Anschlag in London:Ermittler befürchten schon länger Racheaktionen gegen Muslime

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Ein Polizist legt Blumen in der Nähe des Anschlagsortes in London nieder. (Foto: AFP)
  • Sicherheitsbehörden in aller Welt warnen seit einer Weile vor Kriminellen, die auf andere Attentate ihrerseits mit Anschlägen reagieren.
  • Das gängige Horrorszenario der Staatsschützer in Deutschland war ein Anschlag von Rechtsradikalen gegen Muslime mit einem Lastwagen oder einem Auto.
  • Bei all den Horrorszenarien geht ein wenig unter, dass es in Deutschland allein im vergangenen Jahr mindestens 91 Anschläge oder Attacken gegen muslimische Einrichtungen gegeben hat.

Von Hans Leyendecker

In der kriminalistischen Fachliteratur gibt es seit einer Weile den Begriff der "Resonanzstraftat". Gemeint sind Reaktionen, die durch eine andere Straftat hervorgerufen werden und sich darauf beziehen. Das kann die Nachahmung eines Verbrechens durch Sympathisanten sein, aber auch eine Nachahmung des Verbrechens durch Feinde der Täter. Ein Gegenschlag gewissermaßen.

Möglicherweise hat sich der Attentäter von London, der mit seinem Van in eine Gruppe von Muslimen raste, als eine Art Rächer verstanden. Er könnte so auf mehrere Attentate reagiert haben, bei denen in den vergangenen Monaten von Islamisten in London Fahrzeuge als tödliche Waffen eingesetzt worden sind.

Sicherheitsbehörden in aller Welt warnen seit einer Weile vor solchen Kriminellen. In Deutschland beschäftigten sich Ermittler insbesondere nach dem Massenmord in Berlin - dem Anschlag, bei dem durch den Islamisten Anis Amri im Dezember zwölf Menschen starben - mit der Frage, ob solche Verbrechen andere Verbrecher zu Gegenschlägen verleiten könnten. Zu Resonanzstraftaten eben. Das gängige Horrorszenario der Staatsschützer in Deutschland war ein Anschlag von Rechtsradikalen gegen Muslime mit einem Lastwagen oder einem anderen Auto.

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Diese besorgniserregende Entwicklung ist nicht neu

Es gibt weltweit spektakuläre Fälle solcher Gewalt. Da ist der Attentäter von Quebec, der Anfang des Jahres in einer Moschee mutmaßlich sechs Menschen erschossen und weitere 19 Menschen verletzt hat. Er soll Muslime gehasst haben, und von einer rassistischen Nationalismus-Bewegung inspiriert worden sein. Im US-Bundesstaat Kansas verhinderte die Polizei im vergangenen Herbst den Anschlag einer militanten Gruppe sogenannter Kreuzritter, die eine Wohnanlage samt Moschee zerstören wollte, angeblich als Reaktion auf die Angriffe von Islamisten.

Nach Anschlägen in Frankreich durch Islamisten ist es schon fast ein Ritual, dass Muslime oder muslimische Einrichtungen angegriffen werden. Da wird etwa eine Moschee beschossen, ein islamischer Gebetsraum wird angegriffen, und selbst der Imbiss in der Nähe einer Moschee kann Angriffsziel sein. Diese besorgniserregende Entwicklung ist nicht neu. Nach dem Mord an dem islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh im Jahr 2004 gab es in den Niederlanden etliche Anschläge auf islamische Einrichtungen.

Und in Deutschland? Bei all den Horrorszenarien, die es gibt, ist ein wenig untergegangen, dass es allein im vergangenen Jahr mindestens 91 Anschläge oder Attacken gegen muslimische Einrichtungen gegeben hat. Auch Alltagshorror. Schlagzeilen machen solche Attacken nur noch, wenn sie - wie im vergangenen September in Dresden - wenige Tage vor den zentralen Feiern zum Tag der Deutschen Einheit verübt werden. Da schauen dann alle kurz hin.

Unter all den Islamisten und Anti-Islamisten, die Angst und Schrecken verbreiten möchten, ist vermutlich der inhaftierte rechtsradikale Bundeswehr-Offizier Franco A. der größte Sonderling. Er soll sich als syrischer Flüchtling ausgegeben haben, um Anschläge zu begehen, die dann Flüchtlingen zugerechnet werden sollten. In der gesamten Resonanztheorie hat es einen solchen Typen bisher noch nicht gegeben.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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