Flüchtlingspolitik:Kein Abschiebestopp mehr für Afghanen

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Abschiebeflug nach Afghanistan: Eine Gruppe junger Männer ist in Kabul angekommen. (Foto: picture alliance / Mohammad Jawa)
  • Nach dem neuen Bericht zur Lage in Afghanistan sieht die Bundesregierung keinen Grund mehr für Einschränkungen bei Abschiebungen in das Land.
  • Derzeit dürfen nur Straftäter, terroristische Gefährder sowie abgelehnte Asylbewerber, die sich hartnäckig einer Identitätsfeststellung verweigern, abgeschoben werden.
  • Die Opposition kritisiert Merkels Ankündigung heftig. Grünen-Chefin Baerbock sagte, es sei "verantwortungslos, nach Afghanistan abschieben zu wollen".

Von Robert Roßmann, Berlin

Die Bundesregierung will den weitreichenden Abschiebestopp für abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan beenden. "Aus unserer Sicht sind die Einschränkungen entfallen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch im Bundestag. Der neue Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die Situation in dem Land zeige, dass die bisherigen Beschränkungen für die Rückführung nicht mehr gelten müssten.

Derzeit dürfen lediglich Straftäter, terroristische Gefährder sowie abgelehnte Asylbewerber, die sich hartnäckig einer Identitätsfeststellung verweigern, abgeschoben werden. Diesen weitgehenden Abschiebestopp hatte die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Ländern nach einem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul im Mai 2017 vereinbart, bei dem mehr als 150 Menschen getötet wurden.

Merkel sagte, der neue Lagebericht zeichne "qualitativ ein ähnliches Bild" wie ein Bericht aus der Zeit vor dem Anschlag, nach dem man Abschiebungen für möglich gehalten habe. Auch die Arbeitsfähigkeit der Botschaft in Kabul habe sich inzwischen wieder verbessert. Das Kabinett sei deshalb zu dem Schluss gelangt, dass die Beschränkungen für Rückführungen nach Afghanistan "nicht mehr gelten müssen", sagte die Kanzlerin. Innenminister Horst Seehofer (CSU) werde dies seinen Kollegen in den Bundesländern mitteilen, die dann auf dieser Basis die Entscheidungen über Rückführungen treffen könnten. Der neue Lagebericht für Afghanistan sieht zwar eine "volatile Sicherheitslage" in dem Land, aber "keine systematische, staatlich organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung".

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Die Opposition kritisiert Merkels Ankündigung heftig

In der SPD dürfte Merkels Ankündigung für weiteren Unmut über die gemeinsame Regierung sorgen. Im vergangenen Jahr hatte sich ein SPD-Bundesparteitag dafür ausgesprochen, ins Wahlprogramm der Sozialdemokraten den Satz aufzunehmen: "Da die Sicherheitslage in Afghanistan kein sicheres Leben zulässt, werden wir bis auf Weiteres keine Abschiebungen nach Afghanistan durchführen." Die Antragskommission hatte eine weniger konkrete Formulierung vorgeschlagen, sich damit aber nicht durchsetzen können. Die Ankündigung der Kanzlerin widerspricht dem Parteitagsbeschluss diametral. SPD-Vize Ralf Stegner bekräftige am Mittwoch, dass er angesichts der instabilen Lage in Afghanistan "für hektische Änderungen der restriktiven Abschiebepraxis keinen Anlass" sehe.

Grüne und Linke kritisierten den neuen Kurs der Regierung heftig. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte, der Lagebericht zeige, wie desaströs die Situation in Afghanistan sei. Kämpfe und Anschläge seien "grausamer Alltag". Es sei deshalb "verantwortungslos, jetzt wieder nach Afghanistan abschieben zu wollen". Die SPD "als Hausherrin im Auswärtigen Amt müsste es besser wissen und entsprechend handeln". Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, sprach von "einer neuen Eskalationsstufe menschen- und flüchtlingsfeindlicher Politik" der Regierung. Wer nach Afghanistan abschiebe, nehme "Tod und Verletzungen der Betroffenen billigend in Kauf".

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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