Frankreich:Damit es in den Banlieues nicht mehr brennt

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Auch die Bewohner der Banlieues waren schockiert: Die jungen Menschen zerstörten ihre eigene Lebenswelt, als sie nach dem Tod eines 17-Jährigen durch Polizeigewalt randalierten. (Foto: Bertrand Guay/AFP)

Nach den Aufständen der Jugend im Sommer legt die französische Regierung einen Plan vor, wie der Staat die "Quartiers" aus der Ghettoisierung befreien will - mit neuer Härte und neuer Hilfe.

Von Oliver Meiler, Paris

Frankreich und seine Banlieues: Seit vielen Jahren beobachtet man eine schleichende Entfremdung der Welten innerhalb und außerhalb der Ringstraßen. Emmanuel Macron sprach einmal von einer "Ghettoisierung" der Vorstädte, die es aufzubrechen gelte. Das ist drei Jahre her. Man kann dem Präsidenten also nicht vorwerfen, er verkenne die Problematik. Die Maßnahmenpakete sind auch schon lange ausformuliert, er hat sie neulich in Marseille öffentlich skizziert - am vergangenen 26. Juni, ausgerechnet.

Am Tag darauf ist in Nanterre, einer Pariser Banlieue, ein 17-jähriger Junge von einem Polizisten getötet worden: bei einer Verkehrskontrolle, mit einem Schuss in die Brust. Nahel, so hieß der junge Mann, hatte keinen Führerschein, und er ignorierte die Aufforderung der Beamten, auszusteigen. Dann brach wieder alles auf: der Zorn auf die oftmals brutale Polizei, der Frust der Jugend über die Lebensbedingungen und den Mangel an Perspektiven.

Es folgten zehn Tage Chaos, nicht nur in den Vorstädten - diesmal traf es auch Orte, in denen es gar keine sogenannten "schwierigen Banlieues" gibt. Vor allem sehr junge Menschen, zumeist Minderjährige, gingen auf die Straße, plünderten Läden, zündeten Schulen, Rathäuser, Bibliotheken an.

Notfalls soll die Armee den Jugendlichen Disziplin beibringen

Auch die Bewohner der Banlieues waren schockiert: Die Jugend zerstörte ihre eigene Lebenswelt. Die Stimmung kippte schnell. Vielleicht brachten die Behörden den Aufstand auch deshalb rasch unter Kontrolle. 1800 Personen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Der Sachschaden war so enorm, dass manche Schulen mit den Reparaturen noch nicht fertig waren, als im September der Unterricht wieder begann.

Eigentlich hatte Macron nach den Ereignissen von Nanterre versprochen, er würde sich bald äußern. Doch das überließ er nun seiner Premierministerin. Élisabeth Borne hat die Präsentation der Maßnahmen auf zwei Tage verteilt, weil sie thematisch nicht so gut in einen einzigen Auftritt gepasst hätten. An der Pariser Universität Sorbonne stellte sie zusammen mit dem Justiz- und dem Innenminister zuerst die Pläne vor, wie man die Autorität wieder herzustellen gedenkt, und zwar auf allen Ebenen, der staatlichen und der familiären. In Chanteloup-les-Vignes, einer Kleinstadt in den Yvelines, ging es Borne dann darum, die Jugend bei der Hand zu nehmen, ihr ein besseres Leben in Aussicht zu stellen.

Eltern haften für ihre Kinder - auch das beinhaltet der Plan, den Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne nun vorgestellt hat. (Foto: Bertrand Guay/AFP)

Für Ordnung soll nun auch ein neue Einheit sorgen: Zur "Force d'action républicaine", kurz FAR, werden nicht nur Polizisten und Gendarmen angehören, sondern auch Sozialarbeiter und Lehrer. Erste Erfahrungen will man in den Städten Maubeuge, Valence und Besançon gewinnen. Der Staat plant auch, das Strafgesetz so zu revidieren, dass Minderjährige, die sich Vergehen zulasten kommen lassen und sich den Arbeiten für die Allgemeinheit widersetzen, härter bestraft werden. Notfalls sollen sie in Internate und Erziehungsanstalten kommen, oder zur Armee. Die Idee, ihnen im militärischen Rahmen Disziplin beizubringen, ist nicht neu, erste Tests sind schon durchgeführt worden. Frankreich hat die Wehrpflicht vor mehr als zwanzig Jahren abgeschafft.

Wer in Zukunft Ausgangssperren missachtet, wie sie der Staat während Aufständen regelmäßig verhängt, dem drohen Geldstrafen bis 750 Euro. Bisher betrug sie 150 Euro. Eine Alternativstrafe: kein Zugang zu den sozialen Medien, bis zu sechs Monaten.

Ein ganzes Paket von Maßnahmen betrifft die Eltern von straffälligen Jugendlichen, die ihren elterlichen Pflichten nicht nachkommen. In gewissen Fällen sollen sie für den Sachschaden bezahlen müssen, den ihre Kinder angerichtet haben. Viele dieser Kinder wachsen mit nur einem Elternteil auf, meistens mit der Mutter. Die Regierung verspricht, dass nun auch die abwesenden Väter zur Rechenschaft gezogen würde - so man sie denn findet.

"Der Mix ist eine Chance, er ist notwendig", sagt die Premierministerin

Bei ihrem Auftritt in Chanteloup-les-Vignes ging es der Premierministerin dann mehr darum, wo die Republik ihren republikanischen Pflichten nicht nachgekommen ist. "Man kann nicht alle Schwierigkeiten an einem Ort konzentrieren", sagte Borne. "Der Mix ist eine Chance, er ist notwendig."

Sie meinte damit soziale und ethnische Diversität. Daran fehlt es in den 1500 Quartiers mit ihren rund fünf Millionen Bewohnern, darum sind die Banlieues zu Ghettos geworden. Die französischen Präfekten haben bisher Menschen, die fürs Wohnen Hilfe vom Staat brauchen, immer dort untergebracht, wo bereits Menschen in prekären Verhältnissen lebten. Oft schauten sie auch darauf, dass Bedürftige mit derselben Herkunft an denselben Orten unterkamen, 25 000 Familien im Jahr. Das soll sich ändern, nun sollen die Sozialsiedlungen bewusst durchmischt werden.

Damit Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen nicht rumhängen, werden die Gymnasien ab kommendem Schuljahr länger offen sein, von acht bis 18 Uhr. Und mit 456 Millionen Euro unterstützt die Regierung vier Jahre lang Start-ups in den Banlieues. Oft werden junge Arbeitssuchende mit geografisch leicht verortbaren Namen und Wohnadressen diskriminiert, auch dem will man wieder einmal in einer großen Teststudie nachgehen. Die Bemühungen sind ein Anfang, ein erster kleiner Schritt, um die zwei Welten dies- und jenseits der Ringstraßen einander etwas näher zu bringen.

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