Im Internet verbreitete Falschmeldungen gefährden unsere Demokratie in hohem Maße. Die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen könnten die ersten überregionalen Wahlen in Deutschland sein, deren Ergebnis zumindest indirekt von Fake News mitbestimmt wird. Denn Narrative, die sich auf falsche Tatsachenbehauptungen stützen, fallen besonders in den östlichen Bundesländern auf äußerst fruchtbaren Boden.
Um zu verstehen, wie online verbreitete Falschmeldungen wirken, genügt es jedoch nicht zu untersuchen, welche Lügen unmittelbar vor Wahlen im Internet kursieren, und abzufragen, wer welche dieser Lügen glaubt. Die Annahme, die hinter solchen Untersuchungen steht, ist, dass ein argloser Bürger auf Facebook auf eine erfundene Meldung stößt, den Inhalt fälschlicherweise glaubt, die Meldung weiterteilt und dass auf Grundlage von solchen falschen Tatsachenbehauptungen dann Wahlentscheidungen getroffen werden.
Dieses Szenario geht aber an der Realität im deutschsprachigen Internet vorbei: Untersuchungen zeigen, dass Falschmeldungen sich in Deutschland nicht so sehr von User zu User verbreiten, sondern vor allem dank einiger großer Accounts und Gruppen mit vielen Abonnenten, die von populistischen Politik- und Medienakteuren betrieben werden. Diese Seiten werden dann von Menschen, die ohnehin ein rechtspopulistisches Weltbild teilen, meist bewusst angesteuert.
Viele kleine Lügen etablieren ein Narrativ
Auf solchen Seiten sind Fake News ein regelmäßig auftretendes Phänomen, aber einzelne Lügen, die für sich genommen das Potenzial haben, Wahlen zu entscheiden, findet man hier trotzdem nicht. Das Problem sind eher viele kleine Lügen, die die Realitätswahrnehmung langsam verschieben: Aus der völlig zu Recht zur Anzeige gebrachten Grapscherei eines 14-Jährigen, begangen an einem gleichaltrigen Mädchen im Schwimmbad, wird auf Seiten wie "Halle Leaks" eine versuchte Vergewaltigung an einem Kind durch einen "fetten Grapsch-Islamisten". Die Tat ist also nicht komplett erfunden, aber das Verbrechen größer, das Opfer jünger und der Täter älter und fremder gemacht.
Diese Form von Fake News hat dazu beigetragen, dass sich in Deutschland drei recht konkrete Narrative etabliert haben, die die öffentliche Debatte verändern und das bis hinein in die Qualitätsmedien. Zum Ersten das Bedrohungsnarrativ, es lautet: Wir Deutsche werden in unserem alltäglichen Leben ständig bedroht von kriminellen Ausländern - im Schwimmbad, in der Schule, in der Fußgängerzone. Untersuchungen zeigen: Zu keinem anderen Thema kursieren in Deutschland so viele Fake News wie zu Migration und Kriminalität.
Durch viele kleine Lügen wird ein Narrativ etabliert, das sofort aktivierbar ist, wenn Entsetzen über ein Gewaltverbrechen herrscht, das tatsächlich so von einem Migranten begangen wurde, wie beispielsweise nach dem grausamen Tod eines achtjährigen Jungen am Frankfurter Hauptbahnhof. In solchen Krisensituationen und nicht im unmittelbaren Vorfeld von Wahlen erreichen Fake-News-Produzenten und -Verbreiter mit ihren Narrativen und mit ihren hinzuerfundenen Details auch Menschen, die sonst nicht oder nur selten Fake News konsumieren.
Die Erzählung vom bösen Ausländer ist mitnichten neu: In der alten BRD verbreitete sie sich schon massenhaft, als die ersten Gastarbeiter ins Land kamen - damals noch mithilfe etablierter Medien. Erst langsam wurde sie, vor allem im Westen und in Großstädten wie Leipzig, durch private Kontakte mit Migranten relativiert.