Eingebürgerte Türken in Deutschland:Tosuns bittere Bilanz

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Can Merey: Der ewige Gast. Wie mein türkischer Vater versuchte, Deutscher zu werden. Blessing-Verlag München 2018, 320 Seiten, 17 Euro. E-Book 13,99 Euro. (Foto: Randomhouse)
  • Der deutsche Journalist Can Merey hat die Integrationsgeschichte seines türkischstämmigen Vaters Tosun Merey aufgeschrieben.
  • Der Vater hat alles getan, um sich in Bayern zu integrieren, doch er fühlt trotz Einbürgerung auch nach 50 Jahren wie ein "Bürger zweiter Klasse".
  • Das Buch ist ein lesenswerter Beitrag zur aktuellen Integrationsdebatte.

Rezension von Christiane Schlötzer

Maria Merey, geborene Obergrußberger, stammt aus einem oberbayerischen Dorf, 1968 heiratet sie einen Türken. Mit ihrem Mann Tosun, der schon vor den Gastarbeitern nach Deutschland kam, wird sie später an vielen Orten der Welt leben, in Teheran, Singapur und Kairo. Zu Hause fühlt sich das Paar aber in Bayern. Tosun tut alles, um Deutscher zu werden. Türkisch bringt er seinen Kindern nicht bei.

Heute, 50 Jahre später, ist der Traum verblasst. Tosun fühlt sich trotz Einbürgerung "unerwünscht", als "Bürger zweiter Klasse", egal wie sehr er sich auch anstrengt, deutsch zu sein. Und im Rückblick fällt ihm ein, wie oft er schon gegen Vorurteile kämpfen musste.

Sein Sohn Can will das nicht glauben, bis er viele lange Gespräche mit seinem Vater führt. Daraus ist ein bemerkenswertes Buch geworden, eine bewegende, bittere Bilanz deutsch-türkischer Missverständnisse.

Warum entwickelt der Vater plötzlich Sympathie für Erdoğan?

Can Merey ist Journalist, bis vor Kurzem war er Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul, nachdem er wie sein Vater an vielen Orten der Welt gearbeitet hatte.

Can Merey hat sich für das Leben seines Vaters genauer interessiert, nachdem dieser plötzlich, zum Erstaunen des Sohnes, große Sympathien für den türkischen Präsidenten Erdoğan entwickelt hatte. Die hätten sich inzwischen wieder gelegt, schreibt Merey junior. Die Schonungslosigkeit, mit der Vater und Sohn ihren Konflikt, ihre Entfremdung schildern, erstaunt, ihre Offenheit macht den Zwei-Generationen-Bericht lesenswert.

Das Zerwürfnis ist zeitweise so tief, dass der Vater den Sohn zu den "überheblichen Deutschen" zählt. Tosun Merey schmerzt die Vergeblichkeit all seiner Integrationsbemühungen, und der Sohn fragt ihn zweifelnd: Vielleicht warst du nicht gut genug?

Das Buch ist auch ein Beitrag zur aktuellen Ausländerdebatte: Es zeigt, dass viele Vorurteile schon früher da waren, dass es dafür Erdoğan gar nicht brauchte. Vergessen ist ja meist, wie auch seriöse Medien in den Siebzigerjahren in Deutschland über Türken herzogen.

Can Merey will wissen, woher die Wut rührt, und trifft einen AfD-Mann, einen ehemaligen Journalistenkollegen. Das Gespräch ist im Buch nachzulesen, es wird beherrscht von der Frage, wie viel Differenz hält Freundschaft aus?

Die Kirche hat Cans Mutter Maria wegen ihrer Heirat mit einem Muslim von den Sakramenten ausgeschlossen

Inzwischen leben Maria und Tosun Merey in Istanbul, kehren aber immer wieder nach Bayern zurück, wo die katholische Kirche Maria Obergrußberger wegen ihrer Heirat mit einem Muslim von den Sakramenten ausgeschlossen hat.

Can Merey arbeitet jetzt in den USA, wo die Halbschwester seines Vaters mit ihrem amerikanischen Mann lebt. Vorurteile gegen Türken? Kennt sie nicht. In Amerika stehen andere "Fremde" im Fokus.

Sohn und Vater Merey haben sich wieder angenähert. Aber sonst ist wenig gut: Tosun Merey sorgt sich, dass seine Enkelin in Deutschland später "Türkenfeindlichkeit" erleben muss.

Diese Angst eines Mannes, der sein Leben lang so viele äußere und innere Grenzen überwand, muss einen wirklich beunruhigen.

© SZ vom 16.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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