EU: Griechenland-Krise:Eiserne Kanzlerin Merkel

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Auch wenn die anderen Staaten zetern: Nach dem griechischen Fiasko zwingt Merkel Europa zur Disziplin. Schließlich steht das politische Werk ganzer Generationen auf dem Spiel.

Stefan Kornelius

Deutschland durchlebt gerade seine schwerste außenpolitische Krise seit Jahrzehnten. Nicht, dass es viele gemerkt hätten. Aber die Krise hat Deutschland isoliert in Europa, so, wie das Land lange nicht mehr isoliert war. Deutschland scheint plötzlich wieder zurückzufallen in jene unselige Zeit, in der es als der europäische Unruhestifter wahrgenommen wurde, als der Hegemon. Diesmal als der Währungshegemon.

Nach zu vielen Kriegen mit zu vielen Toten hat sich Deutschland auf seine zivile Kraft besonnen - seine Wirtschaftsleistung. Es hat Institutionen geschaffen, die es als Hegemon in der Mitte des Kontinents mit den Nachbarn versöhnen sollten. Deutschland hat dabei aber die alte Schulhofregel ignoriert: Der Primus ist niemals beliebt.

Die Nachbarn sehen in Deutschland wieder den Taktgeber, den Allesbestimmer, den Besserwisser. In Griechenland zeichneten sie Hakenkreuz-Fahnen. In Großbritannien feierten die Euro-Gegner ein Fest: Sie waren schon immer von der Phantasie erfüllt, dass die Deutschen nach zwei misslungenen militärischen Versuchen die gemeinsame Währung nutzen könnten, um Europa zu beherrschen.

Der erste Dominostein

Und nun können es alle sehen: Deutschland profitiert mit der gemeinsamen Währung unproportional stark vom gemeinsamen Markt; es dominiert mit niedrigeren Löhnen, größerer Leistung und besserer Qualität die europäischen Exporte und schafft so Abhängigkeiten, die kleinere Volkswirtschaften nicht ausgleichen können. Deutschland lebt gut als Dealer, und die Süchtigen kaufen Mercedes und BMW. Staatsanleihen - griechische zum Beispiel - wurden in der Vergangenheit bevorzugt auch von deutschen Banken gezeichnet.

Griechenland ist nun der erste Dominostein, der unter der Doppellast von Weltwirtschaftskrise und innerer Schwäche, begünstigt durch Mauscheleien und Betrug, zu kippen droht. Portugal und Spanien sind sturzgefährdet. Aber Deutschland zeigte sich zuletzt hartherzig. Hilfe sei keine zu erwarten, ließ die eiserne Kanzlerin ausrichten. Einen europäischen Finanzausgleich, Hartz IV für Staaten, könne es nicht geben, weil das die Regeln nicht erlaubten.

Die Regeln: Wer das europäische Desaster in der Währungspolitik verstehen will, der muss die Regeln anschauen. Diese Regeln waren nicht gemacht für den Mehrfachschlag aus Weltwirtschaftskrise, Megadefizit und Betrug. Die Regeln waren nicht gedacht für den Staatsbankrott. Die Regeln waren aber sehr wohl entworfen, um den Wirtschaftshegemon Deutschland zum Diener aller europäischen Volkswirtschaften zu machen.

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Die Regelschreiber ignorierten dabei indes, dass eine gemeinsame Währung auch eine gemeinsame Haushalts- und Wirtschaftspolitik braucht. Der Binnenmarkt kann alleine für die Balance nicht sorgen, weil Tarifvereinbarungen, Besteuerungsformen, Sozialkosten und am Ende auch kulturelle Eigenarten den Markt in Ketten legen.

Sollte dieser Markt nun kollabieren, sollte gar die Währung nicht mehr funktionieren, dann wäre das politische Werk ganzer Generationen gefährdet: die EU. Das alles musste Angela Merkel in den vergangenen Tagen bedenken. Sollte sie Griechenland helfen, gegen alle Regeln verstoßen, den Euro gefährden, Spekulanten zum Angriff auf Portugal und Spanien einladen? Und nebenbei noch einen innenpolitischen Sturm auslösen, wenn die Opposition wenige Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen fragt, ob der deutsche Steuerzahler nun auch das 13. und 14. Monatsgehalt der Griechen finanzieren darf? Sollte sie eine Verfassungsklage der Euro-Gegner provozieren, eine Gelegenheit, auf die Feinde der Gemeinschaftswährung seit zehn Jahren warten?

Sarkozy hat einen gut

Kurz gesagt: Merkel musste sich fragen, ob sie Berlins wichtigstes außenpolitisches Instrument, die Europäische Union, aufs Spiel setzen will. Oder hält sie die Regeln ein, behält in einer ohrenbetäubenden Kulisse aus Geschrei und Gezeter die Nerven und zwingt Europa zur Disziplin - eine dieser gefürchteten deutschen Tugenden?

Merkel hat die Nerven behalten, Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy hat ihr dabei assistiert. Der französische Etatist, der vermutlich ohne große Selbstzweifel ein paar Euro außer der Reihe hätte springen lassen, ließ sich von Merkel zur Disziplin verführen. Dafür wird sie sich eines Tages revanchieren müssen.

Dem Schock folgt nun die schale Erkenntnis, dass Europa ein gewaltiges Problem hat. Die gemeinsame Währung braucht eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik. Sie braucht Regeln über den Umgang mit den Schwachen und Zügel für die Starken. Die EU kann nicht funktionieren, wenn ihre Mitglieder immer wieder in das Gebaren von Nationalstaaten zurückfallen. Finanzminister Wolfgang Schäuble scheint das erkannt zu haben, wenn er halblaut über harte Strafen und Haushaltskontrollen nachdenkt. Schäubles alte Idee von einem Kerneuropa blitzt da wieder auf.

Merkel hat indes verstanden, dass man im Sturm nicht noch neue Segel setzen sollte. Zunächst muss das Schiff repariert werden. Europa hat, nur wenige Wochen nach der Anstrengung um den Lissabon-Vertrag, sein nächstes, wirklich großes Projekt vor sich.

© SZ vom 25.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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