Die Termine stehen alle noch im Kalender. Am 2. und 3. Juli der Besuch von Ursula von der Leyen und ihrer ganzen EU-Kommission in Berlin, ein paar Tage danach ein informelles Treffen der EU-Innenminister in Dresden und dann eines der Handelsminister in Saarbrücken. Später, im September, der große EU-China-Gipfel in Leipzig. Deutschland übernimmt am 1. Juli turnusmäßig die EU-Ratspräsidentschaftschaft und damit für ein halbes Jahr eine Art europäische Gastgeberrolle. Während des Vorsitzes finden normalerweise etliche Treffen und Konferenzen im Land der Präsidentschaft statt. Zudem kann die Präsidentschaft Akzente setzen und bis zu einem gewissen Grad die europäische Agenda bestimmen. Normalerweise.
Nur zwei Monate vor dem Start ist man in der Bundesregierung immer noch nicht sicher, was eigentlich noch normal wird ablaufen können während der Präsidentschaft. Die meisten Sitzungen, wohl auch der EU-China-Gipfel, werden wohl per Video abgehalten werden müssen. An diesem Mittwoch widmen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Minister dem Problem eine eigene Sonderkabinettssitzung. Als Gast wird der Generalsekretär des Rates der EU, Jeppe Tranholm-Mikkelsen zugeschaltet. Danach soll klarer sein, was angesichts der Corona-Krise von den ursprünglich großen Plänen der deutschen Präsidentschaft übrig bleiben kann.
"Das wird ein echter Kraftakt für die gesamte Bundesregierung", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) der Süddeutschen Zeitung. Die Erwartungen an Deutschland seien "riesig, diese Führungsrolle als ehrlicher Makler und dynamischer Antreiber anzunehmen". Das gelte für die Bewältigung der Corona-Krise genauso wie für die "großen Zukunftsthemen der EU - von der Klimapolitik über das zukünftige Verhältnis zu Großbritannien, die Digitalisierung und den Rahmen für den EU-Haushalt". Hier hat Deutschland bereits die Bereitschaft zu zeitweise höheren Beiträgen erklärt.
Aus Brüssel kamen zuletzt Mahnungen, die Präsidentschaft nicht zu überfrachten
Allerdings bremst Maas auch, denn aus Brüssel fehlte es zuletzt nicht an Mahnungen, die Präsidentschaft nicht zu überfrachten. Durch die praktischen Einschränkungen im Politikbetrieb seien "Grenzen gesetzt", warnt Maas. Einige wichtige Dossiers könnten unter der jetzigen kroatischen Präsidentschaft nicht so wie geplant abgeschlossen werden. Außerdem müsse man sich "darauf einstellen, dass einige Verfahren auch im zweiten Halbjahr weiter langsamer und mühsamer sein werden durch coronabedingte Einschränkungen". Jetzt gelte "es eine vernünftige Balance zu finden zwischen ambitionierten Ansprüchen und realistischen Zielen". Die Richtschnur sei aber eindeutig: "Die Europäische Integration soll durch die Corona-Krise stärker werden."
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab in ihrem wöchentlichen Podcasst als Ziel vor, "dass wir am Ende der deutschen Präsidentschaft mehr Europa haben und ein Europa, das dem 21. Jahrhundert besser gewachsen ist, als das heute der Fall ist". Es gehe darum, "dass wir für die wirtschaftliche Ertüchtigung Europas etwas tun, dass wir für den sozialen Zusammenhalt etwas tun, dass wir an die Zukunft denken - und das sind die Klima- und Umweltfragen". So machte Merkel klar, dass sie die ursprünglichen Pläne für die deutsche Präsidentschaft nicht komplett über den Haufen werfen will. Im Programmentwurf mit der Überschrift "Unser Weg: innovativ, gerecht, nachhaltig" nimmt eine "ambitionierte Klimaschutzpolitik" einigen Raum ein. So wolle die Bundesregierung während ihrer Ratspräsidentschaft den Entwurf eines europäischen Klimagesetzes mit dem Ziel voranbringen, die Klimaneutralität der EU bis 2050 "rechtlich verbindlich" festzuschreiben.
Als konkrete Aufgaben nannte Merkel außerdem "ein leistungsfähiges europäisches Gesundheitssystem in allen Mitgliedstaaten" sowie Arbeit bei Streitpunkten wie der Finanztransaktionssteuer, Mindeststeuern und dem Emissionshandel für Schiffe oder Flugzeuge. "Es wartet also unglaublich viel Arbeit auf uns, und Deutschland ist bereit, seinen Beitrag dazu zu leisten", versprach Merkel.
Aus Sicht der Opposition im Bundestag passen solche Ankündigungen aber nicht zum tatsächlichen Stand der Planungen. "Es reicht nicht, die "Corona-Ratspräsidentschaft zu proklamieren. Es braucht eine inhaltliche Stoßrichtung", kritisierte die europapolitische Sprecherin der Grünen, Franziska Brantner. Die EU brauche "am Ende mehr sozialen Zusammenhalt, sie muss krisenfester und nachhaltiger dastehen". Während sich in der Krise die Verwundbarkeit der Europäischen Union zeige, sei Deutschland zu passiv. Die Bundesregierung wolle "partout nicht akzeptieren, dass sie eine Führungsverantwortung hat, und dass deutsche Interessen europäische sind. Dafür werden wir einen hohen Preis zahlen".