Der Kindesmörder Magnus Gäfgen hat einen Teilerfolg mit seiner Folterbeschwerde gegen Deutschland erreicht. Mit der Gewaltandrohung gegen Gäfgen wegen der Kindesentführung habe Deutschland gegen das Folterverbot der Menschenrechtskonvention verstoßen, befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Damit hat er einen Anspruch auf Schadenersatz.
Der rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilte 35-jährige Täter wollte eine Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung des Folterverbots und seines Rechts auf ein faires Verfahren erreichen. Er berief sich auf die Artikel 3 und 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens in Deutschland haben die Richter jedoch ausgeschlossen, weil der Prozess gegen Gäfgen "im Ganzen als fair" betrachtet werde.
Der Anwalt der Familie des Mordopfers Jakob von Metzler begrüßte dies: "Die Familie ist erleichtert, dass es keinen neuen Prozess geben wird", sagte Rechtsanwalt Eberhard Kempf.
Die Richter äußerten sich zwar nicht über ein Schmerzensgeld für Gäfgen, forderten Deutschland aber auf, das nationale Schmerzensgeldverfahren "zügig zu beenden".
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP) schloss sich dieser Forderung an und stellte zugleich klar: "Das Folterverbot gilt absolut. Die Menschenwürde ist das kostbarste Gut der Menschenrechte und Grundlage unseres gesamten Rechtssystems. Diese rote Linie darf niemals überschritten werden." Auch Gäfgens Anwalt Michael Heuchemer betonte diesen Tenor des Urteils. "Dies ist ein Signal, dass derartige Methoden bei der Polizei nicht einzusetzen sind", sagte Heuchemer nach der Urteilsverkündung.
Polizisten wurden verurteilt
Gäfgen hatte am 27. September 2002 in Frankfurt den elfjährigen Bankierssohn Jakob von Metzler entführt und ermordet. Der damals 27-jährige Jura-Student erpresste eine Million Euro von der Familie. Er wurde drei Tage später festgenommen. Weil er über den Verbleib des entführten Jungen falsche Angaben machte, drohten Kripo-Beamte Gäfgen Misshandlungen an - in dem Glauben, der Junge sei noch am Leben. Daraufhin verriet der Tatverdächtige das Versteck. Der damalige Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner und ein Hauptkommissar wurden Ende 2004 wegen der Folterandrohung verurteilt. Gäfgen verbüßt eine lebenslange Haftstrafe.
Eine Kammer des Gerichtshofs hatte die Beschwerde am 30. Juni 2008 abgewiesen. Auf Antrag Gäfgens wurde der Fall danach an die Große Kammer verwiesen.
"Die Drohungen gegen den Täter waren schwerwiegend genug, um als unmenschliche Behandlung im Sinn von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu gelten", heißt es in der Urteilsbegründung der letzten Instanz.
Grundrechte auch für Straftäter
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wacht über die Einhaltung der Grundrechte der Bürger, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention aufgeführt sind, darunter die Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit oder auch das Recht auf Achtung des Privatlebens. Gäfgen sah bei seiner Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland zwei Artikel der Menschenrechtskonvention verletzt. In Artikel 3 heißt es: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden." Im Artikel 6 geht es um das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, das jedem Menschen zusteht.
Ziel einer Klage wie im Fall Gäfgen kann es sein, ein rechtskräftiges Urteil im Strafverfahren zu prüfen. "Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht", kann der Kläger ein Wiederaufnahmeverfahren beantragen. Das ist in Paragraph 359 der Strafprozessordnung geregelt. Das EGMR lehnte eine Wiederaufnahme in Gäfgens Fall jedoch strikt ab.
Der Gerichtshof ist erst dann zuständig, wenn ein Kläger vorher vor den Gerichten seines Landes klagte und dort mit seinem Anliegen scheiterte. Vor dem EGMR können nur Beschwerden gegen Staaten erhoben werden, nicht gegen Einzelpersonen.