Frankreichs Sozialist Hollande stellt Wahlprogramm vor:Gleichheit, Gerechtigkeit, höhere Steuern

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François Hollande nimmt in seinem Wahlprogramm Reiche und Banken aufs Korn. Damit gewinnt der Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten an Profil - und Zustimmung.

Stefan Ulrich, Paris

François Hollande ist der Umfragefavorit für die französische Präsidentschaftswahl im Frühjahr. Doch bislang hatte er zwei Probleme: sein Image und sein Programm. Das erste löste er am Sonntag. Bei einer Massenveranstaltung in Le Bourget bei Paris trat der 56 Jahre alte Sozialist so schwungvoll, ja charismatisch auf, dass die Zweifel an seinem angeblich schwammigen Charakter verstummten.

Umfragefavorit für die Präsidentschaftswahl in Frankreich: Der Sozialist François Hollande während einer Rede in Paris. (Foto: Reuters)

Das zweite Problem packte Hollande am Donnerstag an. Er präsentierte im "Maison des Métallos", einem mythenreichen früheren Gewerkschaftsbau, sein Wahlprogramm. "60 Engagements für Frankreich", nennt er es und verspricht: "Ich werde alles erfüllen."

Die Lage des Herausforderers von Nicolas Sarkozy ist einfach und schwierig zugleich. Sarkozy ist so unbeliebt wie selten ein französischer Staatschef zuvor, und die Wirtschaftslage im Land ist deprimierend. Das nährt den Wunsch nach dem Wechsel und treibt den Sozialisten Wähler zu. Zugleich ist die Situation so ernst, dass Hollande keinen klassisch linken Verteilungswahlkampf mit wohlfeilen Versprechen einer rosaroten Zukunft führen kann. Die Franzosen würden ihm nicht glauben. Der Kandidat muss also die richtige Mixtur aus Hoffnung und Realismus verkörpern. Mit seinen 60 Punkten versucht er das nun.

Der Sozialist will - Barack Obama lässt grüßen - vor allem eine gerechtere Gesellschaft schaffen, indem er das Steuersystem umkrempelt, die Reichen stärker belastet, Normalverdiener entlastet und den Armen mehr hilft. "Es ist nicht einzusehen, dass ein Arbeiter mehr Steuern auf seinen Lohn zahlt, als ein Pensionär auf hohe Einkünfte aus seinem Vermögen", sagt er.

Auch die Finanzwelt will er härter anpacken. Sie - und nicht Sarkozy - sei sein Hauptgegner. Bislang sei es nicht gelungen, die Märkte zu zähmen. Der Kandidat möchte Anlagebanken von Investmentbanken trennen, die Kreditinstitute von Steueroasen fernhalten, Boni-Zahlungen regulieren und eine europäische Rating-Agentur schaffen. Viel Unterstützung sollen die kleinen und mittleren Unternehmen bekommen, der an Deutschland so bewunderte Mittelstand. Zudem soll eine öffentliche Investitionsbank die Wirtschaft ankurbeln.

Hollandes Appell lautet: In Frankreich müssen wieder égalité (Gleichheit) und justice (Gerechtigkeit) herrschen. Sarkozy wirft er vor, nur die Reichen begünstigt und die Jugend vernachlässigt zu haben. Der Kandidat will daher 60.000 Stellen in den Schulen schaffen und 150.000 Jobs für Berufsanfänger finanzieren. Polizei und Justiz sollen mehr Personal erhalten. "Wir müssen so handeln, dass die Franzosen wieder an die Zukunft glauben."

Hollande, der im Oktober zum Präsidentschaftskandidaten der Sozialisten gewählt worden war, hielt sich danach lange zurück. Er nutzte diese Zeit offenbar, um an seinem Auftreten zu arbeiten. Der flackernde Blick und die manchmal erratische Redeweise sind verschwunden. Die Franzosen erleben Hollande nun souverän. Er redet rhythmisch, setzt gekonnt die Pausen. Das Dekor ist gut gewählt. Der Kandidat spricht im dunklen Anzug vor einem tiefblauen Hintergrund, auf dem die Worte prangen: "Der Wandel erfolgt jetzt." Neben dem Rednerpult stehen Trikolore und Europaflagge. Staatsmännischer geht es kaum.

Während Hollande im Maison des Métallos sein Projekt erläutert, hat sich im Élysée-Palast die cellule riposte versammelt, Sarkozys "Gegenschlag-Einheit". Seine Berater, Vertrauten und politischen Scharfschützen - in Paris "Sniper" genannt - beraten, wie sie Hollande die Lufthoheit entreißen können. Den ganzen Tag lang versuchen sie dann, das Programm der Sozialisten zu zerpflücken. Die Vorschläge seien teils alt, teils unpräzise und jedenfalls nicht zu finanzieren, kritisieren sie. Hollande imitiere den früheren Präsidenten François Mitterrand, der Frankreich ruiniert habe.

Sarkozy spürt die Gefahr

Der Kandidat hat solche Attacken vorhergesehen und bemüht sich, sie schon vorab zu kontern. Wie ein seriöser Rechnungsprüfer listet er die Kosten seines Programms auf - 20 Milliarden Euro bis 2017. Sie würden "vollständig gegenfinanziert", durch Einsparungen und vor allem durch das Streichen von Steuervorteilen. Zudem geht der Kandidat von optimistischen Konjunkturprognosen aus. Von 2013 an plant er ein Wirtschaftswachstum von zwei bis drei Prozent ein. Sein Ziel: 2017 soll es in Frankreich - erstmals seit 1974 - keine Neuverschuldung mehr geben.

Die Bundesregierung wird das gern vernehmen. Andere Punkte dürften in Berlin dagegen kühl aufgenommen werden. Der Sozialist möchte das im Dezember in Brüssel verhandelte Euro-Rettungspaket neu verhandeln. Er fordert gemeinsame europäische Staatsanleihen und eine ausgabenfreudigere Politik der Europäischen Zentralbank, alles Dinge, die Angela Merkel derzeit ablehnt. Den Élysée-Vertrag aus dem Jahr 1963, der die deutsch-französischen Beziehungen regelt, will Hollande durch ein neues Abkommen ersetzen. Auf deutscher Seite ist zu hören, das sei überflüssig.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Europa an einen neuen Mann im Élysée gewöhnen darf, steigt derzeit von Tag zu Tag. Eine Umfrage vom Donnerstag prophezeit, Hollande werde in der Stichwahl gegen Sarkozy mit 60 zu 40 Prozent der Stimmen gewinnen. Kommentatoren bezeichnen diesen Vorsprung als historisch. Sarkozy spürt die Gefahr und mahnt seine Parteifreunde: "Habt Geduld. Ich weiß, die Lage ist schwierig, aber ich bin entschlossener denn je." Am Sonntagabend will der Präsident zur Nation sprechen. Mehr als ein halbes Dutzend Fernsehsender werden seine Rede übertragen. Es könnte eine der letzten großen Gelegenheiten werden, die Franzosen von sich zu überzeugen.

© SZ vom 27.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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