Auf den Tag genau ein Jahr nach Beginn des Terror-Prozesses gegen die rechtsextreme "Gruppe Freital" hat das Oberlandesgericht Dresden lange Haftstrafen gegen die Angeklagten verhängt. Es sprach sämtliche Angeklagte der Bildung einer terroristischen Vereinigung schuldig und verhängte Gefängnisstrafen zwischen vier und zehn Jahren. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Sieben Männer und eine Frau im Alter zwischen 20 und 40 Jahren mussten sich in dem Prozess für insgesamt fünf Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und politische Gegner verantworten, die im Jahr 2015 in Freital und Dresden verübt worden waren.
Freital-Prozess:"Eiskalt den Tod von Menschen in Kauf genommen"
Die rechtsgerichtete "Gruppe Freital" terrorisierte Flüchtlinge und deren Unterstützer, selbst versuchter Mord steht im Raum. Nun fällt das Urteil gegen die acht Angeklagten. Nebenklage-Anwältin Kristin Pietrzyk über die Lehren aus dem Fall.
Die beiden Rädelsführer, Timo S. und Patrick F., erhielten mit zehn beziehungsweise neuneinhalb Jahren die höchsten Strafen. Die Bundesanwaltschaft hatte fast elf Jahre Haft gefordert, für die anderen zwischen fünf und neuneinhalb Jahren. Sie warf ihnen die Bildung einer terroristischen Vereinigung sowie versuchten Mord vor.
Die Angeklagten hatten sich Anfang 2015 bei Demonstrationen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Freital kennengelernt. Die Anschläge verübten sie in wechselnder Zusammensetzung und Tatbeteiligung. Den Auftakt ihrer Gewaltserie bildete ein Sprengstoffanschlag auf das Auto des Freitaler Linke-Stadtrats Michael Richter. Außerdem zündeten sie selbstgebaute Sprengsätze an zwei Flüchtlingsunterkünften und überfielen gemeinsam mit Mitgliedern der rechtsextremen "Freien Kameradschaft Dresden" ein alternatives Wohnprojekt von Flüchtlingsunterstützern in Dresden.
Die Taten an sich sind nicht strittig und wurden teils von den Beteiligten selbst eingeräumt. Die Verteidigung wies jedoch sowohl den Vorwurf der Bildung und Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe als auch den des versuchten Mordes als überzogen zurück. Sie hatte daher deutlich geringere Strafen als die Bundesanwaltschaft gefordert.
Verharmlosung in Freital
In Freital waren die Taten der Gruppe immer wieder verharmlost worden. Der Bürgermeister sprach von Aktionen Einzelner, die man nicht so ernst nehmen solle. Von "Lausbuben" war sogar die Rede. In der Auseinandersetzung schwang immer mit: Mit uns hat das nichts zu tun. Ein bekanntes Muster in Sachsen. Auch das rechtsextremistische NSU-Trio, das mit seiner Mordserie die gesamte Republik erschütterte, wurde lange als ein Phänomen betrachtet, das mit dem Freistaat eigentlich nichts zu tun hat. Dabei offenbarte der braune Untergrund die Schwachstellen beim systematischen Blick der sächsischen Behörden auf die Gefahr am rechten Rand.
Auch in Freital lassen sich die Taten kaum nachvollziehen, wenn man nicht auf die aufgeheizte Stimmung schaut, die 2015 in der Stadt herrschte. Vor drei Jahren protestierten in Freital 1500 Menschen erstmals gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in der Stadt. Die Proteste waren von Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft geprägt. Hier lernten sich die Angeklagten kennen. Die Stadt kam wochenlang nicht zur Ruhe. Diskussionsveranstaltung wurde wegen Sicherheitsbedenken abgesagt. Freital wurde bundesweit als Ort der Feindseligkeit bekannt.
Patrick F., Timo S., Philipp W., Justin S., Rico K., Mike S., Sebastian W. und Maria K. wollten Flüchtlinge vertreiben und deren Unterstützer einschüchtern und griffen schließlich zu Gewalt ( mehr zu den Angeklagten). Ein Anschlag auf das Auto des Linken-Politiker Michael Richter markierte den Beginn einer ganzen Anschlagsserie, die Freital 2015 erschütterte ( eine Chronologie).
Timo S. und Patrick F. übernahmen in der Gruppe die Rolle der Anführer, das zeigte unter anderem die Auswertung der Chatnachrichten, die sich die Gruppenmitglieder schrieben. S. war derjenige, der die anderen immer wieder zu neuen Taten anstachelte. F. experimentierte mit in Tschechien illegal gekauften Böllern. Die von ihm vorbereiteten Sprengsätze wurden immer ausgefeilter. Mit selbstgebastelten Zündschnuren wollte er sich und seine Komplizen schützen.
Den möglichen Tod von anderen nahmen sie in Kauf. Ende Oktober zündeten sie Sprengsätze vor dem Fenster einer Flüchtlingsunterkunft. Ein Syrer wurde dabei von herumfliegenden Scherben am Auge verletzt - es hätte weitaus schlimmer kommen können.
Wenige Tage nach dem Anschlag wurden die ersten Mitglieder der Gruppe verhaftet. Zunächst sollten deren Taten einzeln vor dem Amtsgericht in Dresden verhandelt werden. Die sächsische Justiz sah keine Hinweise auf politische Motive und wollte schon gar nicht von rechtsextremem Terror sprechen. Schließlich intervenierte der Generalbundesanwalt und zog das Verfahren an sich. Für Sachsens ersten Terrorprozess musste ein komplett neuer Gerichtsaal gebaut werden, damit neben der Strafkammer die acht Angeklagten, deren Anwälte sowie die Nebenklage Platz fanden.
Im Prozess vor dem Oberlandesgericht wurde die fremdenfeindliche und menschenverachtende Gesinnung der Angeklagten sichtbar. In Chatnachrichten bezeichneten sie Geflüchtete als "Kanacken", deren Unterstützer als "Parasiten". Der Angeklagte Philipp W. äußerte in den Nachrichten immer wieder Tötungsfantasien.
Auch die Stimmung, die immer noch in Freital herrscht, war im Gerichtsaal zu spüren. Etwa, als der Nachbar des Linken-Politikers Michael Richter aussagte, Richter sei selbst schuld, wenn er Flüchtlingen helfe. Richter wiederum sagte unter Tränen vor Gericht aus. Auf ihn war ein weiterer Anschlag geplant - diesmal sollte er im Auto sitzen. Der 42-Jährige hat Freital mittlerweile verlassen und lebt in Bayern ( ein Porträt).
Einzelne Anwälte der Angeklagten griffen immer wieder die Generalbundesanwaltschaft an, warfen ihr vor, an den sieben Männern und einer Frau ein Exempel statuieren zu wollen. Einer der Verteidiger verglich die Dresdner Richter mit den DDR-Richtern, die kurz vor der Wende noch Unrechtsurteile gefällt hatten und dann selbst vor Gericht standen. In ihren Plädoyers widersprachen sich die Anwälte in der Bewertung der Gruppe. Die einen sahen in den Angeklagten zumindest eine kriminelle Vereinigung, andere erklärten, es handle sich überhaupt nicht um die Taten einer ganzen Gruppe.
Über ihre Motive ließen die Angeklagten das Gericht bis zuletzt im Dunkeln.