Auch Schilys Plan wird in der Sahelzone aufgewärmt: In Niger, wo viele westafrikanische Fluchtrouten zusammenlaufen, will die EU noch vor Jahresende ein "Multifunktionszentrum" als Pilotprojekt eröffnen. Es solle Migranten einerseits "lokalen Schutz bieten", so die EU-Kommission, sie aber auch "realistisch informieren über den wahrscheinlichen Erfolg einer Weiterreise und die Gefahren, denen sie begegnen können". Zudem biete man den Migranten Hilfe bei der "freiwilligen Rückkehr" in ihr Herkunftsland an.
Was der EU fehlt, sind Druckmittel, um die afrikanischen Staaten zur Zusammenarbeit zu zwingen. Ihr bleibt nur das Zuckerbrot. Die Formel dafür heißt "mehr für mehr": Wer mehr kooperiert, erhält mehr Hilfe. Oder mehr Visa für Studenten und Geschäftsleute. Oder mehr Geld. In Malta werde "das Rad nicht neu erfunden", sagt ein EU-Diplomat. Alle Vorschläge im "Aktionsplan" fußen auf bestehenden Initiativen, bei denen die EU mit verschiedenen Staatengruppen zusammenarbeitet, stets mit dem Ziel, die Migration einzudämmen. Neu ist, dass zusätzliches Geld fließen soll. 1,8 Milliarden Euro steckt die Kommission in einen "trust fund" für Afrika und hofft, dass die Mitgliedstaaten noch einmal so viel drauflegen.
Mit ihrer Agrar- und Handelspolitik schwäche die EU Afrika immer noch, sagen Kritiker
Menschenrechtler und Entwicklungsexperten greifen die Strategie der Europäer von mehreren Seiten an. Kritisiert wird zunächst, dass sich die EU mit zweifelhaften Herrschern einlasse und damit ihre Werte verrate. Etwa im Khartum-Prozess, der Ende 2014 mit den Ländern am Horn von Afrika gestartet wurde. "Viele der Projekte, die hier bisher vorgeschlagen wurden, hören sich schön an", sagt Lotte Leicht von Human Rights Watch. Aber die Partner seien Staaten wie Eritrea, Äthiopien, der Sudan und Ägypten, in denen es laufend zu Menschenrechtsverletzungen komme. Bei Eritrea redeten die UN inzwischen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sagt Leicht. Der vom Internationalen Strafgerichtshof gesuchte sudanesische Präsident Omar al-Baschir ist zwar nicht nach Malta eingeladen, dafür einige seiner Minister.
In der Kritik steht auch das "Mehr-für-mehr"-Prinzip. "Das ist extrem zynisch", sagt die Grüne Ska Keller. "Entwicklungshilfe sollte für Entwicklung gewährt werden und nicht für Wohlverhalten bei der Bekämpfung der Migration." Gleichzeitig lege es die EU mit ihrer Agrar-, Fischerei- oder Handelspolitik noch immer darauf an, Afrika zu schwächen, etwa durch den Export von Geflügelresten oder billigem Milchpulver. Eine durchdachte, langfristige Strategie für den Kontinent sei nicht erkennbar, sagt Robert Kappel vom Hamburger GIGA-Institut. Die Jugendarbeitslosigkeit in den Sahel-Ländern liege bei 50 Prozent, fast ein Drittel der Kinder gehe nicht zur Schule. Das sei eine "Steilvorlage" für Extremisten. "Das Einzige, was die Afrikaner motivieren würde, in ihren Ländern zu bleiben, ist die Aussicht auf ein menschenwürdiges Dasein." Insofern werde man mit den geplanten Aufnahmelagern dasselbe Problem bekommen wie mit Transitzonen in Deutschland: "Die Leute wollen da einfach nicht hin." Um die Probleme in Afrika wirklich anzugehen, müsse sehr viel mehr Geld investiert werden, meint Kappel.
Es würde schon helfen, manches zu unterlassen, ergänzt Bernd Mesovic von Pro Asyl: etwa die Praxis internationaler Konzerne, sich in Ländern wie Äthiopien große Stücke Land zu kaufen. Damit zerstöre man die lokale Subsistenzwirtschaft und schaffe weitere Anreize zum Gehen.
Den Beamten in Brüssel ist solche Kritik bekannt, sie behaupten auch nicht, die Fluchtursachen in Afrika mit ihren Plänen für den Malta-Gipfel zu beseitigen. "Aber die Option, nichts zu tun", sagt einer von ihnen, "die gibt es eben auch nicht."