Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen:Das große Versprechen

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Hunderte Millionen Euro an Fluthilfe werden gerade ausgezahlt - Aufräumarbeiten in Bad Münstereifel. (Foto: Roberto Pfeil/dpa)

Was Geld in Ordnung bringen könne, werde mit Geld in Ordnung gebracht. Das sicherten Politiker aus Bund und Land nach der Flutkatastrophe im Sommer zu. Und wie sieht es wirklich aus?

Von Jana Stegemann

Als das schmutzige Wasser in ihre Straße strömt, als es Autos wie Spielzeuge mitreißt, als es ihren Keller füllt bis zur Decke, als es die Haustür eindrückt und das Erdgeschoss flutet - da blickt die Familie Hahn von einer kroatischen Insel aus auf klares, blaues Wasser. Mehr als 1200 Kilometer von ihrem Haus in Eschweiler bei Aachen entfernt, sind René und Sylwia Hahn mit ihren vier Kindern im Sommerurlaub: Es ist der 15. Juli 2021. Der Tag, als die Jahrtausendflut immensen Schaden in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen anrichtete. Mehr als 180 Menschen starben, die Schäden gehen in die Milliarden.

Die Familie fährt zurück, räumt tagelang ihr Haus in Eschweiler aus. "Wir hatten fantastische Hilfe von Familie, Freunden, Nachbarn, dem örtlichen Karnevalsverein, Fremden, meinen Schülern", sagt René Hahn, er ist Lehrer. Das Wasser war abgeflossen, aber zurück blieb ekelhaft stinkender Schlamm. Keller, Erdgeschoss und Garten sind zerstört; Strom, Wasser, Internet gibt es nicht mehr.

Gibt es überhaupt so etwas wie unbürokratische Hilfen?

Die Soforthilfe vom Land NRW, ein paar tausend Euro, kommt schnell. Aber sie brauchen dringend mehr Geld für den Wiederaufbau. Der erste Gutachter schätzt 85 000 Euro Schaden am Gebäude, 45 000 Euro für den Hausrat. Der zweite Gutachter sieht 125 000 Euro Schaden allein am Gebäude. Die Sparkasse gibt 50 000 Euro-Dispo und 65 000 Euro Kredit. Geld ist neben fehlenden Handwerkern das Hauptproblem. Und die Hahns sind damit nicht allein. Vielen geht das Geld aus, weil die Auszahlung der Wiederaufbauhilfe dauert.

Dabei sollte es nach dieser Katastrophe alles anders sein. Einen Monat nach der Flut hatten Armin Laschet, damals noch NRW-Ministerpräsident und Unions-Kanzlerkandidat, und Olaf Scholz, damals Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat, ein milliardenschweres Versprechen gegeben. Sieben Kilometer von den Hahns entfernt, in Stolberg, kündigten die beiden Politiker ein gigantisches Hilfspaket an: 30 Milliarden Euro für den Wiederaufbau in den Flutgebieten. Scholz versprach: "Das, was man mit Geld in Ordnung bringen kann, das werden wir mit Geld in Ordnung bringen." Und wie ist es wirklich gekommen?

Zum Zeitpunkt, als die beiden ihr Versprechen machten, waren in NRW immerhin schon 215 Millionen Euro an Soforthilfe ausgezahlt worden. Die Anträge für die Wiederaufbauhilfe konnten in NRW dann ab dem 14. September 2021 gestellt werden. Viele Politiker versprachen, wie es so schön heißt, "unbürokratische Hilfen". Doch kann es die überhaupt geben, wenn es um Steuergeld geht?

Das Kommunalministerium von Ina Scharrenbach (CDU) organisiert die Wiederaufbauhilfen für Privatpersonen in den Flutgebieten. Das Antragsverfahren läuft komplett digital ab; mittels einer zugewiesenen Pin können Antragssteller jederzeit auf ihre Anträge zugreifen. René Hahn stellt seinen Antrag am 17. September 2021, ruft oft bei der Hotline an, wenn seine Anträge mal wieder zurückkommen. "Die Leute da sind super", sagt er, doch auf individuelle Anträge können sie nicht zugreifen, nur beraten.

Für die Bewilligung der Anträge sind die jeweiligen Bezirksregierungen zuständig, in Hahns Fall die Bezirksregierung in Münster. "Da habe ich wochenlang niemanden erreicht." René Hahn wendet sich an den SPD-Landtagsabgeordneten in Eschweiler, Stefan Kämmerling. Der ist unter anderem Fraktionssprecher im Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags zur Flutkatastrophe, bei ihm im Büro melden sich häufig Menschen, die an den Anträgen verzweifeln. Kämmerlings Mitarbeiter schreibt Mails.

Das hilft offenbar. Kurz danach wird plötzlich die Auszahlung eines Teilbetrags bewilligt, Hahn bekommt 54 000 Euro überwiesen. Der Rest verzögert sich, vor Kurzem bekommt Hahn seinen Antrag wieder zurückgeschickt. Er soll alle neu gekauften Werkzeuge aus den Rechnungen auflisten. Die seien nicht förderfähig. Sie müssten abgezogen werden.

Wie viel Geld ist bis heute, zehn Monate nach dem Hochwasser, tatsächlich bei den Betroffenen in den NRW-Flutgebieten angekommen? Bis vergangenen Montag sind nach Auskunft des Bauministeriums in NRW 16 877 Anträge auf Wiederaufbauhilfe gestellt worden, 97,3 Prozent dieser Anträge seien geprüft oder bewilligt worden. Bewilligt heißt, das Geld kommt bald. Etwa 441,5 Millionen Euro befänden sich derzeit in der Auszahlung, so das Ministerium weiter. CDU-Bauministerium Ina Scharrenbach war in den vergangenen Monaten immer wieder für die zu bürokratische und schleppende Auszahlung von Fluthilfen an Privatpersonen kritisiert worden. Mitte April schrieb ihr Ministerium wohl auch deshalb 21 000 Flutopfer an, um die Betroffenen über Neuerungen bei der Antragsstellung zu informieren.

Die Flut hat einige politische Opfer in NRW gefordert, angefangen mit Armin Laschet

Die Flut hat schon einige politische Opfer gefordert. Nordrhein-Westfalens früherer Ministerpräsident Armin Laschet erholte sich nicht mehr von einem fatalen Lacher bei einem Besuch im Hochwassergebiet; das Foto ging um die Welt. Er übergab sein Regierungsamt nach der verlorenen Bundestagswahl vor knapp 200 Tagen an Hendrik Wüst. Seit Monaten wird im NRW-Landtag die Katastrophe in einem Untersuchungsausschuss aufgearbeitet. Erst kam heraus, dass das zuständige Landesumweltamt unmittelbar vor der Katastrophe über keine Hochwasser-Vorhersagen verfügte und seit Längerem unter Personalmangel litt. Der einzige Hydrologe, der ein Vorhersage-Modell bedienen konnte, war vor dem Juli-Hochwasser im Urlaub. Zurücktreten musste Umweltministerin Ursula Heinen-Esser deshalb aber nicht. Das geschah erst, nachdem herausgekommen war, dass die CDU-Politikerin neun Tage auf Mallorca geurlaubt und gefeiert hatte - kurz nach der Flut.

Nun ist es im NRW-Wahlkampf still geworden um die Flut und ihre Folgen. Nur beim Haustürwahlkampf in den Flutgebieten schlägt den Kandidaten aller Parteien noch immer Trauer und Frust entgegen. Doch immerhin: Inzwischen wird das angekündigte Geld ausgezahlt. Fünf Tage vor der Landtagswahl meldet sich René Hahn. Sein Antrag wurde endlich bewilligt, die ausstehenden 65 000 Euro sollen in zwei Wochen auf seinem Konto sein.

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Text: Christian Wernicke; Design: Lea Gardner

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