Europa-Parteitag:AfD lehnt Sanktionen gegen Russland ab

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Die "Alternative für Deutschland" beginnt ihren Parteitag zur Europawahl mit einem Spektakel des Misstrauens und schmettert die von Parteichef Lucke gewünschte Führungsreform ab. Doch der eigentliche Konflikt entzündet sich erst kurz vor Schluss.

Von Jens Schneider, Erfurt

Bernd Lucke, Bundessprecher und Gesicht der AfD, war an diesem Samstag angetreten, um seiner Partei eine neue Führungsstruktur zu geben - eine Struktur, mit der die Partei leichter zu führen wäre. Ohne Erfolg: Nach einer aufgewühlten bis chaotischen Debatte erlitt er am Mittag eine deftige Niederlage. Ein genereller Aufstand der Basis gegen den Gründungsvater war das freilich nicht. Kurz darauf nämlich feierte der Parteitag euphorisch Luckes Rede, die von heftiger Kritik an der Presse und polemischen Angriffen auf die Bundesregierung geprägt war.

Richtig spannend sollte es erst am Abend werden, als der Parteitag sich in einer unerwartet emotionalen Debatte mit der Lage in der Ukraine beschäftigte. Eine Mehrheit, so zeigte es der Applaus an, wollte in einer Resolution Verständnis für Russland bekunden und sich gegen Sanktionen aussprechen.

Luckes Pleite zum Auftakt freilich offenbarte erst einmal, wie eigenwillig die Basis der AfD ist, in der einige Landesverbände sich zuletzt aggressive interne Fehden gönnten. Luckes Pläne sahen vor, dass anstelle der bisherigen Spitze aus drei gleichberechtigten Vorstandssprechern nur noch ein Parteivorsitzender die AfD führen soll. Das wäre er selbst, und das schürte Misstrauen, er wolle sich nun zu einer Art Alleinherrscher aufschwingen.

Drei Stunden, die sich wie zehn anfühlten

In der aufreibenden Debatte warfen einzelne Mitglieder der Spitze autokratisches Verhalten vor. Luckes Versuche, sich zu erklären, wurden mit Protestrufen und Pfiffen quittiert. Vorher schon war die Wahl des Versammlungsleiters, die Parteien sonst als lästige Pflicht schnell hinter sich bringen, in ein einstündiges Spektakel des gegenseitigen Misstrauens ausgeartet. Es waren drei Stunden, die sich, so der Versammlungsleiter, "wie zehn anfühlten".

Dann durfte Lucke für den Vorstand eine Bilanz des ersten Jahres ziehen, und verflogen war die angespannte, kritische Stimmung. Lucke hat im letzten Jahr mit vielen Auftritten gelernt, mit welchen Pointen er schnell Zuhörer hinter sich bringt, und das führte er nun sich und der Halle vor. Leise fiel noch der erste Applaus aus, als Lucke über den internen Umgang der AfD klagte. Er appellierte an die Partei, bei allem Einsatz die guten Umgangsformen zu wahren.

Applaus erntete Lucke mit dem verlässlichsten Mittel, das in dieser Partei immer verfängt: dem Gefühl, allein gegen das Establishment zu stehen, und dabei insgeheim doch für die Mehrheit und den "gesunden Menschenverstand". Das bringt immer Beifall. Was immer der "gesunde Menschenverstand" auch sein soll. Ebenso gut kam die Klage über die Medien an. Massiv beschwerte Lucke sich über die Berichterstattung der Medien über die AfD im zurückliegenden Jahr: Sie, vor allem die Bild-Zeitung, hätten einen größeren Erfolg der Partei verhindert.

Olaf Henkel, der Spitzenkandidat der AfD im Europawahlkampf, freute sich anschließend am Image als Partei der Besserwissenden. "Professor ist der populärste Vorname in der AfD", begann er seine Einführung in die Debatte über das Europa-Programm. Es müsse wohl schlimm sein für die anderen, dass in dieser Partei so viele etwas von Wirtschaft verstünden.

Henkel forderte für die EU, dass die Zahl der nach seiner Darstellung 50 000 EU-Mitarbeiter in Brüssel und Straßburg in den nächsten sieben Jahren halbiert werden solle. "Wir sind für ein schlankes Europa", sagte er, die Partei gehe in die Wahl mit "einem Programm für die Mitte in Deutschland". Henkel strich heraus, dass die AfD sich im Kapitel zur Zuwanderungspolitik, in dem auch Verantwortungsbereitschaft und Nächstenliebe betont werden, dafür ausspricht, dass auch Asylbewerber das Recht auf Arbeit haben sollen.

Intensiv und ernst, aber nun frei von Polemik, rangen die Mitglieder bis in den Abend hinein über das Wahlprogramm für Europa. Über das Kernthema, die Ablehnung des Euro und der EU-Rettungspolitik, war man sich einig. Also gönnte sich die Partei nach einer langen sachlichen Debatte, noch mit großer Mehrheit die Abschaffung der Sommerzeit zu beschließen, die ungesund und schädlich sei.

Kurz nach sechs war es, der Parteitag fühlte sich ganz zufrieden und harmonisch, da ging es erst richtig los. Denn nach der Verabschiedung des Europa-Programms stieg die Partei in eine hochemotionale Debatte über den Umgang mit Russland in der Ukraine-Krise ein. Ein Mitglied sprach sich gegen Sanktionen gegen Russland aus. Die AfD sollte die Bundesregierung auffordern, so hieß es, "sich in dieser Frage von den USA zu distanzieren, die offensichtlich Deutschland und Russland mit aller Macht in einen neuen Kalten Krieg hineintreiben wollen".

"Russland als Großmacht ernst nehmen"

Der stellvertretende Parteivorsitzende Alexander Gauland hielt nun unvermittelt eine Art Grundsatzreferat zur Lage in der Ukraine. Er warnte zunächst davor, eine Resolution zu verabschieden, die sich gegen Amerika richtet, und ordnete Putins Annexion der Krim durchaus als völkerrechtswidrigen Akt ein. Dann erklärte Gauland freilich viel Verständnis für Putins Politik. "Wir haben Russland nach 1990 gedemütigt, und wir ernten jetzt die Folgen davon", sagte er und warf dem Westen Heuchelei und eine doppelte Moral im Umgang mit der neuen Regierung der Ukraine vor, die nicht demokratisch sei. "Ich plädiere leidenschaftlich dafür, Russland als Großmacht ernst zu nehmen", sagte Gauland. Er meine damit nicht die Sowjetunion, "aber ein starkes Russland war immer ein freundliches Russland". Davon habe Deutschland in der Geschichte oft profitiert, führte Gauland aus.

Die einen jubelten, andere waren entsetzt. Ein Redner fragte irritiert, "ob das Hurra noch so groß ist, wenn Putin in das nächste Land einmarschiert". Ein nächster warnte vor der Schlagzeile "AfD für die Annexion".

Andere wiederum wollten keinen Antiamerikanismus entdecken, nur den Wunsch, deutsche Interessen zu vertreten. Es sei falsch, ergänzte ein Sprecher, wie man mit Putin, dem Präsidenten einer Weltmacht, umgegangen sei. Nach einer hitzigen Redeschlacht, die die Versammlungsleitung auf prägnante, zugespitzte Ein-Minuten-Reden reduzierte, hätte die Resolution gegen die Sanktionen, etwas abgeschwächt um die kritischen Töne gegen Amerika, vermutlich eine Mehrheit gefunden.

Doch nach der aufgewühlten Debatte, in der ein Mitglied seinen sofortigen Austritt erklärte, beschloss die Partei, sich zu vertagen und eine Arbeitsgruppe einzusetzen.

Das Ergebnis am Sonntag: Die AfD lehnt Sanktionen gegen Russland ab. Die Lage in dem osteuropäischen Land und besonders auf der Krim sei ohnehin schon sehr instabil, heißt es in einer Resolution. Aus Sicht der AfD wäre es also am besten, wenn im Osten alles so bliebe wie es ist: Die Ukraine solle nicht in die EU - aber auch nicht näher an Russland heranrücken. Auch lehnte die AfD jede weitere Erweiterung der Nato nach Osten ab.

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