EU-Gipfel:EU-Gipfel - Terror, Brexit, Euro, Flüchtlinge

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Ist es vor lauter Terrorangst bald zu Ende mit der grenzkontrollfreien Reise im Schengen-Raum? Eine Nelke in einem Einschussloch am Restaurant Carillon in Paris. (Foto: Ian Langsdon/dpa)
  • Auf dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag stellen sich die Staats- und Regierungschefs der EU noch einmal vor Weihnachten den großen europäischen Krisen.
  • Flüchtlingsströme und das drohende Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union stehen dabei im Mittelpunkt.
  • Für den Gipfel gilt: Zusammenraufen, Signale aussenden - um tief greifende Beschlüsse geht es weniger.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Brüssel

Wenige Tage vor Weihnachten müssen sich die Staats- und Regierungschefs der EU noch einmal den großen europäischen Krisen stellen. Im Mittelpunkt stehen die Flüchtlingsströme und das drohende Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union. In beiden Fällen geht es weniger um tief greifende Beschlüsse als um ein Signal: Nach einem Jahr, das von Spaltungen geprägt war, will man sich zusammenraufen. Im Rahmen der Möglichkeiten.

Flüchtlinge

Nicht an Beschlüssen mangelt es nach Ansicht von EU-Ratspräsident Donald Tusk in der Flüchtlingskrise, sondern eher an deren Umsetzung. "Wir müssen an allen Fronten das Tempo erhöhen", forderte er in seinem Einladungsschreiben an die Staats- und Regierungschefs. Nicht nur Tusk treibt vor allem die Durchlässigkeit der südlichen Außengrenze um. "Um den Schengener Besitzstand nicht zu gefährden, ist es unerlässlich, die Kontrolle über die Außengrenze wiederzugewinnen", heißt es im Entwurf für die Gipfel-Erklärung.

Soll heißen: Entweder die Migrationsströme können gebremst und geordnet werden oder das Reisen ohne Ausweiskontrollen im Schengen-Raum gehört der Vergangenheit an.

Der von der EU-Kommission zwei Tage vor dem Gipfel auf den Tisch gelegte Plan für den Aufbau eines Europäischen Grenzschutzes ist einigen Mitgliedsländern dann allerdings doch wieder zu ambitioniert - vor allem wegen des Vorhabens, Einsätze notfalls auch gegen den Willen des betroffenen Mitgliedstaates anordnen zu können. Bei aller grundsätzlichen Unterstützung werden auch aus der Bundesregierung Zweifel angemeldet, dass die EU-Kommission so etwas "aus eigener Machtvollkommenheit" werde entscheiden können. Den Grenzschutz-Plan werden die Chefs jedenfalls erst einmal nur zur Kenntnis nehmen.

Für die amtierende Ratspräsidentschaft wird der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel außerdem einen Bericht über die aktuelle Lage abgeben, der die Stimmung der Gipfelteilnehmer aber voraussichtlich nicht heben dürfte. Die Flüchtlingszahlen sind nach wie vor hoch, und die Hotspots genannten Erstaufnahmezentren in Italien und Griechenland sind noch weit davon entfernt zu funktionieren. Deshalb kann von der eigentlich beschlossenen EU-weiten Verteilung von zumindest 160 000 Flüchtlingen bisher auch keine Rede sein.

Eine von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ins Leben gerufene "Gruppe der Willigen" trifft sich vor dem eigentlichen Gipfel in der österreichischen Vertretung mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu, um über die Aufnahme eines Kontingentes von Flüchtlingen direkt aus der Türkei zu sprechen. Vor dem Treffen sah es aber nicht so aus, dass sich die etwa zehn Teilnehmer auf eine Zahl würden verständigen können. Unklar war auch, wie aus Berlin zu hören war, ob der französische Präsident François Hollande "es einrichten kann", rechtzeitig in Brüssel zu sein.

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Terror

Der Schutz der EU-Außengrenzen spielt auch eine große Rolle bei der Bekämpfung des Terrorismus. In enger Kooperation mit den USA wollen die Europäer alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um die Gefahr von neuen Anschlägen zu senken. Dazu zählt einem Entwurf des Ratsbeschlusses zufolge eine Datenbank von ausländischen Terroristen, die in das Schengen-Gebiet einreisen. Außerdem sollen sich Anti-Terror-Behörden stärker untereinander austauschen und die Arbeit des neuen Europol CT Centres unterstützen. Die Mitgliedstaaten sollen dabei Daten an Europol liefern. Der Vorschlag der EU-Kommission, bestimmte semi-automatische Waffen zu verbieten, soll schnell überprüft werden. Außerdem wollen die Staaten stärker gegen Terrorfinanzierung vorgehen - inklusive des Einfrierens von Vermögen.

Brexit

Die Sache ist eigentlich einfach. Alle wollen, dass Großbritannien im Klub bleibt. 27 Staats- und Regierungschefs sind wild entschlossen, dem britischen Premierminister David Cameron entgegenzukommen. Weil auch Cameron keinen Brexit will, müsste es eigentlich möglich sein, jenen neuen Deal auszuhandeln, den Cameron für sein Land verlangt. Eine Zeit lang sah es so aus, als könnte das schon bei diesem Gipfel gelingen, doch das war zu ehrgeizig. In einem Brief an die Staats- und Regierungschefs hat Ratspräsident Tusk kürzlich klargemacht, dass es zwar "guten Fortschritt" gebe, aber vor allem ein Thema delikat sei. Cameron will, dass EU-Ausländer vier Jahre in Großbritannien gearbeitet haben müssen, um Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können. Mit EU-Recht ist das nicht vereinbar. Tusk wünscht nun eine "ernsthafte Debatte ohne Tabus". Eine Entscheidung soll es aber erst im Februar geben.

Währungsunion

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Auf Wunsch Italiens und Spaniens steht der Fünf-Präsidenten-Bericht zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion auf der Tagesordnung. Deutschland ist davon nicht gerade begeistert. Die Bundesregierung lehnt etwa eine gemeinsame EU-Einlagensicherung für Sparkonten ab. Außerdem ist es ihr wichtig, so heißt es in einem Berliner Dokument, "dass die Schlussfolgerungen die im Rat aktuell laufenden Diskussionen über die genaue Ausgestaltung der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion nicht präjudizieren". Das bedeutet nichts anderes, als dass die Bundesregierung bei diesem Thema erst mal weiter bremst. In dem Entwurf für die Beschlüsse des Europäischen Rats taucht das Wort "Einlagensicherung" jedenfalls nicht auf.

Die EU-Kommission wird auf dem Gipfel auch über das Europäische Semester informieren. Dieses beginnt stets mit der Vorlage des Jahreswachstumsberichts durch die Brüsseler Behörde. In Berlin zeigt man sich unzufrieden damit, dass die Kommission den Start für das Europäische Semester bereits um zwei Wochen verschoben hat. Die Bundesregierung will sich deshalb dafür einsetzen, dass die Dokumente "beim nächsten Mal früher übermittelt werden, und dass darauf geachtet wird, dass der Fokus auf die Eurozone die Arbeiten an den länderspezifischen Empfehlungen nicht überschattet". So steht es zumindest in einem Vorbericht aus Berlin.

Russland

Was die Sanktionen gegen Russland betrifft, so gibt es für die Staats- und Regierungschefs eigentlich nichts zu entscheiden. Bereits im März hatten sie sich verständigt, dass die Aufhebung der Strafen "eindeutig an die vollständige Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk geknüpft sein sollte". Weil die Vereinbarungen, die zum Frieden im Osten der Ukraine führen sollen, aber bisher nicht umgesetzt sind, gilt es fast als Formalität, die Ende Januar auslaufenden Sanktionen um ein halbes Jahr zu verlängern. Dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi passt dieses Verfahren ohne Debatte allerdings nicht, wiewohl er der Verlängerung der Sanktionen nicht im Wege stehen will. Eine Diskussion zu den Sanktionen werde trotzdem nicht erwartet, sagte am Mittwoch ein hoher EU-Beamter. Thema soll allerdings der Plan für die Gas-Pipeline Nord Stream II durch die Ostsee sein. Sowohl Italien als auch Osteuropäer haben Deutschland im Verdacht, auf Kosten der anderen seine Versorgungssicherheit mit russischem Gas erhöhen zu wollen.

© SZ vom 17.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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