Frankreich:Schwere Proteste gegen Rentenpläne - 457 Menschen festgenommen

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Nach landesweiten Protesten ist die Feuerwehr in Marseille mit Löscharbeiten beschäftigt. (Foto: Imago/Gilles Bader / Le Pictorium/Imago/Le Pictorium)

Die Polizei schätzt, dass noch nie zuvor so viele Menschen gegen das Vorhaben des französischen Präsidenten demonstriert haben. In der Nacht kam es am Rathaus von Bordeaux zu einem Brand. Das Innenministerium meldet 440 verletzte Polizisten.

In Frankreich haben sich die Streiks und Proteste gegen die Rentenreform zugespitzt. Gegner der Reform blockierten am Donnerstag einzelne Bahnhöfe, Straßen und auch einen Teil des Pariser Charles-de-Gaulle-Flughafens. Die Stimmung bei Protesten in Bordeaux, Nantes und Rennes war demnach aufgeheizt. Im südfranzösischen Bordeaux war ein Feuer am Eingangsbereich des Rathauses entfacht worden.In Paris setzte die Polizei bereits am Nachmittag Tränengas ein. Innenminister Gérald Darmanin sprach am Freitagmorgen im Sender CNews von 440 verletzten Einsatzkräften und 457 Festnahmen.

Im Zentrum von Paris kam es bei einer anfänglich friedlichen Kundgebung zu Zusammenstößen, nachdem Einsatzkräfte von kleinen "Schwarzer Block"-Gruppen mit Wurfgeschossen angegriffen und Müllcontainer in Brand gesetzt wurden. Eine Filiale der Schnellimbiss-Kette McDonald's wurde geplündert, Schaufensterscheiben wurden eingeworfen, Bänke demoliert. Nach Angaben der Gewerkschaft CGT beteiligten sich allein in der Hauptstadt rund 800 000 Menschen an den Protesten. Die Polizei schätzte, landesweit könnten sich so viele Menschen wie nie zuvor in die Demonstrationszüge eingereiht haben.

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Die Proteste richten sich gegen die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre und das Vorgehen der Mitte-Regierung unter Präsident Emmanuel Macron. 12 000 Polizisten und Gendarmen waren im Einsatz. Die Behörden sprachen von landesweit knapp 1,09 Millionen Demonstrantinnen und Demonstranten. Laut der Gewerkschaft CGT beteiligten sich 3,5 Millionen Menschen. Für Dienstag haben die Gewerkschaften zu neuen landesweiten Streiks und Protesten aufgerufen. Der britische König Charles III. soll dann zu Besuch in Frankreich sein.

Die Streik- und Protesttage waren wochenlang überwiegend friedlich verlaufen. In den vergangenen Tagen kam es bei spontanen Demonstrationen immer öfter zu Gewalt. "Wir wollen nichtgewaltvolle Aktionen, die Güter und Menschen respektieren", forderte Laurent Berger vom Gewerkschaftsbund CFDT.

"Sie hören nicht mehr auf das Volk"

Die Mitte-Regierung will mit der Reform eine drohende Lücke in der Rentenkasse schließen. Vor einer Woche verschärfte sich der Streit, weil sie den Text ohne Abstimmung durch die Nationalversammlung drückte. Am Montagabend scheiterten zwei Misstrauensanträge gegen die Regierung. Die Reform ist damit verabschiedet. Sie liegt zur Prüfung beim Verfassungsrat. Wann dieser entscheidet, ist noch unklar. Macron will, dass die Reform bis zum Jahresende in Kraft tritt. "Ich streike, weil ich gegen die Rentenreform protestiere, aber auch gegen das, was in der Regierung passiert", sagte Lucile Bidet, Angestellte bei Air France, auf einer Demonstration in Nantes im Westen Frankreichs. "Sie hören nicht mehr auf das Volk."

Ein Protestzug in Paris (Foto: Thomas Padilla/AP)

Derzeit liegt das Renteneintrittsalter in Frankreich bei 62 Jahren. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt später: Wer für eine volle Rente nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Rente ohne Abschlag - dies will die Regierung beibehalten, auch wenn die Zahl der nötigen Einzahljahre für eine volle Rente schneller steigen soll. Die monatliche Mindestrente will sie auf etwa 1200 Euro hochsetzen.

Macron hatte die umstrittene Reform noch am Vortag in einem Fernsehinterview verteidigt. "Wir verlangen von den Menschen eine Anstrengung. Das ist nie beliebt." Er fragte: "Denken Sie, es macht mir Spaß, diese Reform zu machen?" und antwortete: "Nein." Aber: "Zwischen den Umfragen und der Kurzfristigkeit und dem allgemeinen Interesse des Landes entscheide ich mich für das allgemeine Interesse des Landes." Für seinen Auftritt erntete Macron harsche Kritik von der Opposition und den Gewerkschaften.

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