In einer wegweisenden Gerichtsentscheidung ist das katholische Erzbistum Köln zu 300 000 Euro Schmerzensgeld für einen Missbrauchsbetroffenen verurteilt worden. Das Landgericht Köln sprach das Urteil am Dienstag nach einer mündlichen Verhandlung, bei der kein Vergleich zwischen den beiden Parteien zustande gekommen war. Der heute 64-jährige Georg Menne war in den 70er Jahren als Messdiener viele Jahre lang von einem Priester sexuell missbraucht worden.
Auf die Summe angerechnet werden bereits an das Opfer ausbezahlte 25 000 Euro in Anerkennung des Leids. Menne hatte vom Erzbistum 725 000 Euro Schmerzensgeld sowie 80 000 Euro für mögliche künftige Schäden verlangt. Richter Stephan Singbartl hatte bei der ersten Verhandlung im Dezember einen Vergleich vorgeschlagen. Eine Einigung kam jedoch nicht zustande. Der Prozess könnte Vorbildcharakter für weitere Schmerzensgeldklagen gegen die katholische Kirche haben.
Sexueller Missbrauch:Ein Gerichtsprozess, der für die katholische Kirche teuer werden kann
Vor dem Kölner Landgericht hat ein Musterprozess gegen das Erzbistum begonnen: Ein Opfer sexualisierter Gewalt verlangt Schadensersatz von der katholischen Kirche - und eines möchte die ausdrücklich verhindern.
Nach der Urteilsverkündung lobte Menne die Gerichtsentscheidung als "Meilenstein für die Betroffenen". Ihr Leid werde damit anerkannt. Klägeranwalt Eberhard Luetjohann ließ nach der Entscheidung offen, ob sein Mandant in Berufung gehe. In jedem Fall werde mit dem Urteil Rechtsgeschichte geschrieben, die bisherige Rechtsprechung werde "pulverisiert".
Kirchenrechtler Thomas Schüller sprach von einer "Zäsur in der deutschen Justizgeschichte". Erstmals werde die katholische Kirche durch ein staatliches Gericht zu einer auch in der Höhe außergewöhnlichen Summe verurteilt, sagte der Experte. "Daran werden sich zukünftig auch andere Gerichte zumindest orientieren."
"Dies ist ein wichtiges Signal für Tausende ähnlich gelagerte Fälle in Deutschland. Die Kirche haftet für die Verbrechen ihrer Priester, Bischöfe und Ordensvorgesetzten", betont Matthias Katsch, Geschäftsführer der Initiative "Eckiger Tisch", die sich für Betroffene sexueller Gewalt im Kontext der katholischen Kirche einsetzt. Die Gerichtsentscheidung zeige, dass die Kirche seit mehr als einem Jahrzehnt versuche, die Opfer mit symbolischen Zahlungen ruhigzustellen: "Im Wissen, dass die Zeit gegen die Betroffenen und für die Kirche arbeitet", so Katsch.
Vorwürfe gegen den Geistlichen waren dem Erzbistum 1980 sowie 2010 bekannt gewesen - er konnte dennoch viele Jahre weiter als Seelsorger arbeiten. Der Betroffene warf der Erzdiözese daher Amtspflichtverletzung durch Unterlassen vor. Das Erzbistum hatte bewusst darauf verzichtet, eine Verjährung zu beanspruchen.
Der Schmerzensgeldprozess gilt als Präzedenzfall
Missbrauchsbetroffene in der katholischen Kirche erhalten von Bistümern und Orden in der Regel Zahlungen in Anerkennung ihres Leides. In dem kircheninternen System reicht es in der Regel aus, wenn Betroffene den Missbrauch und die dadurch entstandenen Schäden in einem Antrag plausibel darlegen. Vor einem staatlichen Gericht dagegen müssen sie ihre Entschädigungsansprüche im Zweifel beweisen.
Im konkreten Fall hat das Erzbistum den Sachverhalt als unstreitig anerkannt. Über die Höhe der Kirchenzahlungen entscheidet seit 1. Januar 2021 die unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA). Nach ihren Angaben orientiert sich die Leistungshöhe "am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder". In den ersten zwei Jahren erhielten Betroffene im Mittel rund 22 000 Euro pro Antrag. In etwa acht Prozent der Fälle wurden laut UKA aber mehr als 50 000 Euro gezahlt, mitunter auch mehr als 100 000 Euro.