Friedensverhandlungen in Nahost:Spion als Faustpfand

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Ein Aktivist fordert die Freilassung von Pollard auf einer Demonstration in Jerusalem (Foto: AFP)

Weil er für Israel spionierte, sitzt Jonathan Pollard seit 29 Jahren in einem US-Gefängnis. Nun verhandelt Washington offenbar über seine Freilassung, um den stockenden Friedensprozess zu retten. Für Premier Netanjahu wäre das ein enormer Erfolg.

Von Matthias Kolb

Kaum war John Kerry in Israel gelandet, fuhr er sofort ins Büro von Benjamin Netanjahu. Mehr als drei Stunden sprach der amerikanische Außenminister am Montagabend mit Israels Premierminister über die Frage, wie der stockende Nahost-Friedensprozess zu retten sei. Anschließend verhandelte Kerry mit Saeb Erekat, dem palästinensischen Chef-Unterhändler.

Womöglich zeichnet sich nun ein Deal ab, der sicherstellen würde, dass alle Seiten zumindest bis Ende 2014 im Gespräch bleiben. Dafür müssten sowohl Israel als auch Palästinenser Gefangene austauschen - und womöglich ringt sich US-Präsident Barack Obama dazu durch, Israels Nationalheld Jonathan Pollard freizulassen. Pollard wurde zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt seit 29 Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis in North Carolina, weil er als Angestellter der US-Marine Geheiminformationen an den Mossad verkauft hat. In Israel vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine Petition "Freiheit für Pollard" fordert.

Laut New York Times erwägt Washington, Pollard freizulassen, um selbst Kompromissbereitschaft zu demonstrieren. Allerdings sei noch keine Entscheidung gefallen, zitiert die Zeitung eine anonyme Regierungsquelle. Obama-Sprecher Jay Carney sagte lediglich, es gebe "keinen neuen Sachstand". Der israelischen Zeitung Maariv sagte ein israelischer Beamter, die Causa Pollard liege "auf dem Tisch". Sollte der heute 59-jährige Pollard nach Israel ausreisen dürfen, wäre dies ein Riesenerfolg für Premier Netanjahu, der schon in seiner ersten Amtszeit bei Präsident Bill Clinton für Pollard warb. Der verurteilte Spion ist mittlerweile israelischer Staatsbürger.

1998 soll Clinton ernsthaft eine vorzeitige Freilassung erwogen haben, doch laut Washington Post scheute der Demokrat vor dem Schritt zurück, da der damalige CIA-Chef George Tenet erklärt hatte, er würde im Gegenzug sofort zurücktreten. Später schrieb Clinton in seinen Memoiren, dass er Pollard nicht habe begnadigen könne, da dieser "die Geheimnisse unseres Landes nicht aus Überzeugung verkauft habe, sondern für Geld". Zudem habe Pollard, der durch seine Aktion etwa 500 000 Dollar verdienen wollte, keine Reue gezeigt.

Der israelischen Zeitung Haaretz zufolge könnte ein möglicher Deal so aussehen: Israel würde zustimmen, die meisten Siedlungsbauten zu stoppen und hunderte palästinensische Gefangene freizulassen. Darunter sollen auch 14 israelische Araber sein, die bereits vor den Osloer Verträgen 1993 verhaftet wurden. In den Verträgen hatten sich Israel und die PLO erstmals gegenseitig anerkannt. Diese Zusage soll Netanjahu dadurch erleichtert werden, dass Pollard entweder in Kürze oder 2015 freikommt - im kommenden November könnte er seine vorzeitige Entlassung beantragen.

Geschickter Schachzug oder Verzweiflungstat

Die Palästinenser würden sich hingegen verpflichten, bis Ende 2014 weiter zu verhandeln und keine einseitigen Schritte vor den Vereinten Nationen zu unternehmen. Ende November 2012 hatte die Vollversammlung beschlossen, Palästina den Status eines "Beobachterstaats" zu geben - für Ramallah ein wichtiger Schritt in Sachen Anerkennung als Staat. Ein für diesen Dienstag geplantes Treffen Kerrys mit Palästinenserpräsident Abbas wurde abgesagt. Der US-Außenminister flog weiter nach Brüssel; es ist unklar, ob er eine Lösung erzielen konnte.

In den Augen einiger US-Analysten zeigt die öffentliche Spekulation über Pollard als Faustpfand vor allem eins: Wie groß die Verzweiflung und der Frust der US-Diplomaten sind. "In einer Zeit von Leaks, Überwachung und Edward Snowden, ergibt es keinen Sinn, dass die US-Regierung einen Verräter wie Jonathan Pollard als Tauschobjekt benutzt", sagte der Nahost-Experte Aaron David Miller vom Woodrow Wilson International Center for Scholars der New York Times. Andere Experten warnen die Regierung in Washington, eines ihrer wenigen Druckmittel gegenüber Israel zu früh aus der Hand zu geben.

Die Israelis wiederum hatten an Weihnachten empört auf die Enthüllung reagiert, dass der US-Geheimdienst NSA israelische Spitzenpolitiker abgehört habe. Damals hatte Transportminister Israel Katz bereits eine Verbindung zwischen den Fällen gezogen und geschimpft: "Die USA spionieren systematisch unsere Regierungsspitze aus, und Pollard wird für weit weniger festgehalten." ( Mehr in diesem SZ-Artikel).

Wie emotional das Schicksal von Jonathan Pollard in Israel debattiert wird, zeigt ein Text, der zu Wochenbeginn in der Zeitung Yediot Aharonot erschienen ist. Abgedruckt wurden Auszüge eines Briefs, den Gilad Schalit an Premier Netanjahu geschrieben hat. Schalit wurde als Soldat von der Hamas entführt und 2011 nach fünfjähriger Gefangenschaft in Gaza gegen 1027 Palästinenser getauscht. Schalits Worte sind eindeutig: "Ich kann den großen Schmerz fühlen, den Jonathan Pollard spüren muss. Er sitzt seit 29 Jahren in Haft, das ist fünf Mal länger als die Zeit meiner Gefangenschaft, und das auch noch in den USA, bei unseren Freunden."

Die Forderung des Ex-Soldaten Schalit an seinen Premier ist unmissverständlich: "Machen Sie den Amerikanern klar, dass Jonathan Pollard frei kommen muss, bevor wir über irgendetwas anderes reden."

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