Fluthilfen:Warum das Geld nicht fließt

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Aufräumarbeiten im Ahrtal 2021. Der Wiederaufbau geht langsam voran, obwohl etliche Milliarden Euro zur Verfügung stehen. (Foto: Christoph Hardt/Imago)

Bund und Länder haben den Betroffenen der Jahrhundertflut 2021 die Rekordsumme von 30 Milliarden Euro zugesagt. Doch bislang ist erst ein Bruchteil angekommen.

Von Sophie Kobel, Berlin

Es ist das größte Hilfspaket, das in Deutschland nach einer Flut je beschlossen wurde: 30 Milliarden Euro versprach die Politik nach der Jahrhundertflut im Juli des vergangenen Jahres bereitzustellen, zwei Milliarden vom Bund für bestimmte Infrastruktur, 28 Milliarden je zur Hälfte von Bund und Ländern - wobei der Bund das Geld erst einmal vorstreckt. Die beiden am meisten geschädigten Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sollten nicht alleingelassen werden. Und auch für Sachsen und Bayern wurden Gelder bereitgestellt, für sie stehen aufgrund der verhältnismäßig geringen Schäden knapp 1,5 Prozent der Summe zur Verfügung.

Ein Jahr später ist die Bilanz allerdings ernüchternd: Ausgezahlt wurde von den 30 Milliarden nur ein kleiner Teil. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung flossen davon bisher nur insgesamt 1,17 Milliarden Euro an die vier betroffenen Bundesländer. Das geht aus einer Auflistung des Innenministeriums auf Anfrage der Linken-Fraktion hervor. So wurden beispielsweise aus dem Topf, der den vom Hochwasser betroffenen Privathaushalten und Wohnungsunternehmen wieder auf die Beine helfen soll, bisher nur knapp 410 Millionen Euro ausgezahlt. Für betroffene Selbständige, Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und Angehörige freier Berufe wurden bisher etwa 150 Millionen Euro vom Bund an die Länder ausgezahlt.

Auf einige der Fördergeld-Töpfe wurde noch gar nicht zugegriffen - in der Tabelle steht hinter den Auszahlungen immer wieder eine Null. Zum Beispiel beim Geld, mit dem Schäden an kulturellen Einrichtungen und Kulturdenkmälern behoben und Archive gerettet werden sollen. "Zwischen den zur Verfügung stehenden Milliarden und den bislang geflossenen Hilfen klafft ein kaum entschuldbares Missverhältnis", sagt dazu der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch. Er meint, die Behäbigkeit des Wiederaufbaus zerstöre das Vertrauen der Betroffenen in die Politik.

Der Bundesregierung fehlen selbst Informationen

Die Bundesregierung signalisiert, dass ihr selbst Informationen über den Einsatz des Geldes fehlen. Es wurden die Rahmenbedingungen geschaffen, aber die konkrete Umsetzung obliege den Ländern , heißt es aus dem Innenministerium. Wie viel von diesen abgerufenen Mitteln aus dem Sondervermögen "Aufbauhilfe 2021" bei den Betroffenen angekommen ist, ist hier nicht bekannt. Man habe auch "keine Kenntnisse darüber, wie viel kommunale und Landes-Infrastruktur bereits wiederhergestellt wurde".

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Was also sagen die Länder? Ein wichtiger Grund für den schleppenden Geldfluss vom Bund an die Länder ist Letzteren zufolge die Vorauszahlung: Die Landesregierungen geben erst Geld aus und holen es sich dann nachträglich vom Bund zurück - es wird also nicht gleich von den 30 Milliarden abgezogen. Nordrhein-Westfalen etwa hat Anspruch auf ungefähr ein Drittel des Hilfspakets, und insgesamt stehen dem bevölkerungsreichsten Bundesland 12,3 Milliarden Euro Hilfsgelder zur Verfügung. Davon befanden sich dem Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung in Düsseldorf zufolge Ende Juli insgesamt etwa 1,6 Milliarden Euro Aufbauhilfe in der Auszahlung. Von der verfügbaren Summe ist man in NRW also weit entfernt.

Und auch wenn Geld sich in Auszahlung befindet, bedeutet das noch nicht, dass es auch auf den Konten der Antragssteller eingegangen ist. Lange war es für viele Betroffene zu kompliziert, Hilfe zu beantragen. Das zuständige NRW-Bauministerium besserte nach - zum Jahrestag der Flut verkündete die zuständige Ministerin Ina Scharrenbach (CDU), nun "läuft es rund". Und nach erfolgreicher Prüfung eines Antrags dauere es im Schnitt in NRW nur noch etwa neun Tage, bis das Geld überwiesen sei.

Der Wiederaufbau befindet sich häufig immer noch in der Planungsphase

Unübersichtlich wird es jedoch auch, wenn es um den Wiederaufbau von Schulen, Kindergärten und anderen kommunalen Baumaßnahmen geht. Hier befindet sich vieles noch in der Planungsphase. "Ein Großteil hat noch nicht begonnen", sagt ein Pressesprecher des Innenministeriums von Rheinland-Pfalz. Jeder Landkreis müsse seinen eigenen Maßnahmenplan erstellen - das dauere. Ausgezahlt würden Gelder meist erst, wenn ein Nachweis für Baumaterial vorliege. Der größte Teil der Baumaßnahmen stehe dem Bundesland deshalb noch bevor. 15 Milliarden sind vom Bund für Rheinland-Pfalz vorgesehen, ausgegeben hat das Land insgesamt erst rund eine Milliarde. Das spiegelt sich auch in der Lage wider, die aktuelle Bilder des Ahrtals zeigen. Dort herrscht vielerorts noch immer Ausnahmezustand.

Doch der Wiederaufbau könnte an vielen Orten auch gar nicht schneller vorangetrieben werden - unabhängig von der Bürokratie. Die aktuelle Lage in der Bauwirtschaft, das berichten die Ministerien der betroffenen Länder, hemme den Fortschritt: Der Angriff auf die Ukraine führe zu immer mehr Material- und Lieferengpässen. Darüber hinaus sind Handwerksbetriebe in der Region stark ausgelastet. Und auch an anderen Enden mangelt es an Personal. Es komme in Rheinland-Pfalz beispielsweise weiterhin zu Engpässen bei den Gutachtern, die Versicherungsschäden bewerten. In NRW konnte von den 280 zusätzlichen Stellen in der Verwaltung, die das Land extra für die Wiederaufbauhilfe geschaffen hatte, nur etwa ein Viertel besetzt werden.

Für die Opfer der Flut - 65 000 Betroffene in Rheinland-Pfalz, 180 betroffene Städte und Gemeinden in NRW - sind das zusätzliche Hürden. Und die Länder haben zwar Infopoints, Bürgerversammlungen und mobile Teams organisiert, die den Betroffenen dabei helfen sollen, an die Gelder zu gelangen. Doch viele, das lässt sich etwa in den Beratungsstellen der Verbraucherzentrale NRW beobachten, sind frustriert und enttäuscht. Und wie viele Privatpersonen, Unternehmer und Selbständige insgesamt Probleme mit dem Ausfüllen der Anträge haben oder ihre Möglichkeiten gar nicht wahrnehmen, ist kaum nachzuvollziehen.

Konkrete neue Zahlen gibt es allerdings zum Zustand der durch die Fluten zerstörten Straßen und Schienen. In Nordrhein-Westfalen wurden demnach 42 Kilometer Bundesstraßen repariert. In Rheinland-Pfalz waren nach der Flut 40 Kilometer Bundesstraße gesperrt, derzeit sind es nur noch etwa 600 Meter. Und auch bei den Zugstrecken sieht es gut aus: Nach Auskunft der Deutschen Bahn AG sind mehr als 510 Kilometer Strecke, über 140 Bahnübergänge und Dämme, 50 Verkehrsstationen und 14 Brücken gereinigt, instand gesetzt, erneuert oder komplett neu errichtet worden. Somit fahren auf mehr als 85 Prozent der vom Hochwasser zerstörten Bahnlinien in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz inzwischen wieder Züge.

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