Europa und Bremen:Diese Wahlen können Blockaden lösen

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Bremens CDU-Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder und Bundesparteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Wahlabend. (Foto: AFP)

Das Wahlwochenende hält Lehren für Deutschland bereit. Dass Union und SPD bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 beieinanderbleiben, ist nicht sicher - und auch nicht wünschenswert.

Kommentar von Ferdos Forudastan

Ja, nach diesem Sonntag liegt Vieles im Ungewissen. Ja, das fordert alle Seiten: die Parteien, ihre Wähler, das ganze Land. Und ja, das ist gut so. Denn die Ergebnisse vor allem der Wahl zum Europäischen Parlament, aber auch die in Bremen und etlichen Kommunen, haben das Zeug dazu, Blockaden zu lösen.

Da ist die schwer gebeutelte große Koalition. Hält sie? Die verheerenden Stimmenverluste von Christ- und Sozialdemokraten lassen diese Frage fast nebensächlich erscheinen. Das Regierungsbündnis wird wohl zusammenbleiben - allerdings nur fürs Erste.

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Das schlechte Abschneiden ihrer Partei verstärkt den Druck auf die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, neben der angesehenen Bundeskanzlerin Profil zu gewinnen. Das kann nur gelingen, wenn AKK bald ihren Anspruch aufs Kanzleramt artikuliert und es - was politisch und rechtlich allerdings kompliziert wäre - zu Neuwahlen kommt.

Die desaströsen Ergebnisse der SPD schwächen ihre angeschlagene Vorsitzende Andrea Nahles weiter. Und sie werden den Widerstand vieler Genossen gegen Schwarz-Rot erneut anfachen, das große Teile der Partei als wesentliche Ursache für ihren Niedergang betrachten. Dass die beiden Partner bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 beieinanderbleiben, ist also nicht sicher - und wünschenswert ist es auch nicht mehr.

So richtig es war, dass CDU/CSU und SPD sich in der verfahrenen Situation vergangenes Jahr noch einmal zusammengetan haben, so falsch wäre es jetzt, bis zum bitteren Ende beisammen zu bleiben. Die lange Zeit des gemeinsamen Regierens hat trotz mancher Fortschritte, etwa auf dem Feld der Sozialpolitik, gezeigt: Union und SPD sind jeder für sich ausgelaugt und voller Verdruss am jeweils anderen. Und sie können dem für sie selbst und die Demokratie unguten Eindruck viel zu wenig entgegensetzen, dass die Bürger keine echte Wahl haben, weil die Parteien sich nicht genügend unterscheiden. Ganz gleich allerdings, wie es mit dem Berliner Bündnis weitergeht: Die regierenden Parteien müssen sich, wenn sie nicht noch weiter an Bedeutung einbüßen wollen, intensiv damit beschäftigen, was speziell an diesem Wahlsonntag passiert ist. Dass etwa besonders junge Menschen der CDU massenhaft die kalte Schulter gezeigt haben, ist auch die Quittung für jene ebenso ignorante wie arrogante Haltung, die die neue Parteispitze im Umgang mit den Fridays-for-Future-Demonstranten, dem Streit um die Upload-Filter oder dem Youtuber Rezo an den Tag gelegt hat.

Die Sozialdemokraten mag jetzt wieder mal die Frage umtreiben, ob sie nicht ihre Spitze auswechseln sollten. Aber auch unabhängig davon, dass es an überzeugenden Nachfolgern für Andrea Nahles fehlt: Das existenzielle Problem dieser Partei wäre mit neuem Führungspersonal nicht gelöst. Die SPD lässt bisher nicht so recht erkennen, bei welcher Klientel sie künftig womit punkten will, nachdem ihr nach und nach die Arbeiter verloren gegangen und nennenswerte Teile ihrer Wähler aus der bürgerlichen Mitte vor allem in Großstädten zu den Grünen abgewandert sind. Genauer: Die Genossen sind bisher eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie sie sich einen sozial gerechten Umbau der Industriegesellschaft vorstellen.

Gut möglich, dass ausgerechnet das kleine Bremen der SPD helfen könnte, darauf eine Antwort zu finden - wenn es dort zum ersten Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und Linken im Westen kommen sollte. Das könnte ein Signal für den Bund sein. Und es wäre ein kluges Signal, falls die betreffenden Parteien ihre Koalitionsoptionen erweitern und beweisen wollen, dass sie es ernst meinen mit der Versöhnung von Ökologie und Ökonomie.

Und die Grünen? Ihre großen Stimmenzuwächse erhöhen zum einen den Druck auf Union und SPD, sich viel intensiver als bisher des Jahrhundertthemas Klima anzunehmen, auf das die Grünen sich so erfolgreich fokussieren. Zum anderen ist die Ökopartei nun gezwungen, sich mit diesen elementaren Fragen zu befassen: Was bedeutet es für ihre inhaltliche Ausrichtung, dass sie in die Lage kommen könnte, ein mögliches Bündnis mit Sozialdemokraten und Linken anzuführen? Und wie ließe sich eine Klimaschutzpolitik gestalten, die gesellschaftlich durchsetzbar ist?

Eines eint Verlierer und Gewinner der Wahlen: Sie müssen einen scharfen Blick nach rechts werfen. Auch wenn die AfD nicht so punkten konnte wie erwartet: Dass eine fremdenfeindliche, gegen den Staat und seine Institutionen hetzende Partei in Teilen des Ostens die meisten Stimmen einfährt, ist nicht nur ein Problem für Union, SPD, Grüne, Linke und FDP. Es ist ein Problem für das ganze Land.

© SZ vom 28.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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