Europäische Schuldenkrise:Furcht vor dem deutschen Gespenst

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Bewunderung schlägt um in Kritik: Lange haben die Franzosen versucht, Deutschland in der Schuldenkrise nachzuahmen. Jetzt bezichtigen sie Berlin, durch Spardiktate die Euro-Krise zu verschärfen und Europa zu gefährden. Auch vor einer stärkeren Zentralregierung in Brüssel fürchten sie sich - Trost spendet lediglich die Bevölkerungsentwicklung.

Stefan Ulrich, Paris

Eine Angst geht um in Frankreich. Sie nennt sich Germanophobie. "Ich möchte nicht mit ansehen, dass sich mein Frankreich in ein deutsches Bundesland verwandelt", sagt der gaullistische Abgeordnete Nicolas Dupont-Aignan. Der Wirtschaftsexperte und frühere Präsidentenberater Jacques Attali warnt, Berlin halte mal wieder "die Waffe zum kollektiven Selbstmord des Kontinents in der Hand". Derweil schreibt das Magazin Challenge in großen Lettern auf sein Titelblatt: "L'Europe allemande".

Angela Merkel sei unflexibel, Nicolas Sarkozy mache Zugständnisse - aus dem französischen Regierungslager kommt deutliche Kritik in Richtung Berlin. (Foto: REUTERS)

Lange haben die Franzosen mit einer Mischung aus Bewunderung und Nachahmungswillen darauf geschaut, wie gut ihr Nachbar durch die Krise kam. Die deutsche Wirtschaft mit ihren Produkten bekam ein derart positives Image, dass Opel seine Fahrzeuge im französischen Fernsehen mittlerweile in deutscher Sprache anpreist. Sarkozy benutzte das Vorbild der Bundesrepublik geradezu penetrant, um seine Landsleute zu Reformen zu bewegen. "Die Franzosen sind natürlich von all dem fasziniert, was die Deutschen im Lauf der vergangenen Jahre bewerkstelligt haben", erklärt René Lasserre, der Direktor eines Deutschland-Forschungszentrums.

Doch nun scheint die Stimmung zu kippen. Seit einigen Wochen mehren sich die Kommentare von Politikern und Journalisten, die Deutschland vorwerfen, es gängele Frankreich und treibe den ganzen Kontinent mit seinen Inflationsängsten und Spardiktaten in den Untergang. Beklagt wird vor allem, dass sich Berlin weigere, Eurobonds zuzustimmen und die Geldmaschine der Europäischen Zentralbank anzuwerfen. Die - hochverschuldete - Wirtschaftszeitung La Tribune vergleicht Deutschland mit einem Feuerwehrmann, der ein Haus tatenlos niederbrennen lasse, um den Kindern vorzuführen, wie gefährlich es sei, mit Zündhölzern zu spielen. Der Figaro titelt: "Wenn Deutschland mit dem Feuer spielt."

Der Unmut über ein angeblich besserwisserisches und von Inflationsneurosen befallenes Deutschland reicht bis weit ins Regierungslager. Dort heißt es, Präsident Nicolas Sarkozy mache Zugeständnisse, während Angela Merkel unflexibel bleibe. Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire - er gilt als Germanophiler im Kabinett - klagt: "Deutschland sendet kein einziges positives Signal aus." Le Monde zitiert ein anderes Kabinettsmitglied mit den Worten: "Die Deutschen dominieren alles."

Natürlich ist das stark übertrieben. Aber es beeinflusst die Stimmung in Frankreich und macht es Sarkozy schwerer, Kompromisse einzugehen. So will eine Mehrheit der Franzosen nichts davon hören, mehr Souveränität an die Organe in Brüssel abzugeben, wie das Deutschland vorschlägt. Der Argwohn ist groß, der größte Mitgliedstaat der EU erlange noch mehr Einfluss, falls künftig der Kommissionspräsident direkt von den Bürgern gewählt werde und bei Wahlen zum Europaparlament das Prinzip "Ein Mann, eine Stimme" gelte. Von solchen Reformen profitiere doch nur das bevölkerungsreiche Deutschland, ist in Paris zu hören.

"Ein bisschen Germanophobie gibt es immer"

Ein bisschen Germanophobie gibt es in Europa immer, damit müssen wir leben", sagt Hans Stark, der Generalsekretär des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) in Paris. Das bedeute jedoch nicht, dass Frankreich nun kollektiv der Deutschen-Angst verfalle. Die schrillen Stimmen der vergangenen Tage verfolgten vielmehr auch den Zweck, Druck auf Berlin auszuüben, damit sich Deutschland in den Streitfragen Europäische Zentralbank und Eurobonds bewege. "Dieser Druck ist Teil des Spiels", sagt Stark. Die Bundesregierung könne ihn abmildern, wenn sie besser mit der Kommission und dem Parlament in Brüssel zusammenarbeite. Denn dann ziehe sie zumindest die Europafreunde in Frankreich auf ihre Seite.

"Deutschland bestimmt die Wirtschaftspolitik der verschuldeten Staaten heute mit", sagt der Politikforscher. Insofern sei es zutreffend, wenn die Franzosen von einem "deutschen Europa" sprächen. Dies gelte aber nur für die Wirtschaft. Anderswo dominiere Frankreich, etwa in der Verteidigungspolitik.

Auch Attali hat Trost für jene Franzosen bereit, die sich vor dem "Gespenst des deutschen Europa" ( Le Monde) fürchten. Deutschland stehe nicht so gut da, wie es glaube, schreibt der Wirtschaftsexperte. Dann zählt er auf: Die deutschen Schulden seien fast so hoch wie die französischen, etliche deutsche Banken befänden sich in schlechter Lage, und die Bevölkerungsentwicklung sei ohnehin eine Katastrophe. "2060 wird es weniger Deutsche als Franzosen geben", prophezeit Attali. Wenn das kein Trost ist.

© SZ vom 29.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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