Flüchtlinge im Irak:Sie wollen nur zurück

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Flüchtlinge warten an einem Checkpoint in Khazair in Irak auf Einlass in das Flüchtlingslager. (Foto: Getty Images)

Im nordirakischen Erbil trifft deutsche Außenpolitik auf irakische Wirklichkeit. Außenminister Steinmeier begegnet dort verzweifelten Flüchtlingen, die in ihre Dörfer zurückkehren wollen. Doch um die IS-Terrormilizen zu besiegen, braucht die neue irakische Regierung Hilfe - auch von Deutschland.

Von Nico Fried, Erbil

Omar Kunshid ist 34 Jahre alt, Jeside, verheiratet, er hat zwei Kinder. Am 5. August hat seine Familie ihr Dorf nahe Mossul im Nordirak verlassen, weil sie vor einem Angriff der Isis-Milizen gewarnt wurde. "Wir sind einfach abgehauen", erzählt Kunshid. Seine sechsjährige Tochter hört ihm mit großen Augen zu. Sie hat einen verwachsenen rechten Fuß, hinkt beim Gehen. Wie muss die Flucht für sie gewesen sein?

Seit ein paar Tagen leben Omar Kunshi und seine Tochter in einer Flüchtlingsunterkunft der Diakonie im nordirakischen Erbil. Die meisten haben nichts mehr, wenn sie in dieser Unterkunft ankommen, sagt eine Helferin aus Deutschland. 50 Familien leben hier, etwa 300 Personen. 200 weitere Menschen, vor allem Väter, holen an diesem Nachmittag, an dem der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Unterkunft besucht, die eigentlich eine Schule ist, in brütender Hitze Nahrungsmittel zum Überleben: Tee, Salz, Zucker, Linsen, alles von Hilfsgeldern auf lokalen Märkten gekauft.

Omar Kunshid will nur in sein Dorf zurück. Andere Flüchtlinge, die mit Steinmeier reden, sagen das Gleiche. Der Minister sagt, die Lage sei bedrückend, das dürfe kein Dauerzustand sein. Aber versprechen kann er natürlich nichts.

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Das Vertrauen in die muslimischen Nachbarn ist erschüttert, die Angst vor einer unsicheren Zukunft groß: Eine Million Menschen sind vor den Dschihadisten ins irakische Kurdengebiet geströmt, hausen dort in Flüchtlingsunterkünften. Und die Kurden sagen: Wir brauchen mehr Waffen.

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Theorie trifft Wirklichkeit

Hier in Erbil trifft die in Deutschland auch von Steinmeier in den vergangenen Tagen geführte theoretische Diskussion auf die irakische Wirklichkeit. Wenn die Flüchtlinge in ihre Häuser zurückkehren sollen, muss der IS zurückgedrängt werden. In Deutschland debattiert man über Waffenlieferungen, über politische und rechtliche Grenzen, lethale und nicht-lethale militärische Ausrüstung, kurz: über das Wie. Die Betroffenen hier würden antworten: Egal wie.

Aber Politik ist eben anders.

Eine Christin in Erbil. (Foto: dpa)

Sieben Stunden zuvor: Die Transall mit Frank-Walter Steinmeier an Bord nähert sich Bagdad im weiten Bogen. Nur von Südosten her soll die irakische Hauptstadt angeflogen werden. Im Norden stehen die Milizen der IS. Niemand weiß genau, welche Waffen die Dschihadisten haben. Auch bei der Landung gehen die Piloten der Bundeswehr kein Risiko ein. Um 6.30 Uhr Ortszeit hält die Maschine im steilen Sinkflug auf Bagdad zu. Nur schnell runter.

Der deutsche Außenminister trifft in Bagdad seinen Amtskollegen und den Präsidenten. Vor allem aber trifft er - als erster westlicher Politiker - den designierten Ministerpräsidenten Haidar al-Abadi, dessen neue Regierung das Land befrieden soll. Steinmeier will sich ein Bild davon machen, was Deutschland neben humanitärer Hilfe "zur Ausrüstung derer beitragen kann, die sich Isis im Kampf entgegenstellen". Ja, er meint auch Waffen, wenn es sein muss.

Auf der Fahrt ins Zentrum der Hauptstadt von Bagdad wird Steinmeier von Pickups begleitet, auf deren Ladeflächen bewaffnete Polizisten stehen. Die Kolonne muss mehrere Checkpoints passieren. Der Weg von Termin zu Termin führt vorbei an Mauern, Stacheldraht und Wachtposten. Jeder Amtssitz eine Festung.

Im Februar 2009 war Steinmeier schon mal in Bagdad. Damals, so erzählt er, habe er gesagt, dass er, "hoffentlich unter besseren Bedingungen", gerne wiederkommen wolle. Heute sagt er: "Bessere Umstände als damals sind es nicht gerade." Kann man so sehen.

Steinmeier nennt neue Regierung "einen Lichtblick"

Haider al-Abadi wirkt fröhlich, kaum zu glauben bei der Aufgabe, die auf ihn wartet. Dass der als moderat geltende Schiit nun eine neue Regierung bilden kann, nachdem sein Vorgänger Nuri al-Maliki den Weg nach langem Widerstand freigemacht hat, nennt Steinmeier "einen Lichtblick". Al-Abadi soll die Sunniten wieder in die Regierung einbinden und damit deren Unterstützung für die IS beenden. "Mit ihm ist große Hoffnung verknüpft", sagt Steinmeier.

Al-Abadi sagt, die Regierungsbildung sei auf einem gutem Weg. Der Iran und sogar Saudi-Arabien unterstützten ihn, behauptet er. Das wäre eine Sensation, denn die Saudis haben lange dem IS geholfen. Von Waffen ist erst einmal nicht die Rede. Im Gegenteil spricht der designierte Regierungschef davon, den Terrorismus mit wirtschaftlicher Entwicklung bekämpfen zu wollen. Vor allem in den Städten. Die Deutschen hätten da doch besondere Erfahrungen, sagt Al-Abadi, auch wenn die Deutschen nicht ganz verstehen, was er damit meint. Man muss sich noch besser kennenlernen.

Zurück in Erbil: Steinmeier schaut zu, wie die Hilfsgüter vom Lastwagen gehoben und verteilt werden. Manche Flüchtlinge, die in der Stadt vertstreut leben, brauchen auch Matratzen, Kocher, Hygieneartikel. Oft helfen Einheimische, bringen Wasserkanister. "Noch", sagt eine Mitarbeiterin der Diakonie. Denn es werden immer mehr Flüchtlinge und der Druck wächst. Es sind Zehntausende, Hunderttausende. Genau weiß das niemand.

Steinmeier trifft Massud Barsani, den Präsidenten der kurdischen Autonomieprovinz. Die Welt stehe jetzt den Kurden bei, sagt Barsani, weil sie Werte wie Demokratie, Freiheit und Vergebung hochhielten. Klingt fast romantisch. Steinmeier lobt die Peschmerga, die kurdischen Kämpfer, weil sie sich den Dschihadisten entgegenstellen. Auch das ist ein bisschen idealisiert, manche Flüchtlinge erzählen, die Peschmerga seien vor dem Ansturm der IS ebenso davongelaufen wie die irakische Armee. "Der Ausrüstungsstand der Peschmerga entspricht nicht immer den Notwendigkeiten, um sich angemessen zur Wehr zu setzen", sagt Steinmeier in der Pressekonferenz mit Barsani. Darüber werde man nun weiter reden. Das Wort Waffenlieferungen hat er im Kopf, aber er nimmt es nicht in den Mund.

Das ist Politik.

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