wilhelm seine Regierungsgewalt gegen zähe Widerstände durchsetzen. Besonders hart ging er gegen Königsberg vor. Als die Ständevertreter den König von Polen um Beistand baten, ließ der Kurfürst von seiner Festung Friedrichsburg aus Kanonen auf Königsberg richten und einen der Rädelsführer festnehmen, den Schöffenmeister Hieronymus Roth. Bis zu seinem Tod saß Roth in Haft. Christian Ludwig von Kalckstein, der sich beleidigend über den Landesherrn geäußert hatte, floh 1670 nach Warschau und bat dort um Beistand. Da die Polen ihn nicht auslieferten, ließ der brandenburgische Kurfürst ihn entführen. Kalckstein wurde gefoltert, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Neben der Akzise hatte die Königsberger besonders gestört, dass Landfremde Spitzenpositionen erhielten. Unter dem Kurfürsten konnte auch etwas werden, wer nicht unter seiner Herrschaft geboren wurde. Die richtige Konfession war dabei von Vorteil. Zwei Drittel der höheren Beamten, die er ernannte, waren Reformierte, Calvinisten wie er. Das sollte im Hinterkopf behalten, wer die gern beschworene Toleranz des Kurfürsten verstehen will. Toleriert wurde, was ihm nützte. Das waren im Land alle, die auf Polemik gegen die Calvinisten verzichteten, und unter den Zuwanderern jene, die Geld und Fähigkeiten mitbrachten und ihm persönlich stärker verpflichtet waren als den tradierten Ständen.

Berühmt ist der Streit mit dem protestantischen Liedermacher Paul Gerhardt, der standhaft die Unterschrift unter eine Erklärung verweigerte, die ihn an die "Toleranzedikte" des Kurfürsten band, in denen Liebe und Eintracht sowie der Verzicht auf anticalvinistische Kanzelreden gefordert wurden. Es ging um wesentliche Glaubenswahrheiten, die Gerhardt gegen verordnete Toleranz verteidigte. Wenn man, so argumentierte er, die konfessionellen Unterschiede einebne, drohe "Religions-Mengerey", dann könne man gleich auch die Trennung von den Papisten rückgängig machen. Das Interesse des Landesherrn und der Wahrheitsanspruch der Konfessionen standen in scharfem Widerspruch zueinander. In diesem Fall ließ der Kurfürsten den Konflikt nicht eskalieren und setzte den zunächst Entlassenen wieder in sein Amt an der Berliner Nikolaikirche ein.

Als Kaiser Leopold I. alle Juden aus Wien verwies, erklärte sich Friedrich Wilhelm bereit, vierzig oder fünfzig Familien aufzunehmen, reiche, wohlhabende Familien. Am 10. September 1671 wurde ein Privilegium für Benedikt Veit und Abraham Ries ausgestellt, es ist der Gründungstag der Berliner jüdischen Gemeinde. Die Juden wurden geduldet, weil man ihnen immer neue Zahlungen auferlegen konnte und sich von ihren Handelsbeziehungen Gewinn versprach. Sie wurden toleriert, weil man sie diskriminieren konnte. Aber der Kurfürst verteidigte sie auch gegen Beschwerden der Stände und ging scharf gegen pogromartige Ausschreitungen vor.

Der Große Kurfürst ließ viele Flüchtlinge aufnehmen, auch aus Eigennutz

Als Frankreichs katholischer König Ludwig XIV. den Hugenotten jede Religionsausübung verbot, erließ der Große Kurfürst das Edikt von Potsdam, das seinen bedrängten Glaubensbrüdern die Aufnahme in Brandenburg versprach. Etwa 20 000 kamen im Laufe der Jahre und genossen, was den Unwillen der Einheimischen erregte, besondere Privilegien, Steuerbefreiung, eigene Gerichtsbarkeit. Anders als geplant, ließen sich viele von ihnen in Berlin nieder und prägten fortan die Atmosphäre in der Stadt.

Ein menschenfreundlich-toleranter Herrscher nach heutigen Begriffen war Friedrich Wilhelm dennoch nicht. Wiederum nach niederländischem Vorbild stürzte er sich in koloniale Abenteuer. Weder die brandenburgisch-afrikanische Compagnie noch die Kolonie Groß Friedrichsburg an der Küste des heutigen Ghana wurden ein Erfolg, aber sie verwickelten Brandenburg in den Sklavenhandel. Im 19. Jahrhundert, nach dem "Erwerb" des "Schutzgebietes" Deutsch-Südwestafrika, meinte Kaiser Wilhelm I., nun erst könne er "dem Standbild des Großen Kurfürsten wieder gerade ins Gesicht sehen".

Beobachter spotteten über das "Wechselfieber" des Brandenburgers. Der Kurfürst war auf Bündnisse angewiesen, wechselte sie aber, sobald es ihm opportun erschien. Angesichts der Machtverhältnisse in Europa war seine "Schaukelpolitik" vernünftig. Am Ende seiner Regierungszeit hatte das notorisch arme und schwache Kurbrandenburg eine vergleichbare Stellung wie Sachsen oder Bayern inne. Die Armee des Großen Kurfürsten war im Reich die stärkste nach der des Kaisers. Und er gebot souverän über ein Territorium außerhalb des Reiches, über Preußen. Die Einnahmen stiegen und erlaubten eine angemessene höfische Repräsentation. Man muss das alles nicht groß nennen. Aber es prägte die deutsche Geschichte.

© SZ vom 15.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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