Fall Sami A.:"Das Bamf hat nicht gefragt, ob eine unmittelbare Abschiebung bevorsteht"

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NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp übernahm im Landtag die Verantwortung für die Abschiebung von Sami A. (Foto: dpa)
  • Joachim Stamp, Flüchtlingsminister von NRW, hat in einer Sondersitzung des Rechts- und Integrationsausschusses des Landtags "die persönliche Verantwortung" für die umstrittene Abschiebung von Sami A. übernommen.
  • Die Abschiebung des mutmaßlichen Ex-Leibwächters von Osama bin Laden war durch ein Gericht verboten worden.
  • Der FDP-Politiker verteidigte die Abschiebung als eine Maßnahme, durch die das Land "ein Stück sicherer geworden" sei.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp hat am Freitag "die persönliche Verantwortung" für die bundesweit umstrittene Abschiebung des mutmaßlichen Gefährders Sami A. übernommen. Zugleich bestritt der FDP-Politiker während einer Sondersitzung des Rechts- und Integrationsausschusses des NRW-Landtags, die Justiz hintergangen zu haben: "Wir haben nicht das Ziel gehabt, irgendein Gericht zu überlisten." Er habe rechtmäßig gehandelt. Der SPD-Landtagsabgeordnete Sven Wolf warf Stamp hingegen "Selbstjustiz" vor.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte vorige Woche unmittelbar vor dem Abschiebeflug am Freitag nach Tunesien die Rückführung des islamistischen Predigers verboten. Von der seit sieben Tagen geplanten Abschiebung hatte das Gericht jedoch nichts gewusst. Auch deshalb wurde der richterliche Entscheid den Behörden erst zugestellt, als die Chartermaschine mit Sami A. bereits in der Luft war. Die Richter fühlten sich ausgetrickst, kritisierten das Vorgehen der Behörden als "grob rechtswidrig" und verlangten, den Tunesier aus seiner Heimat zurückzuholen.

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Am Freitag verteidigte Stamp die Abschiebung als eine Maßnahme, durch die das Land "ein Stück sicherer geworden" sei. Sami A., der laut Sicherheitsbehörden einst zur Leibgarde des ehemaligen Al-Qaida-Chef Osama bin Laden gehört haben soll, sei noch immer gefährlich gewesen. Seit Sami A. im Abschiebegefängnis Büren einsaß, habe es vermehrte Besuchsanfragen aus der islamistischen Szene gegeben. Auch hätten seine Beamten befürchtet, der Tunesier könne sich "Selbstverletzungen" zufügen, um eine Abschiebung zu verhindern. Deshalb, so Stamp weiter, habe er entschieden, "so schnell wie möglich und so diskret wie möglich" zu handeln. Diese Diskretion habe auch gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gegolten.

Stamps Darstellung erklärt somit, warum das Gelsenkirchener Gericht über die vorgesehene Abschiebung im Dunkeln blieb. Das Gericht hatte sich zwar mehrfach beim Bamf nach Plänen erkundigt, ob Sami A. kurzfristig außer Landes gebracht werden solle. Zuletzt war eine solche Anfrage beim Bamf am Mittwoch voriger Woche, also zwei Tage vor der bereits gebuchten Abschiebung, erfolgt. Eine Bamf-Mitarbeiterin hatte sich daraufhin per Anruf in Düsseldorf nach einem in den Akten vermerkten Flug bereits am 12. Juli erkundigt. Das NRW-Ministerium antwortete, der Flug am Donnerstag sei storniert - ohne jedoch den seit Tagen gebuchten Abschiebeflug am Morgen des Freitags, 13. Juli, zu erwähnen. Das Bamf leitete diese Information nach Gelsenkirchen weiter - weshalb auch das Gericht nichts vom avisierten Charterflug erfuhr.

Nach Meinung von Minister Stamp haben seine Beamten dennoch "wahrheitsgemäß" geantwortet: "Das Bamf hat nicht gefragt, ob eine unmittelbare Abschiebung bevorsteht", sondern sich nur nach dem abgesagten Flug am Tag davor erkundigt. Und sein Ministerium habe nicht gewusst, dass die Verwaltungsrichter ein Abschiebeverbot prüften.

"Das war die Chance, die ich gesehen habe"

Der FDP-Politiker machte geltend, er habe aufgrund anderer juristischer Erwägungen aufs Tempo gedrückt: Die Anwälte von Sami A. hatten aus Sicht des Ministeriums versäumt, per Eilantrag auf Abschiebeschutz "den vollen Rechtsschutz auszuschöpfen" für ihren Mandaten. "Das war die Chance, die ich gesehen habe." Tatsächlich hatte eine Anwältin des Tunesiers genau diesen Abschiebeschutz am Donnerstagnachmittag in Gelsenkirchen per Fax zwar beantragt. Der Schriftsatz traf jedoch erst um 17.37 Uhr in der bereits unbesetzten Geschäftsstelle des Gerichts ein - und wurde erst am Freitagmorgen entdeckt, als Sami A. bereits im Flugzeug saß.

Die Opposition im Landtag warf Stamp nach der dreistündigen Ausschusssitzung erneut vor, die Richter getäuscht zu haben. "Sie wollten das heimlich machen, hinter dem Rücken des Gerichts", rief der SPD-Abgeordnete dem Minister zu. Stamp räumte ein, manches sei "unglücklich gelaufen", versicherte aber: "Wir werden niemals den Rechtsstaat beugen, um einen politischen Willen durchzusetzen."

Ungeklärt blieb zunächst, ob Vorwürfe der Anwältin von Sami A. stimmen, man habe ihrem Mandanten vor der Abschiebung ein Telefonat mit ihr verweigert. Ein Mitarbeiter des NRW-Ministeriums bestätigte, dem Tunesier sei vor der Abfahrt aus dem Abschiebegefängnis kein Anruf gestattet worden. Ob ihm dies am Flughafen Düsseldorf von der dann zuständigen Bundespolizei erlaubt worden sei, wisse man nicht.

© SZ vom 21.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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