FDP-Dreikönigstreffen:Lindner fordert von Merkel "Klartext" in Zuwanderungsdebatte

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FDP-Chef Christian Lindner während seiner Rede beim Dreikönigstreffen (Foto: dpa)

Beim ersten Dreikönigstreffen der FDP als außerparlamentarische Opposition versucht der neue Parteichef Christian Lindner seine Partei aufzurichten. Er attackiert die Kanzlerin für ihren passiven Regierungsstil und würdigt einen Parteifreund, der zuletzt in der Kritik stand.

Auftritt Christian Lindner: Mit einer Rede zu Europa eröffnete der neue FDP-Vorsitzende das politische Jahr für seine Partei beim traditionellen Dreikönigstreffen in Stuttgart. Die mangelnde Integration von Zuwanderern nannte Lindner eines der zentralen europäischen Probleme. Die Regierungen müssten sich an einen Tisch setzen, um dieses Problem anzupacken, forderte er bei der Veranstaltung im Opernhaus.

Direkt attackierte Lindner Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihren passiven Regierungsstil. Sie schweige seit Monaten zu allen wichtigen innenpolitischen Fragen, so auch zur Integrationsdebatte. Linder rief, er sei "enttäuscht" von der Kanzlerin. Sie müsse ihr Schweigen brechen "und Klartext sprechen, dass Deutschland ein weltoffenes Land bleibt". Die CSU hatte Ende Dezember eine Debatte um Zuwanderern aus Osteuropa in kontroverser Tonlage initiiert ( hier mehr dazu).

Lindner sagte nun in Stuttgart, Europarecht verhindere die Zuwanderung in Sozialsysteme, werde aber nicht angewendet. "Wenn es europäisches Recht gibt, das deutsche Regierungen nicht umsetzen, ist das kein Problem Europas, sondern ein Problem der deutschen Politik." Lindner bekannte sich zur Freizügigkeit in Europa: "Wer zu uns kommt, um hier zu arbeiten und Steuern zu zahlen, der ist hier willkommen. Den fragen wir auch nicht, wo er herkommt, sondern wohin er mit uns will." Allerdings gebe es "objektive Probleme", etwa in Duisburg mit kaum beschulbaren Kindern, verwahrlostem Wohnraum und steigender Kriminalität. Mit diesen Problemen dürften die Städte nicht länger alleingelassen werden.

Lindner wünscht Maas "Standhaftigkeit" bei Vorratsdatenspeicherung

Lindner bekräftigte den Pro-Europa-Kurs der Liberalen, forderte aber auch Reformen wie eine Verkleinerung der EU-Kommission und die Stärkung des Europäischen Parlamentes. "Für seine Zukunft braucht Europa weder Skepsis noch Romantik. Europa braucht mehr Realismus und Bürgernähe", rief er den etwa 1400 Zuhörern zu. Europa sei "mehr als eine Freihandelszone". Gleichzeitig betonte Lindner den Stellenwert der Marktwirtschaft, sie sei Bestandteil dessen, was Europa zu einer Wertegemeinschaft mache.

Die EU müsse aber auch den Mut haben, ihre Probleme anzugehen, sagte Lindner. In Europa trage eine "fatale Mischung aus Technokratie und Pathos" dazu bei, dass die Menschen den Eindruck hätten, ihnen wichtige Themen würden in Brüssel nicht wahrgenommen. Dies wirke sich wie ein Konjunkturprogramm für "Bauernfängerparteien" wie die UKIP in Großbritannien, die Le-Pen-Bewegung in Frankreich und die AfD in Deutschland aus, sagte der FDP-Chef.

Lindner, der schon vor Jahren einen "ganzheitlichen Liberalismus" propagiert hatte, definierte die Zielgruppe seiner Partei offener, als seine Amtsvorgänger. "Wir haben Anerkennung für die Menschen, die es im Leben schon zu etwas gebracht haben", rief er. "Aber unser Herz gehört denen, die sich mit Fleiß und Sparsamkeit erst noch etwas aufbauen wollen".

Einzelne Parteifreunde hob der neue Bundesvorsitzende in seiner Rede hervor. Unter anderem nannte er den stellvertretenden Parteichef Wolfgang Kubicki "unser Gesicht für Bürgerrechte". Der langjährige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher erschien in Stuttgart und wurde von Lindner für seinen Einsatz zur Freilassung des russischen Ex-Oligarchen und Kremlgegners Michail Chodorkowski gewürdigt. "Sie haben im Dezember ein Beispiel Ihrer Staatskunst gegeben", sagte Lindner zu Genscher. Der betagte Ehrenvorsitzende gilt als wendiger Strippenzieher und war zuletzt parteiintern heftig kritisiert worden ( auch wegen dieser Äußerungen).

Lindner teilte gegen die politischen Gegner kräftig aus, vor allem die neue schwarz-rote Bundesregierung. Er ging auch auf den Koalitionsstreit um die Vorratsdatenspeicherung ein, die der neue Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zunächst auf Eis legen möchte. "Ich hätte mir als Motiv Überzeugung gewünscht", sagte Lindner, "und nicht das abwarten auf ein Gerichtsurteil. Nun wünsche er dem Minister "die gleiche Standhaftigkeit", die seine FDP-Amtsvorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der Causa bewiesen habe.

Mit Blick auf die Enthüllungen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden sagte Lindner, Freundschaft mit Amerika ende dort, wo "unsere Bürger" ausgespäht und Wirtschaftsspionage betrieben werde. "Privatheit ist das vornehmste Bürgerrecht", so Lindner.

Eigener Kompass

Seine gebeutelte Partei versuchte Lindner in seiner Rede auf einen Neustart einzuschwören. Er sieht trotz der mauen Ausgangslage große Chancen für die Liberalen: "Wir sind so unabhängig, in der Sache und politisch, wie niemals zuvor in unserer Geschichte. Und das ist die neue Stärke der FDP: die Unabhängigkeit im Urteil und die Eigenständigkeit in der Sache." Für die FDP gelte jetzt ein eigener Kompass. Viele Menschen in Deutschland wünschten sich eine starke liberale Partei. "Wir haben es in der Hand", sagte Lindner am Ende seiner Rede, für die er minutenlangen Applaus bekam.

Vor Lindner sprachen auf dem Dreikönigstreffen der baden-württembergische Landesvorsitzende Michael Theurer, der baden-württembergische FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke sowie die neue Generalsekretärin Nicola Beer.

Der Auftritt Lindners in Stuttgart ist der erste größere seit seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden auf dem FDP-Parteitag in Berlin im Dezember. Die traditionsreiche Veranstaltung im Stuttgarter Staatstheater war das erste Dreikönigstreffen der Liberalen seit ihrem historischen Ausscheiden aus dem Bundestag. Gebrochene Wahlversprechen, soziale Kälte, interne Machtkämpfe und die Bindung an die Union gelten als die zentralen Fehler der Vergangenheit.

Die Liberalen hatten daraufhin im Dezember ihre gesamte Führungsspitze ausgetauscht, Lindner folgte dem bisherigen Parteichef Philipp Rösler ( hier mehr über den Parteitag). Die Freidemokraten hoffen, durch Erfolge bei der Europawahl im Mai sowie den 2014 anstehenden Landtags- und Kommunalwahlen aus der Krise zu kommen.

Im laufenden Jahr stehen neben der Europawahl im Mai drei Landtagswahlen im Spätsommer sowie übers Jahr verteilt elf Kommunalwahlen an, bei denen die FDP wieder Boden gutmachen will.

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